von Manuel Kellner
Charlie Hebdo ist eine linke Zeitschrift, die bei der politischen Rechten und extremen Rechten und auch bei konservativen und neoliberalen Sozialdemokraten alles andere als beliebt war und ist. 1995 sammelte sie 200000 Unterschriften für das Verbot der rechtsextremen Front National. Sie zeigte nie Respekt für politische und kirchliche Würdenträger. Sie weigerte sich, Werbung abzudrucken und sich durch Anzeigen zu finanzieren. Ihre Auflage dümpelte bei 20000, und erst der brutale Mord an ihren Redakteuren bescherte ihr eine – wahrscheinlich einmalige – 7-Millionen-Auflage.
Aber haben nicht gerade ihre mehr gegen den Islam als gegen das Christentum gerichteten Karikaturen die religiösen Gefühle vieler Millionen Muslime verletzt? Es gibt in Frankreich nicht nur eine Tradition rücksichtsloser Satire, sondern auch eines aggressiven «jakobinischen» Laizismus, der sich nicht um die Einsicht von Karl Marx schert, dass das religiöse Bewusstsein nämlich immer auch unbewusster Protest gegen das wirkliche Elend im irdischen Jammertal ist. Kritikwürdig sind eine Reihe dieser Karikaturen und Scherze, vor allem, wenn sie sich nicht gegen die Herrschenden oder die Nutznießer des Glaubens richten, sondern gegen die größte diskriminierte Minderheit in Frankreich.
Eine sozialistische, emanzipationsorientierte Antwort auf die Attentate und die Reaktionen darauf muss die Verhältnisse angreifen, die zu Elend, Ausgrenzung und falschen Spaltungen in den Reihen der Unterdrückten führen. Weder Verteidigung der herrschenden Verhältnisse noch Hohn und Spott über Muslime und andere gläubige Menschen können helfen, die wirklichen Probleme zu lösen.
Nur die Solidarität und die gemeinsame Aktion der Ausgebeuteten, Unterdrückten, Ausgegrenzten und Diskriminierten im eigenen Land und in aller Welt ist eine nachhaltige Antwort auf reaktionäre Radikalisierungen. Ohne grundsätzliche Kritik an der kapitalistischen Klassengesellschaft und an der Vorherrschaft der reichsten Industrieländer in der Welt kann eine solche Bewegung keine praktische Alternative zu den bestehenden Verhältnissen entwickeln und den falschen Spaltungen nicht wirksam entgegentreten.
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