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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 01/2015
SYRIZA hat gute Chancen

von Paul B. Kleiser

Eigentlich müsste der neue Staatspräsident in Griechenland erst im Februar 2015 gewählt werden, doch der konservative Regierungschef Antonis Samaras hat den ersten Wahlgang auf den 17.Dezember vorgezogen. Der bisherige Präsident Karolos Papoulias kann nach zehnjähriger Amtszeit nicht wiedergewählt werden.Zur Wahl steht der frühere Umweltkommissar der EU, der Konservative Stavros Dimas. Er bräuchte in den ersten beiden Wahlgängen 200 der 300 Stimmen der Abgeordneten des Athener Parlaments, danach genügen 180. Da die beiden Regierungsparteien aber nur über 155 Stimmen verfügen und einige als unsichere Kantonisten gelten, ist trotz möglicher Korruption ziemlich ungewiss, ob ein neuer Präsident gewählt werden kann. Sollte dies nicht gelingen, müssen im Frühjahr Neuwahlen zum Parlament stattfinden, bei denen nach allen Meinungsumfragen die Linkspartei SYRIZA gute Chancen hat, zu gewinnen.

Der Vorsitzende von SYRIZA, Alexis Tsipras, kommentierte die Ankündigung mit den Worten: «Wir haben jeden Grund, auf ein glückliches Neues Jahr zu hoffen!» Man darf also damit rechnen, dass es zu einem äußerst schmutzigen Wahlkampf kommen wird und dass auch hierzulande eine Medienkampagne gegen SYRIZA losgetreten werden wird. Denn ein zentraler Programmpunkt von SYRIZA ist die Überprüfung der Schulden und die Einbehaltung des Schuldendienstes, solange die griechische Wirtschaft kein deutliches Wachstum aufweist. Außerdem soll es ein Schuldenaudit geben, um zu prüfen, inwieweit die Verschuldung auf Korruption zurückgeht. Auf die Solidaritätsbewegung kommen somit wichtige Aufgaben der Aufklärung zu.

Mitte November behauptete die Süddeutsche Zeitung: «Griechenland verzeichnet das stärkste Wachstum aller Euro-Länder.» Angeblich wuchs die Wirtschaft im 3.Quartal um 0,7%, was wahrscheinlich auf den Touristenboom (23 Mio.) zurückzuführen ist. Bekanntlich ist der Einäugige König unter den Blinden, denn fast überall im Euroraum haben wir Nullwachstum oder sogar Rezession (Italien). In Griechenland ist die Wirtschaft seit 2008 um 28% geschrumpft, und auch in den ersten beiden Quartalen 2014 meldete Eurostat ein Minus von 1,1 bzw. 0,3%. Es ist also zweifelhaft, woher das Plus von 0,7% in diesem Jahr kommen soll. Die Industrieproduktion hat in den ersten beiden Quartalen um 2,5 bzw. 3% abgenommen, nur die Auslastung der (massiv geschrumpften) Kapazitäten lag mit 70,4% (BRD 84%) leicht höher als in den vergangenen Jahren. Seit 2013 herrscht in Griechenland die Deflation; die Verbraucherpreise fielen im letzten Jahr um fast 1%, in diesem Jahr um 2–3%.

Die Rede vom ausgeglichenen Haushalt ist pure Propaganda, denn rechnet man den Schuldendienst mit ein, so hat sich das Defizit (wie im letzten Jahr) auf über 10% erhöht. Und die Gesamtverschuldung des Landes, die nach dem Schuldenschnitt von 2012 auf 157,2%, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, gesunken war, lag im vergangenen Jahr wieder bei 175,1% und wird dieses Jahr bei 177–178% liegen (alle Zahlen nach dem Monatsbericht der Deutschen Bundesbank, Ausgabe November 2014).

Die Wirtschaft verharrt auf der Talsohle, eine wirkliche Wende zum Besseren gibt es nicht. Die Forderung von SYRIZA nach Schuldenstreichung ist also mehr als gerechtfertigt, denn mit dieser Bürde kann das Land nicht auf die Beine kommen.

Die Finanzminister der Euro-Zone haben gerade beschlossen, die letzte Tranche des zweiten Kreditpakets von 1,8 Mrd. Euro vorläufig nicht auszuzahlen, weil Athen sich geweigert hat, weitere Rentenkürzungen (im öffentlichen Dienst) vorzunehmen, und die Mehrwertsteuer für Übernachtungen wieder auf 13% anzuheben (aktuell liegt sie bei 6,5%). Mit dem Vorziehen der Präsidentenwahl haben Samaras und seine Koalition aus ND und PASOK also die Flucht nach vorn angetreten. Dies umso mehr, als nach einer Periode relativer sozialer Ruhe Anfang Dezember wieder ein Generalstreik stattgefunden hat, der massiv befolgt wurde, obwohl er für die Teilnehmenden doch zu weiteren Lohnausfällen führt. Eine deutliche Mehrheit der Griechen ist der jetzigen Regierung überdrüssig.

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