Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 02/2015
"Griechenland ist das schwache Glied"

sagt Panos Petrou vom linken Flügel der SYRIZA

Aus den Parlamentswahlen in Griechenland am 25.Januar 2015 ist SYRIZA als stärkste Kraft hervorgegangen, hat aber die absolute Mehrheit verfehlt und eine Koalition mit der nationalistischen Partei ANEL gebildet, die die von der Troika aus EU, EZB und IWF aufgezwungene Sparpolitik ebenfalls strikt ablehnt.Die Reaktionen der EU-Vertreter von Schäuble bis Juncker auf den Wahlsieg von SYRIZA waren brutal und zynisch, man sah es den Herrschaften an, dass sie demokratische Wahlen am liebsten nur dann anerkennen wollen, wenn ihnen der Ausgang passt. Über einen Schuldenschnitt, wie ihn Alexis Tsipras fordert, könne man nicht einmal reden, die Sparpolitik müsse fortgesetzt werden. Einige der klügeren Ökonomen und Vertreter von IWF und Weltbank hatten sich hingegen im Vorfeld der Wahlen in Griechenland für einen Schuldenschnitt ausgesprochen.

Jetzt besteht die Herausforderung darin, Schritte einzuleiten, die den Lebensstandard der Mehrheit der Bevölkerung schnell und spürbar verbessern. Dafür ist ein Schuldenschnitt unerlässlich. Dafür müssen wir auch in Deutschland und in ganz Europa Druck machen!

Zur Ausgangssituation vor den Wahlen sprachen wir mit PANOS PETROU. Er ist Redakteur der Zeitung Ergatiki Aristera, herausgegeben von DEA (Internationale Arbeiterlinke), die in SYRIZA und dort in der Linken Plattform mitarbeitet.

Am 27.November gab es in Griechenland den letzten Generalstreik. Davon abgesehen haben wir in Deutschland in den letzten Monaten nur sehr wenig von sozialen Kämpfen in Griechenland gehört. Trifft der Eindruck zu?

Die Proteste bewegten sich in letzter Zeit – im Vergleich zu den massiven Protesten 2010–2012 – auf einem niedrigen Niveau. Wegen des Ausbleibens realer Erfolge und der spürbaren Erschöpfung richten sich die Hoffnungen verstärkt auf die Wahlen. Mit einer Stimme für SYRIZA möchte man das erreichen, was man mit Kämpfen nicht konnte. Die Führungen der politischen Linken und der Gewerkschaften sind verantwortlich für diese relative Passivität.

Die Widerstandsbewegungen verzeichnen keineswegs nur Niederlagen. Auf lokaler Ebene gibt es weiterhin eine ganze Reihe erbitterter Kämpfe: die Beschäftigten des Rundfunksenders ERT; die heroischen Putzfrauen, die seit Monaten auf der Straße sind; die entlassenen Beschäftigten des öffentlichen Diensts, die nach wie vor für ihre Wiedereinstellung kämpfen. In jüngster Zeit gab es eine Solidaritätsbewegung mit den syrischen Flüchtlingen, die in einen Hungerstreik getreten waren und auf dem Syntagma-Platz Zelte aufgeschlagen haben.

Diese Kämpfe sind wichtig, weil sie – in einer Situation der Fixierung auf die Wahlen – dazu beitragen, den Linkskurs beizubehalten. Dabei ist die Stimmung «Meine Stimme für SYRIZA» nicht Ausdruck bloßer Resignation, sondern Element einer «Volksabstimmung» für den Bruch mit der Sparpolitik.

Wie stark ist die Nazipartei Chrysi Avgi? Ist sie durch die Verhaftungen nach dem Mord an Pavlos Fyssas ernsthaft geschwächt oder hat sie in der Bevölkerung nach wie vor großen Rückhalt?

Chrysi Avgi hat Probleme. Das staatliche Vorgehen gegen ihre Führung, die Abschwächung der skandalösen Protektion durch Staatsorgane, wie sie bis zum Mord an Pavlos Fyssas bestand, und die massiven antifaschistischen Mobilisierungen nach dem Mord haben die Situation verändert. Die Faschisten können ihre mörderischen Aktivitäten nicht länger betreiben. Sie sind auch zu jeder Art von politischer Initiative unfähig. Ihre Demonstrationen zur Unterstützung ihrer in Haft sitzenden Anführer kommen über ein paar hundert Teilnehmer, den «harten Kern», nicht hinaus. Ihr Höhenflug bei den Umfragen ist zum Stillstand gekommen, die Werte gehen zurück.

