von Paul Michel
Am 6.Dezember 1944 begannen britische Kampfflugzeuge mit Angriffen auf die Arbeiterbezirke von Athen. Von ihren Stellungen auf dem Parthenon aus unterstützte britische Artillerie die Bombardierungen, Panzer bewegten sich in den Straßen und nahmen Widerstandsnester unter Beschuss. Die Militäraktion richtete sich nicht etwa gegen Stellungen deutscher Besatzungstruppen – die waren sieben Wochen vorher, von britischen Angriffen weitgehend unbehelligt, in Richtung Rumänien und Bulgarien abgezogen. Die Angriffe waren eine militärische Unterstützungsaktion zugunsten der griechischen Regierung, die die Briten eingesetzt hatten, um gegen die antifaschistische griechische Widerstandsorganisation ELAS vorzugehen, die in den Monaten zuvor, ohne britische Unterstützung, weite Teile Griechenlands von der deutschen Besatzung befreit hatte.
Auf Initiative der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE) waren im September 1941 die Nationale Befreiungsfront (EAM) als politisches Widerstandsbündnis und im April 1942 die Griechische Volksbefreiungsarmee (ELAS) als deren militärischer Arm gegründet worden. Die ELAS entwickelte sich zum wichtigsten und bald auch zum einzigen Zentrum des Widerstands gegen die Nazibesatzung.
Unter militärischen Gesichtspunkten war die ELAS eine der erfolgreichsten Widerstandsbewegungen in Europa. Bereits bevor die Deutschen abzogen, kontrollierte sie praktisch ganz Griechenland mit Ausnahme der großen Städte. Ihre örtlichen Selbstverwaltungsräte stellten in weiten Teilen des Landes de facto die Verwaltungsstrukturen, die deutsche Marionettenregierung war außerhalb Athens praktisch ohne Machtbasis.
EAM/ELAS
Auch in den Städten war die Widerstandsbewegung sehr stark. Als die Deutschen 1943 Teile der Bevölkerung zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschicken wollten, reagierte sie mit der Besetzung öffentlicher Gebäude und einem einmonatigen Generalstreik. Damit konnte sie die Besatzungsmacht und ihre Marionettenregierung zum Einlenken zwingen. Griechenland war damit das einzige europäische Land unter deutscher Besatzung, in dem Massendeportationen zur Zwangsarbeit nach Deutschland verhindert werden konnten.
Zum Zeitpunkt der Befreiung hatte die ELAS zwischen 40000 und 100000 Kämpfer, die EAM zwischen 1,2 und 1,8 Millionen Mitglieder (bei etwas über 7 Millionen Einwohner), die EAM-Jugendorganisation EPON 600000 Mitglieder und die KKE alleine zwischen 250000 und 500000 Mitglieder. Besonders in der jungen Generation stand eine große Mehrheit der Bevölkerung hinter EAM und ELAS. Damit war die EAM/ELAS die dominierende politische Kraft im Land und hätte zweifellos vollendete Tatsachen schaffen können, die auch eine militärische Intervention Großbritanniens kaum hätte rückgängig machen können.
Der britischen Regierung mit Churchill an der Spitze war diese Entwicklung nicht entgangen. Von Anfang an war die Politik Churchills gegenüber der griechischen Widerstandsbewegung darauf bedacht, den Einfluss der ELAS möglichst klein zu halten. Britisches Geld und britische Waffen gingen nur an solche griechischen Widerstandsgruppen, die der ELAS feindlich gesonnen waren; die ELAS selbst erhielt so gut wie keine britische Unterstützung. Diese Strategie brachte jedoch nicht die gewünschte Isolierung und Zurückdrängung der ELAS. Deswegen bereiteten sich die Briten gezielt darauf vor, nach der Befreiung die EAM/ELAS auszuschalten.
Bereits 1943 nahm ein britischer Offizier geheime Verhandlungen mit Deutschland auf mit dem Ziel, einen «Separatfrieden» zu schließen. Die britische Armee würde die Deutschen auf ihrem Rückzug unbehelligt lassen, die Deutschen im Gegenzug den Briten die Möglichkeit verschaffen, das entstandene Machtvakuum mit ihren Truppen zu füllen. Damit sollte eine Übernahme der geräumten Gebiete durch die EAM/ELAS verhindert werden.
Die Wehrmacht konnte ihre Truppen – fast 90000 Soldaten, z.T. mit schweren Waffen und Kraftfahrzeugen – weitgehend unbehelligt von den griechischen Inseln aufs Festland evakuieren. Am 10.September telegrafierte der Leiter der Dienststelle Athen des Sonderbevollmächtigten Südost, Kurt-Fritz von Graevenitz, nach Berlin, die Räumung der Inseln verlaufe wegen des passiven Verhaltens der Briten reibungslos. Man glaube, dass die «Engländer unsere Leute … bewusst herauslassen». Der Historiker Richter spricht von einem augenzwinkernden stillschweigenden Einverständnis zwischen Deutschen und Briten. Gleiches gilt auch für den weiteren Rückzug der Wehrmacht in Richtung Rumänien und Bulgarien, wo die Truppen zur Verstärkung der deutschen Einheiten gegen die Offensive der Roten Armee eingesetzt wurden.
