von Dieter Braeg
Wer in der Musikgeschichtssuppe herumrührt und so wie ich, seit Jahrzehnten gute Musik ebenso wie gute Bücher im Leben braucht, wird auf Annie Lennox stoßen. In den 80er Jahren bildete sie zusammen mit Dave Stewart die Band Eurythmics, mit einigen Welthits – «Sweet Dreams», «When tomorrow comes» und «Thorn on my Side» – war sie sehr erfolgreichNun ist Annie Lennox’ erstes Jazzalbum erschienen, Nostalgia. Darauf interpretiert die Popsängerin mit ihrer ausdrucksstarken Kraftstimme Jazzsongs. «Ich liebe es, anderer Leute Lieder zu interpretieren. Jetzt, wo ich fast 60 Jahre alt bin, habe ich das untrügliche Gefühl, dass meine Zeit abläuft. Da wollte ich meine Stimme nochmals in einem anderen Genre ausprobieren. Vielleicht war das die letzte Möglichkeit, aus dem Kästchen, in das mich die Öffentlichkeit gesteckt hat, auszubrechen?», so fragt die Sängerin und interpretiert zwölf Songklassiker aus dem 20.Jahrhundert. Die Songs sind aus einer Zeit, als Blues und Jazz noch nicht in den Ecken versickert waren, in denen sie heute ein mitunter zu wenig bedachtes Dasein fristen. Es sind legendäre Songs, die von Größen wie Billie Holiday, Nina Simone, Ella Fitzgerald gesungen wurden.
Billie Holidays «Strange Fruit», ein Lied das die Geschichte der Lynchjustiz des amerikanischen Südens erzählt, vermittelt, auch bei Annie Lennox, jene Erschütterung angesichts eines Verbrechens, das sich bis heute fortsetzt und nicht an Aktualität verloren hat. «Dieses Lied war einzigartig. Es wurde in New York in Theatern gesungen, wo sich das Publikum wahrscheinlich extrem unwohl mit dieser drastischen Beschreibung der rassistischen Lynchjustiz gefühlt hat. Billie Holiday musste auch hart dafür kämpfen, es aufnehmen zu können. Ihrer Plattenfirma war das zu heiß. Sie befreiten Billie dafür aus dem Vertrag, so dass sie es mit einem kleinen Label aufnehmen konnte.»
Die bald 60jährige Annie Lennox lässt sich nicht von schmeichelnder Musik begleiten, meist nur mit ihrer Stimme und dem Klavier entsteht eine Interpretation, die nicht im Einschaltquotengedudel endet. Ja, es ist Gefühlsmusik, versinkt aber nicht im Schmalz. Annie Lennox kritisiert die Plattenfirmen, die ihren Künstlern vorschreiben, was und wie zu musizieren haben: «Nostalgia ist das erste Album, bei dem ich als Künstlerin respektiert wurde. Bis jetzt musste ich mich aber meine ganze Karriere lang gegen Eindringlinge wehren, die mir sagen wollten, was ich tun soll.»
Lennox ist keine Jazzsängerin, und diejenigen, die stets klassischen Blues erwarten, werden herummäkeln. Ich hingegen trank ein Glas Rotwein, lauschte einer ungewöhnlichen Stimme und meiner Fantasie wurden alle Wege geöffnet...
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen
Spenden
Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF
Schnupperausgabe
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.