Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 02/2015
Unterstützung aus Chefgläubigerstaat nötig

von Ingo Schmidt

Im September 2011 bekannte sich Angela Merkel vor dem Bundestag zum «Budgetrecht (als einem) Kernrecht des Parlaments». Allerdings werde die von ihr geführte Regierung die «parlamentarische Mitbestimmung so gestalten, dass sie trotzdem auch marktkonform ist».Damals ging es um Fiskalpakt und Schuldenbremsen, die eine Wiederholung der gerade halbwegs überwundenen Eurokrise vermeiden sollten. Im Verlauf dieser Krise waren Abgeordnete in Athen, Dublin und Lissabon bereits an die Grenzen ihrer marktkonformen Mitbestimmung gestoßen. Durch Kapitalabzug hatten die Märkte bzw. Kapitaleigentümer die jeweiligen Staaten nämlich an den Rand der Zahlungsunfähigkeit getrieben. Um sie abzuwenden stellte die Troika aus EU-Kommission, EZB und IWF kurzfristige Kredite bereit, verlangte im Gegenzug aber langfristige Sparmaßnahmen. Insbesondere in Griechenland führten letztere zu einem massiven Einbruch der Wirtschaft, der mit Steuerausfällen die Zahlungsfähigkeit des Staates immer wieder bedrohte.

Neben weiteren Notkrediten und Sparverpflichtungen musste im März 2012 auch ein Schuldenschnitt vereinbart werden. Private Gläubiger mussten dabei zwar einen Teil ihrer Forderungen abschreiben, konnten aber gleichzeitig in erheblichem Maße faule Papiere an die EZB verkaufen. Auf diese Weise konnten sie sich ohne allzu große Verluste aus dem Griechenlandgeschäft zurückziehen. Die Haftung für diese Papiere liegt nun bei der EZB bzw. bei den Steuerzahlern der Eurozone.

Gleichzeitig setzte sich der Absturz der griechischen Wirtschaft sowie die damit einhergehende soziale Verwüstung fort. Ende letzten Jahres ging die marktkonforme Parlamentsmehrheit zur Fortsetzung dieses Katastrophenkurses verloren. Die Aussicht, Neuwahlen könnten zu einer Abkehr von Sparpolitik und Schuldendienst in Athen führen, rief die Berliner Marktwächter auf den Plan.

Rückkehr zur Drachme löst das Problem nicht

Wie etwaigen Unbotmäßigkeiten des Schuldners Griechenland zu begegnen sei, ist unter Regierungsvertretern und deren wissenschaftlichern Beratern allerdings umstritten. Der Chef des Münchener IFO-Instituts, Hans-Werner Sinn, rät den Griechen zum Austritt aus der Währungsunion. Nur eine gegenüber dem Euro drastisch abgewertete Drachme würde Wettbewerbsfähigkeit und Exporterlöse der griechischen Wirtschaft ausreichend erhöhen, um den fälligen Schuldendienst zu leisten. Ohne einen Austritt aus der Eurozone drohe Griechenland die Staatspleite und seinen Gläubigern ein Totalausfall ihrer Forderungen. Diese Argumentation stützt Planspiele im Kanzleramt und im Finanzministerium, die ein Ende der griechischen Mitgliedschaft in der Währungsunion als eine Option unter anderen in Betracht ziehen. Der Schuldendienst müsste allerdings weiterhin in Euro geleistet werden.

Eine abgewertete Drachme würde sicherlich zu steigenden Exporterlösen in Drachmen führen. Werden diese aber in Euro umgetauscht, bleibt davon wenig übrig. Griechenland könnte seinen Schuldendienst immer noch nicht leisten. Es würden sich lediglich die Importe in die Eurozone verbilligen und den Konkurrenzdruck auf Spanien, Portugal und Italien erhöhen, da diese Länder ebenfalls landwirtschaftliche Güter und Tourismusdienstleistungen anbieten. Angesichts einer immer noch fragilen wirtschaftlichen Lage könnten schon geringe Verluste von Marktanteilen zu einem Wiederaufflammen der Eurokrise und letztlich zu einer weiteren Schrumpfung der Eurozone führen.

Ein zweiter Schuldenschnitt

Dagegen hält die SPD an der griechischen Mitgliedschaft in der Eurozone fest, besteht allerdings auf der Einhaltung der vereinbarten Sparmaßnahmen und Modalitäten zum Schuldenabbau. Sie nimmt einfach nicht zur Kenntnis, dass diese Politik gescheitert ist, weil Ausgabenkürzungen über eine verschärfte Rezession die Einnahmen, aus denen der Schuldendienst geleistet werden kann, immer weiter verringern. Anstatt abzunehmen, ist die Verschuldung weiter gestiegen.