Stalins «Zettelabkommen» mit Churchill
Die britische Politik der Konterrevolution in Griechenland erfolgte mit ausdrücklicher Billigung Stalins. Churchill und Stalin hatten sich am 9.Oktober 1944 anlässlich eines Besuchs von Churchill in Moskau über die Aufteilung der Einflusssphären geeinigt. Berühmt-berüchtigt ist jener Zettel, den Churchill Stalin zuschob, auf dem in Prozent aufgelistet wurde, welche Länder nach dem Krieg zu wessen Einflussbereich zu zählen waren. Für Griechenland lautete der Schlüssel: 90% Briten, 10% Sowjetunion. Im Gegenzug überließ Churchill die osteuropäischen Länder Stalin, etwa Rumänien und Bulgarien. Über das Abkommen wurden die Führungen von KKE und EAM von der sowjetischen Führung nicht informiert.
Bereits in den vorangegangenen Monaten hatte die sowjetische Regierung EAM und ELAS immer wieder gedrängt, sich der Politik Großbritanniens unterzuordnen,obwohl unverkennbar war, dass diese vorrangig die Schwächung bis Ausschaltung der linken griechischen Befreiungsbewegung zum Ziel hatte. Stalin drängte die EAM zum Eintritt in die von den Briten abhängige griechische Exilregierung zu den von den Briten gestellten Bedingungen. Dagegen gab es zunächst innerhalb der EAM Widerstand. Nachdem bei der EAM eine sowjetische Delegation, geführt von Oberst Popow, jedoch Druck gemacht hatte, unterzeichnete die EAM im Mai 1944 den sog. «Libanonvertrag» und trat als Juniorpartner in eine «Regierung der nationalen Einheit» ein, in der einige bürgerliche Politiker von Churchills Gnaden den Ton angaben, die in Griechenland keine Basis hatten. Im September 1944 wurden mit dem Vertrag von Caserta die ELAS-Kämpfer dem General der britischen Landungstruppen unterstellt – was einer politischen Kapitulation gleichkam.
Als nach dem Abzug der Deutschen am 17.Oktober britische Verbände in Athen einzogen, wurden sie auch von den örtlichen Anhängern der EAM/ELAS als vermeintliche Verbündete mit Jubelkundgebungen begrüßt. Angesichts der weiteren Pläne Churchills für Griechenland war das eine schon fast tragische Naivität und politische Fehleinschätzung.
Der antikommunistische Ministerpräsident Papandreou und sein britischer Schutzherr Churchill betrieben nun verstärkt den Machtaufbau der bisher schwachen, in der Bevölkerung unbeliebten griechischen Regierung von Churchills Gnaden. Während die Briten und die griechische Rechte sich jedoch gezielt auf die aus ihrer Sicht unvermeidliche militärische Machtprobe mit dem Widerstand vorbereiteten, blieb die EAM/ELAS eher defensiv und versuchte vor allem, einen Konflikt mit den Briten zu vermeiden.
Für Churchill aber kam eine versöhnliche Lösung nicht in Frage. Bereits Ende November schrieb er an Außenminister Anthony Eden: «Nachdem wir Russland den Preis gezahlt haben, um Handlungsfreiheit in Griechenland zu erhalten, dürfen wir nach meiner Meinung nicht zögern, britische Streitkräfte einzusetzen, um die königlich-griechische Regierung unter Papandreou zu unterstützen … Ich erwarte einen offenen Zusammenstoß mit der EAM, und wir brauchen ihn nicht zu fürchten, unter der Voraussetzung, dass wir mit Umsicht das Feld der Auseinandersetzung gewählt haben.»
Zunächst waren die Briten vorrangig darauf bedacht, die EAM-Minister in der Regierung Papandreou zu isolieren, die Verbände der ELAS zu entwaffnen und schließlich aufzulösen. EAM und KKE waren zur Entwaffnung der ELAS jedoch nur bereit, wenn sie in der Regierung eine gleichberechtigte Rolle erhielten und die ELAS-Verbände in die neu zu bildende Armee übernommen würden.
Das britische Truppenkontingent wurde nun verstärkt. Zugleich erhielt Papandreou von den Briten die Erlaubnis, die in Italien kämpfende Einheit der griechischen Exilstreitkräfte, die sogenannte Rimini-Brigade, nach Athen zu verlegen. Anfang November trafen die gutausgerüsteten, königstreuen 2800 Mann – gegen den Protest der EAM-Minister – ein. Ihr Abzug von der Front in den italienischen Abruzzen bedeutete eine erhebliche Schwächung der alliierten Offensivkraft in Italien.
