Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 02/2015
Streikfragen sind Machtfragen

von Jochen Gester

In der Dezembernummer der Metall stand ein kleiner redaktioneller Artikel, der Auskunft darüber gab, warum der Vorstand der IG Metall das Gesetzesvorhaben zur Tarifeinheit von Ministerin Nahles unterstützt. Aus Sicht des Vorstands erfüllt die gegenwärtige Gesetzeslage – nicht etwa das geplante Gesetz zu ihrer Aufhebung – neoliberale Traumvorstellungen, die die Gewerkschaften in einen Unterbietungswettlauf treiben.

Als ich in einem Leserbrief darauf hinwies, dies sei ein ziemlicher Blödsinn, da ja eher das Gegenteil, die Angst vor einem Überbietungswettlauf, seitens der Arbeitgeber Pate gestanden habe, schrieb mir die Redaktion: «Es gibt keinen Eingriff in das Streikrecht. Nicht zuletzt durch die Bemühungen der IG Metall bleibt das Arbeitskampfrecht unverändert. Die IG Metall hat massiv dafür geworben, dass alle Bezüge zum Streikrecht aus dem Entwurf entfernt werden. Dem ist der Gesetzgeber gefolgt.»

Über derartige, doch recht naiv anmutende Betrachtungen ist man erstaunt und fragt sich, warum die Expertise langjähriger anerkannter Gewerkschaftsjuristen wie Wolfgang Däubler heute in Frankfurt gar nicht mehr zur Kenntnis genommen werden. In einem Rechtsgutachten für die Linkspartei resümiert der Arbeitsrechtler: «Wer den Streik über gesetzliche Regelungen für bestimmte Gewerkschaften per se ausschließt, bedroht die existentielle Grundlage der betreffenden Gewerkschaft. Die gesetzliche Vorgabe der Tarifeinheit ist der elegante Versuch, Gewerkschaften auszuschalten, ohne sie explizit zu verbieten...»

Auch Detlef Hensche äußerte Anfang 2014 deutlich seine Befürchtungen: «Wenn Gewerkschaften da in einem immer noch prosperierenden Land schon aus nichtigem Anlass eine gesetzliche Streikbeschränkung dulden, offenbart dies ein schwer nachvollziehbares Maß an Grundrechtsvergessenheit und lässt für die Standfestigkeit in existenziellen Herausforderungen nichts Gutes erwarten.» Nun liegt eine erneute Stellungnahme des ehemaligen Vorsitzenden der IG Druck und Papier zum Tarifeinheitsgesetz vor. Die Analyse unterstellt den gewerkschaftlichen Unterstützern des Gesetzes nicht bewusstes Mittun bei einer Grundrechtseinschränkung, sondern sieht eher Illusionen am Werk:

«Mag sein, dass in der aktuellen Situation mancher darauf spekuliert, dass der Regierungsentwurf eines Tarifeinheitsgesetzes möglichst reibungslos über die Bühne geht, damit die Politik nicht am Ende in Reaktion auf lautstarke Proteste die Tarifeinheit zugunsten einer Streikreglementierung fallen lässt. Doch mit solchen taktischen Winkelzügen rettet man das Streikrecht nicht. Das Streikrecht steht naturgemäß im Zentrum gegenläufiger ökonomischer und sozialer Interessen. Ebenso wie es in langen Jahrzehnten als Grundrecht erkämpft wurde, muss es fortan gegen stets erneuerte Angriffe und Restriktionen verteidigt werden. Um das Streikrecht wird es nie politischen Frieden geben. Vor der daher stets aufs Neue sich ergebenden Machtfrage ist die Hoffnung, das Streikrecht durch taktische Kompromisse und Stillhalten unbeschädigt zu erhalten, illusionär.»

Die 34seitige Schrift benennt die zentralen Paragrafen des Gesetzes, um die es geht, und bettet sie ein die Geschichte des Koalitionsrechts nach Kriegsende. In diesem kleinen Lehrgang zur Tarifgeschichte der Bundesrepublik lernt man, was Unter- und Überbietungskonkurrenz ist, warum sich Gruppen von Lohnabhängigen aus dem DGB gelöst und eigene Verbände gegründet haben, warum das jedoch nicht schon die Lösung der Probleme ist, wie die Arbeitgeber die Bedingungen gewerkschaftlicher Aktionsfähigkeit steuern und welche Ziele sie über das Gesetz hinaus verfolgen.

Interessant auch die Gedanken über den «Arbeitnehmer in Schlüsselposition» als Schurkenrolle. Hensche macht deutlich – und es ist so, als wolle er es den Verantwortungsträgern im DGB noch einmal ins Stammbuch schreiben –, was der Kern des Koalitionsrechts ist:

«Man spricht vom Doppelgrundrecht der Koalitionsfreiheit. Die kollektive Koalitionsfreiheit schützt die Betätigung der Gewerkschaft selbst, wie etwa die Aufstellung von Tarifforderungen, das Werben neuer Mitglieder, die Vorbereitung und Durchführung von Arbeitsniederlegungen. Doch diese kollektiven Rechte erhalten ihre menschenrechtliche Legitimation aus der individuellen Freiheit, sich mit Kollegen zusammenzutun, gemeinsam aufzutreten und, wenn nötig, aufzustehen. Misst man den Gesetzentwurf an diesem Maßstab, zeigt sich die Schärfe der Grundrechtsverletzung in aller Deutlichkeit. Den Mitgliedern der Gewerkschaft, deren Tarifvertrag verdrängt wird, wird das Recht genommen, die Bedingungen ihrer Arbeit autonom, nach ihren Vorstellungen zu regeln.»

Das Gesetzesvorhaben ist für den Autor keine Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit, sondern ein massiver verfassungswidriger Eingriff in die Tarifautonomie, für deren Realisierung die Regierung die Erwartung äußert, die Rechtsprechung werde ihr auf diesem Wege des Verfassungsbruchs folgen.

Detlef Hensche: «Hände weg von Koalitionsfreiheit, Tarifautonomie und Streikrecht!» Über das Gesetz der Bundesregierung zur Tarifeinheit. Analysen Nr.17 der Rosa Luxemburg Stiftung. Die Broschüre ist kostenlos bei der RLS zu beziehen und als Download verfügbar, www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Analysen/Analysen17_Gesell_HaendeWeg.pdf

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