Einigen Bürokraten der EU-Kommission ist dieses Problem bewusst. Statt einem Austritt aus der Eurozone spielen sie daher die Auswirkungen eines zweiten Schuldenschnitts durch. Aus deutschen Regierungskreisen ist davon allerdings nichts zu hören. Zu stark haben Merkel und Schäuble bei der Aushandlung der Notkredite für Griechenland, Irland und Portugal beteuert, nie wieder deutsche Steuergelder auszugeben, um die Pleite anderer Eurostaaten abzuwenden.

Nun ist diese Gefahr zurückgekehrt, und zwar unabhängig davon, wer in Athen regiert. Da sich die privaten Gläubiger ohne größere Verluste aus Griechenland zurückgezogen haben, bestehen die gegenwärtigen Schulden fast vollständig gegenüber den öffentlichen Institutionen damit gegenüber den Steuerzahlern, die sie tragen. Ein weiterer Schuldenschnitt würde unweigerlich aus Steuermitteln finanziert, stellt gegenüber einer Staatspleite aber immer noch das kleinere Übel dar.

Marcel Fratzscher, Chef des Berliner DIW, hat es übernommen, die deutsche Öffentlichkeit darauf vorzubereiten. Er unterstreicht dessen Notwendigkeit, betont aber auch, dass man die Gewährung eines Schuldenerlasses an weitere Reformen, sprich: einen weiteren Abbau sozialer Standards, knüpfen müsse, um Griechenlands Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen.

Was sein Münchener Kollege Sinn durch Abwertung einer wiedereinzuführenden Drachme erreichen will, sucht Fratzscher durch niedrige Löhne zu erreichen. Dabei schreckt ihn auch die Aussicht auf eine SYRIZA-geführte Regierung nicht. Im Gegenteil: Ohne Bindungen an den Staatsapparat und die griechische Elite sei SYRIZA viel eher in der Lage, drastische Reformen durchzuführen als die etablierten und abgewirtschafteten Parteien Nea Dimokratia oder PASOK.

Ende der Austeritätspolitik

Sowohl die Wiedereinführung der Drachme als auch ein Bestehen auf den bisherigen Abmachungen über den Abbau der griechischen Wirtschaft bergen das Risiko einer eskalierenden Wirtschaftskrise in Griechenland, die sich politisch nicht mehr kontrollieren lässt und auf andere Länder der Eurozone überspringt. Demgegenüber erkennt Fratzscher die akuten ökonomischen Probleme Griechenlands an und bietet einen politischen Tauschhandel an, der eine offene Konfrontation zwischen Gläubigern und Schuldner vermeidet.

Der Logik, wer in den Genuss eines Schuldennachlasses kommt, muss auch etwas zu geben bereit sein, wird sich die künftige griechische Regierung nur schwer entziehen können. Sofern SYRIZA diese Regierung anführt, besteht die Gefahr, dass das von den eigenen Wählern so dringlich erhoffte Ende der Sparpolitik auf dem Altar eines Schuldenerlasses geopfert wird, der den Gläubigern mehr dient als der griechischen Bevölkerung. Die Unterstützung der Wähler könnte dann sehr schnell verloren gehen und einer Regierung von Technokraten oder einem weiteren Aufschwung der Faschisten der Goldenen Morgenröte Platz machen.

Solange hierdurch nicht der Zusammenhalt der Eurozone gefährdet wird, können Brüssel und Berlin mit einem solchen Szenario gut leben. Hauptsache, das Gespenst SYRIZA verschwindet, bevor Podemos in Spanien zur stärksten Parlamentsfraktion wird. In aktuellen Umfragen hat Podemos die regierende konservative PP und die oppositionelle sozialdemokratische PSOE in den letzten Monaten bereits überholt. Sollte sich der Trend in den diesjährigen Wahlen bestätigen, würden sich die Aussichten für einen Bruch mit der Austeritätspolitik deutlich verbessern.

Die rechten Eurokritiker von AfD bis Gauweiler wollen den Club Med aus der Eurozone drängen, um die Wirtschaft der verbleibenden Euro-Staaten zu stärken. Merkel fürchtet, eine geschrumpfte Eurozone werde Deutschland in der globalen Standortkonkurrenz schwächen. Ohne Euro und die EU wäre Deutschland gegenüber den bevölkerungsstarken Aufsteigern Brasilien, China und Indien schon längst auf imperiale Zweitklassigkeit herabgestuft. Sollte es SYRIZA und Podemos gelingen, linke Stützpunkte innerhalb der Eurozone aufzubauen, würde dagegen ein Bruch mit der Austerität im Inneren und der imperialen Konkurrenz nach außen möglich. Dafür bedürfen unsere Genossinnen und Genossen in Griechenland und Spanien allerdings der Unterstützung aus dem Chefgläubigerstaat Deutschland.

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