In Athen wurden Verwaltung und Sicherheitsorgane nur halbherzig von Anhängern der Diktatur Metaxas gesäubert. Viele Mitglieder der Stadtpolizei und der Gendarmerie hatten bis vor kurzem noch den wegen ihrer Kollaboration mit den Nazibesatzern verhassten Sicherheitsbataillonen angehört. Gleichzeitig agierten rechtsextreme Terrortruppen in Athen immer aggressiver.
Angesichts dieser Entwicklung versuchte die KKE, die Entwaffnung der ELAS hinauszuzögern. Am 28.November beschloss das Politbüro, jetzt keine weiteren Zugeständnisse mehr zu machen und die Auflösung der ELAS davon abhängig zu machen, dass gleichzeitig alle rechten Verbände einschließlich der Rimini-Brigade aufgelöst würden. Am 1.Dezember eskalierte die Situation, als die Regierung per Dekret die sofortige Entwaffnung der EAM-Nationalgarde EP verfügte. Als auch noch General Scobie, der britische Oberkommandierende und Statthalter für Griechenland, die Entwaffnung aller Partisanenverbände bis zum 10.Dezember verlangte, traten die EAM-Minister von ihren Ämtern zurück und kündigten für den 3.Dezember eine Großdemonstration und für den 4.Dezember einen Generalstreik an.
Am 3.Dezember 1944 gab es eine Massendemonstration mit 500000 Teilnehmern gegen den rechten Terror und die Auflösung der ELAS. Die Kundgebung wurde von der rechtsextremen Polizei mit Duldung der britischen Armee angegriffen, Dutzende EAM-Sympathisanten erschossen und hunderte verwundet. Am folgenden Tag, dem 4.Dezember, wurde der Generalstreik mit großem Erfolg durchgeführt. Gleichzeitig begann die ELAS, gegen rechtsextreme Polizei- und paramilitärische Kräfte vorzugehen, in Athener Vororten wurden Polizeistationen angegriffen. Da auf Seite der rechten griechischen Verbände stets auch britische Truppen eingriffen, blieb der ELAS gar nichts anderes übrig, als die militärische Auseinandersetzung auch mit den Briten aufzunehmen.
Die Schlacht um Athen
Die nun folgenden wochenlangen Kämpfe waren gnadenlos. Tagsüber bombardierte die britische Luftwaffe pausenlos ELAS-dominierte Viertel und Straßen nach Athen. Die ELAS-Kämpfer wiederum lieferten der britischen Armee erbitterte Straßen- und Häuserkämpfe. Mitte Dezember mussten die Briten Verstärkung heranholen: zwei weitere Divisionen und ein Panzerregiment wurden dafür von der italienischen Front abgezogen, ihre Truppenstärke belief sich jetzt auf über 50000 Mann.
Angesichts ihrer offenkundigen zahlenmäßige Überlegenheit und überlegenen Feuerkraft gab das ZK der ELAS am 5.Januar 1945 den Befehl zum Rückzug aus dem Raum Athen. Tausende von ELAS-Kämpfern und EAM-Mitglieder flüchteten in Richtung Norden, verfolgt von britischen Panzern. Erst an den Thermopylen konnte die ELAS den britischen Vormarsch stoppen. Am 11.Januar wurde ein Waffenstillstand vereinbart.
Bei den Kämpfen wurden etwa 12000 ELAS-Kämpfer getötet oder verwundet. 8000 Linke wurden in britische Lager in Nordafrika deportiert, weitere 4000 in Griechenland eingekerkert. Die Organisationen der Arbeiterbewegung in Athen und Piräus waren zerschlagen. Die griechischen rechten Truppen hatten im Kampf um Athen 1500 Mann verloren, die britische Armee etwa 200, die rechtsextremen Verbände einige tausend Kämpfer.
Die KKE-Spitze hatte vergeblich auf einen Protest der Sowjetunion gegen die britische Intervention gehofft. Die sowjetische Presse beschränkte sich den ganzen November hindurch auf die kommentarlose Wiedergabe westlicher Agenturmeldungen. Stalin hielt sich streng an seinen Zettelvertrag mit Churchill, schwieg und ließ seine griechischen Genossen von den Briten zusammenbomben und -schießen. Im Januar erreichte ein bereits Mitte Dezember abgeschickter Funkspruch über Umwege die KKE: Darin teilte Georgi Dimitrov, der frühere Chef der inzwischen aufgelösten Komintern, mit, dass die KKE mit keinerlei Unterstützung aus Moskau rechnen könnte.
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