Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 02/2015
... und rassistische Hetze

von Bernard Schmid

Die Mobilisierung auf den Straßen Frankreichs, fünf Tage nach der Ermordung von zwölf Menschen in der Redaktion der Satirezeitung Charlie Hebdo (am 7.Januar) und zwei Tage nach der Geiselnahme im jüdischen Supermarkt HyperCacher war enorm. Die französischen Medien sprechen von rund 4 Millionen Menschen, davon 2 Millionen in Paris.Vor einer Druckerei drängeln sich Leute, als ob es warme Semmeln gäbe. Ein Blick verrät, dass die Druckerei hier gerade DIN-A3-Plakate frisch vom Drucker weg verteilt. Sie werden den Druckereibeschäftigten beinahe aus den Händen gerissen. Darauf steht: «Je suis Charlie».

Das wird sicherlich der meist gesehene Slogan an dem Tag werden, auch in anderen sprachlichen Varianten, bis hin zur verbreitet zu sehenden arabischen Formulierung («Ana Shahrli»). Beim Überfall auf die Charlie-Hebdo-Redaktion starben zwei Polizeibeamte, Ahmed Merabet – der seit längerem dem Chefredakteur «Charb» (Stéphane Charbonnier) als Personenschützer zugeteilt war – und Franck Brinsolaro; außerdem eine Polizistin, die am Tag nach dem Attentat in einem Pariser Vorort nach einem Unfall erschossen wurde. In den Personen der drei getöteten Polizisten war das vielfarbige Frankreich beisammen. Denn Clarissa Jean-Philippe war schwarz, Ahmed Merabet war algerischstämmig und Brinsolaro war weiß.

Muslime demonstrieren mit

Manche Schilder und Plakate beziehen auch muslimische Menschen gezielt mit ein. Eine gut 50jährige Frau etwa hält ein Transparent in die Höhe mit dem Foto und Namen von Mustapha Ourrad hoch. Er arbeitete als Korrektor bei der Redaktion von Charlie Hebdo und zählt zu den Attentatsopfern, seine Familie stammte aus der Kabylei, einer von Berbern geprägten Region in Algerien. Eine jüngere Frau hat ein Schild gemalt mit der Aufschrift: «Ich bin Charlie und ich mag die Muslime!»

Einige sind als Menschen muslimischen Glaubens zu erkennen. Eine Frau mit orangefarbenem Kopftuch wird immer wieder von Mitmarschierenden gebeten, sich mit ihnen fotografieren zu lassen. Einer der meistapplaudierten Blöcke in der Demonstration ist der von syrischen Oppositionellen, die ihrerseits «Ana Shahrly» auf ihre Schilder geschrieben haben und rufen: «Ich bin Charlie, ich bin Syrer. Assad – Mörder, Jihadisten – Mörder.» Sie loben auch den militärischen Widerstand in der kurdischen Stadt Kobanê gegen den selbst ernannten «Kalifatsstaat» des IS.

Linksliberale Mobilisierung…

Das Hauptutensil der Demonstranten sind Stifte, Schreib- und Malstifte, in Anspielung auf die Freiheit der Meinungsäußerung – des geschriebenen Worts und der Karikatur, egal ob guten oder schlechten Geschmacks.

Aggressivität gegen Muslime oder nationalistische Mobilmachung – im Sinne von: «Frankreich ist angegriffen worden», wie etwa Ex-Präsident Nicolas Sarkozy verkündet hatte – ist nicht die vorherrschende Grundstimmung der Menge an diesem Sonntag.

Die Polizei wird freundlich behandelt – ihren Auftritten wird wiederholt Applaus gespendet) – wohl hauptsächlich, weil aus ihren Reihen ein Blutzoll an die jihadistischen Attentäter bzw. Geiselnehmer entrichtet wurde.

