Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 02/2015
Produkte der französischen Gesellschaft

von Bernard Schmid

Weder die Brüder Kouachi noch der Mörder Coulibaly waren Einwanderer. Sie waren französische Staatsbürger, in Frankreich aufgewachsen und Produkte der französischen Gesellschaft. Ein ehemals «illegaler» Einwanderer war hingegen Lassana Bathily, der 15 Menschen im koscheren Supermarkt gerettet hat.Seit 2004 war Chérif Kouachi im 19.Pariser Bezirk in einer Zelle aktiv gewesen, die im Laufe eines späteren Strafverfahrens gegen ihn als «die Seilschaft vom Viertel Buttes-Chaumont» bekannt wurde.

Diese Zelle funktionierte wie eine Sekte, die ihre Anhänger einer Art Gehirnwäsche unterzog. Chérif Kouachi lebte als Kind in katastrophalen Verhältnissen, mit einem abwesenden Vater und einer Mutter, die sich prostituierte, um über die Runden zu kommen, bevor sie Selbstmord beging. Als junger Erwachsener interessierte er sich für Kiffen, Trinken, Ausgehen und Mädchen. Da er offensichtlich eine Art «innerer Leere» verspürte und zugleich wohl als autoritärer Charakter strukturiert war, schien ihm die neue Gruppe einen neuen Halt im Leben zu verleihen.

Chérif Kouachi wollte im Januar 2005 über Syrien in den Irak fliegen, wurde jedoch wenige Tage zuvor festgenommen. Die Gruppe wurde ausgehoben, Kouachi im Jahr 2008 zu drei Jahren verurteilt, die Strafe war jedoch mit der Untersuchungshaft abgegolten. In der Haftanstalt kam er in Kontakt mit anderen Jihadisten.

Amedy Coulibaly war seit Jahren in kleinkriminelle Aktivitäten verwickelt gewesen, bevor er im Gefängnis in Kontakt mit dem jihadistischen Milieu kam. Den Beginn eines Prozesses, der ihn zu einem diffusen Hass auf das «System» brachte, markiert wohl das Jahr 2000: Damals wurde sein bester Freund in einem Pariser Vorort zum Opfer von Polizeigewalt. Der Polizist, der ihn tötete, wurde nie strafrechtlich belangt.

Coulibaly wurde aktiv, als die Polizei sich auf Verfolgungsjagd mit den beiden Brüdern Kouachi befand. Zwei Tage nach dem Attentat auf Charlie Hebdo nahm er im jüdischen Supermarkt HyperCacher im Südosten von Paris insgesamt 17 Personen als Geiseln. Dank eines schlecht eingehängten Telefons konnte ein Fernsehsender die Gespräche zwischen Coulibaly und seinen Geiseln mithören. Er sagte diesen, er habe nichts gegen Juden, aber sie seien schuldig, weil sie ihre Steuern zahlten und Frankreichs Kriege gegen die Gläubigen im Irak, in Syrien und in Mali unterstützten. Im Gegensatz zu dieser Selbstdarstellung als vermeintlicher «Widerständler gegen das Imperium» steht jedoch das Bekennervideo, das posthum veröffentlicht – d.h. am 9.Januar im Internet gepostet wurde. Darin wird auf einem Textband am unteren Bildrand klipp und klar verkündet: «Er (Coulibaly) nimmt 17 Geiseln im jüdischen Supermarkt HyperCacher und richtet fünf Juden hin.» Die Vermischung der Ebenen: die Selbststilisierung als Widerständler gegen böse Unterdrückermächte, eine Vision vom mehr oder minder apokalyptischen Religionskrieg und Brutalität auch gegen wehrlose Zivilisten ist typisch für Jihadisten.

Coulibaly war Franzose und ist in Frankreich aufgewachsen. Seine Eltern stammen aus Mali. Dorther stammte übrigens auch der Supermarktbeschäftigte Lassana Bathily, der 15 Geiseln in einem Kühlraum versteckte – er gilt nun als Held. Er wurde beim Verlassen des Supermarkts zunächst von der Polizei in Handschellen gelegt, die ihn für einen «Komplizen Coulibalys» hielt. Die Wahrheit stellte sich jedoch schnell heraus. Bathily war im Alter von 16 Jahren «illegal» nach Frankreich gekommen. Nun wird ihm die französische Staatsbürgerschaft verliehen, als Belohnung von Amts wegen.

Die beiden Brüder Kouachi wie auch Coulibaly sind natürlich nicht repräsentativ für die in Frankreich lebenden Muslime – die salafistisch-jihadistischen Strömungen, denen sie angehörten, umfassen einige hundert Personen und werden vom Großteil der in Frankreich lebenden Muslime scharf abgelehnt.

Das gemeinsame Bindeglied zwischen diesen unterschiedlichen Personen ist offensichtlich am ehesten ideologischer Natur – wobei soziale Ausgrenzungserfahrungen von Migranten- und Trabantenstadtkindern und verletzliche Persönlichkeiten mit kaputten Biografien offensichtlich eine Rolle spielen. Bei Coulibaly etwa war das Abrutschen in die Sekte nicht vorprogrammiert, in den 2000er Jahren kämpfte er noch um einen Job und um soziale Eingliederung. Ein Jahr lang arbeitete er 2008/09 in einer Fabrik, die zu Coca-Cola gehört, sein Vertrag wurde jedoch nicht verlängert.

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