Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 01/2015
SPD-Vorsitzender und Kapitalinteressen

von Paul Michel

Rein äußerlich gibt es große Unterschiede zwischen Gabriel und Gerhard Schröder. In Inhalt und Stil wird Sigmar Gabriel seinem niedersächsischen Landsmann aber immer ähnlicher.

TTIP – Gabriel bewegt sich auf Industrie zu…

Von der Figur her wirkt Gabriel wie ein gutmütiger Knuddelbär. Aber er kann offenbar auch anders, und das wohl immer öfter, nämlich dann, wenn er seinen Kumpeln an der SPD- Spitze den Scheitel geradezieht. Am 20.9.2014 titelte Spiegel online: «TTIP-Zoff in der SPD. Gabriel haut auf die Pauke.» Einige aus der SPD-Führung hatte in den Tagen davor zu kritische Stellungnahmen zum geplanten Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA abgegeben. Leute wie der SPD-Vize Stegner aus Schleswig-Holstein bekamen die Peitsche, gleichzeitig gab es für die Harmoniebedürftigen in der SPD ein Zuckerbrot der Art: «Verlasst euch auf die Parteiführung, die regelt das schon.» Er war damit sehr erfolgreich: Von 200 Delegierten wagten nur 7, mit Nein zustimmen, 3 enthielten sich.

Knapp einen Monat später sollte auch den Begriffsstutzigsten unter den SPD-Mitgliedern klargeworden sein, dass mit dem «Regeln» das Wegräumen von Hindernissen für die konzerngefällige Durchsetzung des TTIP-Abkommens gemeint war. Nach einem Treffen mit der EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström wies Gabriel darauf hin, dass es nicht möglich sei, die besonderen Schutzklauseln für Investoren ganz aus dem Vertragsentwurf zu streichen. Früher hatte er die Schutzklauseln noch rundweg abgelehnt. Die Stuttgarter Zeitung zieht daraus die richtige Schlussfolgerung: «Damit bewegt sich der Minister auf die deutsche Wirtschaft zu. Die Spitzenverbände der deutschen Industrie, der Arbeitgeber, der Industrie- und Handelskammern und des Handwerks fordern in einer Erklärung von der Bundesregierung, die Klagemöglichkeiten für Firmen vor internationalen Schiedsgerichten auch künftig zuzulassen…»

Vermögensteuer – für Gabriel «tot»

TTIP ist nicht das einzige Thema, bei dem Gabriel offen auf Industriekurs einschwenkt. Am 8.11. titelte wiederum die Stuttgarter Zeitung: «Gabriel hält Vermögensteuer für tot.» Nun ist es wohl nicht so, dass die Vermögensteuer tot ist. Angesichts öffentlicher Armut bei ungehemmter Bereicherung der vermögenden Elite ist sie aktueller und nötiger denn je. Es ist halt nur so, dass Gabriel sich jetzt auch hochoffiziell von einem Bestandteil des SPD-Wahlprogramms von 2013 verabschiedet, den er nie ernsthaft gewollt hat, aber manchesmal erwähnte, wenn er sich davon Wählerstimmen versprach. Jetzt hält er es nicht einmal mehr für erforderlich, ein Engagement für mehr soziale Gerechtigkeit auch nur vorzutäuschen.

Klimawandel: Kohle-Ayatollah Gabriel

«Ist doch klar, dass das Ziel nicht zu halten ist,» soll Gabriel laut Spiegel in Bezug auf die deutschen Klimaziele gesagt haben. Nun hat zwar ein Sprecher des Vizekanzlers diese Aussage dementiert. Glaubhaft ist das aber nicht. Denn Gabriels Engagement für die großen Energiekonzerne und ihre Politik der Kohleverstromung steht im Widerspruch zu dem von der Bundesregierung bislang verkündeten Ziel, die CO2-Emissionen bis zum Jahr 2020 um mindestens 40% gegenüber 1990 zu reduzieren.

Eine Studie der Nichtregierungsorganisationen Germanwatch und WWF Deutschland zeigt, dass dieses Ziel ohne Einschnitte bei der Kohle nicht erreichbar ist. Zehn Gigawatt Kraftwerksleistung, etwa 15–20 der deutschen Stein- und Braunkohlewerke, müssten dann mindestens vom Netz. Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer nannte Gabriel deswegen einen «rückwärtsgewandten Kohle-Ayatollah».

Die Umweltministerin Barbara Hendrix hält zwar pro Forma noch an dem 40%-Ziel fest. Im Manager Magazin steht aber zu lesen, Gabriel habe ihr in einem vertraulichen Gespräch signalisiert, dass er weiteren Widerstand gegen seine neue Linie nicht dulden werde. «Das läuft so nicht». Auch hier die schlechte alte BASTA-Nummer von Altkanzler Schröder.

Mit Gabriel ein Fracking-Ermöglichungsgesetz

Frisch aus der Presse ist die Meldung, dass die Bundesregierung die Auflagen für Gasförderung mit der umstrittenen Frackingmethode lockern will, Umwelt- und Wirtschaftsministerium hätten einen Gesetzentwurf dazu ausgelotet. Probebohrungen sollen möglich sein, wenn eine Kommission aus sechs Wissenschaftlern keine Bedenken hat. Ein bisher geplantes Verbot für Bohrungen in Tiefen bis zu 3000 Metern soll wegfallen. In ihr Wahlprogramm hatte die SPD noch geschrieben: Solange nicht «alle Risiken für Gesundheit und Umwelt» durch die umstrittene Gasfördertechnik Fracking «ausgeschlossen» sind, darf sie in Deutschland nicht zum Einsatz kommen. Auch dieses Versprechen wird jetzt in die Tonne gekickt.

Der Abschied von der wenigen verbliebenen, ökologisch und sozial angehauchten Wahlkampfprosa vollzieht sich bei der SPD-Spitze in einem atemberaubenden Tempo. Der Mann hat nach längerem taktisch Rumgeeiere offenbar herausgefunden, wo er hin will: in die Fußstapfen von Gerhard Schröder.

Wir haben allen Grund, uns vor dem zu gruseln, was uns von der Regierung Merkel/Gabriel zugemutet wird. Aber das Gruseln könnte Wut, und Wut sollte zu Widerstand werden.

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