Aber es gibt auch das andere, das aggressiv auftretende und rassistisch ausgrenzende Frankreich, wie nicht zuletzt die wachsende Liste von Übergriffen auf muslimische Einrichtungen belegt. Innerhalb von fünf Tagen wurden 54 Attacken auf muslimische Gebetshäuser und Moscheen, auch Übergriffe auf Privatwohnungen verübt.

 …und rassistische Mobilmachung

Das aggressiv rassistisch auftretende Frankreich findet sich an diesem Sonntag jedenfalls in Paris eher bei Leuten, die passiv vor dem Fernsehbildschirm verharren oder am Tresen die Dinge kommentieren. Der rechtsextreme Front National (FN) versteht es, diese Stimmung auszunutzen. Durch martialisches Auftreten, lautstarke Forderungen nach Todesstrafe und den Ruf, man befinde sich nunmehr «im Krieg mit dem radikalen Islam», versucht der Front National, Stimmung zu machen. Zu Lebzeiten hätten die Journalisten von Charlie Hebdo denen nicht die Hand gereicht, die ihnen nun auf den Gräbern heuchlerisch entgegengestreckt wird.

Dass die Frage der An- oder Abwesenheit der extremen Rechten am 9. und 10.Januar vorübergehend in den Mittelpunkt rückte, hatte die französische Öffentlichkeit auch dem Premierminister Manuel Valls zu verdanken. Der wollte unbedingt eine «nationale Einheit» oder auch «Heilige Allianz» demonstrieren. Er forderte die konservativ-wirtschaftsliberale UMP dazu auf, die Demonstration mit zu organisieren, und lud deren alt-neuen Vorsitzenden Nicolas Sarkozy zur Teilnahme an seiner Seite auf. Die UMP forderte, nun müsse auch die FN dabei sein. Daraufhin forderte die FN von der UMP, der Demonstration fern zu bleiben, wenn die FN nicht mitmachen darf. Letztlich rief Marine Le Pen dazu auf, überall in Frankreich mit zu demonstrieren, nur nicht Paris.

Der Auflauf der Staatsoberhäupter

Auch in anderer Hinsicht hat das Agieren von Premierminister Manuel Valls Schaden angerichtet. Ursprünglich hatten antirassistische Organisationen, dann die Gewerkschaften zur Demonstration am Samstag aufgerufen. Dieser Aufruf wurde dann durch die etablierten Politikapparate zugunsten des Sonntagsaufrufs verdrängt.

45 Staats- und Regierungschefs – darunter Angela Merkel, David Cameron und Mariano Rajoy – kamen am Sonntag, den 11.Januar nach Paris. Unter ihnen Diktatoren aus der französischen Einflusssphäre in Afrika wie der Schlächter Idriss Déby (Präsident des Tschad) und Ali Bongo aus der Erdölrepublik Gabun sowie der ukrainische Präsident Poroschenko. Rechtsextreme Minister aus Israel wie Naftali Bennett («Ich habe in meinem Leben viele Araber umgebracht und kein Problem damit») begleiteten ihren Regierungschef Benyamin Netanyahu nach Paris; der verkündete den französischen Juden, sie sollten ihr Heil in einem Umzug nach Israel suchen.

All diese Staats- und Regierungschefs demonstrierten keine halbe Stunde lang: Sie wurden mit einem Bus aus dem Elysée-Palast an die Spitze der Demo gefahren und verließen den Aufzug nach wenigen hundert Metern. Rund um sie herum wurden die Straßen und die Trottoirs abgesperrt. Dies befeuert nun die Verschwörungstheoretiker, die auf die Bilder von den Nahaufnahmen der Demonstrationsspitze hinweisen (man sieht einen Politikerpulk und rund herum Leere), den gesamten Demonstrationszug und die Mobilisierung als Fake hinzustellen.

Das Profil der Demonstrationsspitze sorgte dafür, dass letztendlich doch viele Menschen aus der Zivilgesellschaft und vor allem aus der Linken fortblieben, die eigentlich am Protest teilnehmen wollten.

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