Doch haben sie immer noch beträchtlichen Rückhalt in der Bevölkerung. Sie stellen weiterhin eine ernst zu nehmende Gefahr dar, insbesondere dann, wenn die herrschende Klasse Chrysi Avgi wieder für ihre Zwecke einspannt. Die anstehenden Gerichtsverfahren sind offenbar «Verhandlungsmasse» hinsichtlich der Zukunft von Chrysi Avgi. Einige Anführer sollen verurteilt, andere freigesprochen werden, um damit vielleicht die Wiederauferstehung einer «gereinigten» Chrysi Avgi auf den Weg zu bringen, die Teil einer Neugruppierung der extremen Rechten sein könnte. Diese wird bereits von Rechtsaußen-Politikern wie Takis Baltakos betrieben, der lange Zeit die rechte Hand von Samaras war und enge Kontakte zur Führung von Chrysi Avgi hat.

Die jüngeren Aussagen von SYRIZA scheinen im Vergleich zum ursprünglichen Programm deutlich «moderater» geworden zu sein. Die Überführung der Banken in öffentliches Eigentum ist kein Ziel von Tsipras mehr. Ähnliches gilt für die Einstellung der Schuldenzahlungen. Was sind derzeit die Hauptforderungen von SYRIZA?

Tsipras hat ein «Sofortprogramm» vorgestellt, das nicht die gesamten Forderungen von SYRIZA umfassen soll, sondern lediglich die obersten Prioritäten einer linken Regierung. Es steht im Zentrum der Wahlkampagne und enthält einige wichtige Aspekte: die Anhebung des Mindestlohns, die Rücknahme von Rentenkürzungen, die Wiederherstellung der alten Tarifverträge, die Wiedereinstellung entlassener Beschäftigter des öffentlichen Dienstes, die Streichung einiger Steuern, die besonders arbeitende Menschen stark belasten.

Dazu kommen einige Maßnahmen zur «Umstrukturierung» der staatlichen Verwaltung. Aber gleichzeitig ist die Zukunft der Banken oder der privatisierten ehemaligen Staatsbetriebe überhaupt kein Thema mehr. Was das Thema Staatsschulden betrifft, so wird die Frage der «Einstellung der Zahlungen» ständig heruntergespielt und stattdessen der Schwerpunkt auf «Neuverhandlungen» und eine «europäische Lösung» gelegt. Gleichzeitig heißt es aber, das SYRIZA-Programm stehe nicht zur Disposition und der Haushaltsüberschuss dürfe nicht in den Schuldendienst gehen.

Unter dem Strich argumentiert die SYRIZA-Führung, ihr Programm enthalte eine «Win-win»-Situation. Die Arbeitenden werden geschützt; dafür bekommen die Kapitalisten die Zusicherung, dass sie unbehelligt bleiben. Deshalb wird die Rhetorik immer moderater, und sämtliche Themen, die als unmittelbarer Angriff auf das Kapital verstanden werden könnten, werden niedriger gehängt.

Dennoch gilt: Egal was die SYRIZA-Führung sich wünschen mag, die oben genannten Maßnahmen werden von der nationalen und der internationalen Bourgeoisie als «Kriegserklärung» verstanden.

Wäre eine Tsipras-Regierung bereit, die Entwicklung künftiger Massenbewegungen zu unterstützen? Oder würde sie versuchen, sie einzudämmen, um zu einer Einigung mit der Troika und den «Investoren» zu kommen?

Innerhalb von SYRIZA sagen praktisch alle: «Ohne die Leute auf der Straße können wir nicht viel erreichen.» Unklar ist, ob ein Konsens darüber herrscht, dass wir aus diesem Grunde mobilisieren müssen, da ansonsten «nur wenig erreicht werden wird». In den letzten Monaten hat SYRIZA eindeutig dabei versagt, die Rolle der Organisatorin von Protesten zu übernehmen. SYRIZA-Mitglieder sind bei Kämpfen immer dabei, aber die Partei als solche hat sich dieser Aufgabe nicht in einer bewussten, koordinierten Form gestellt.

Ich glaube nicht, dass eine SYRIZA-Regierung tatsächlich versuchen wird, soziale Bewegungen einzudämmen oder abzuwürgen. Falls sie das täte, würde sie damit scheitern, da die Aktivisten und Kader von SYRIZA so etwas nicht dulden. Eine linke Regierung, die versucht, soziale Bewegungen einzudämmen, würde jedenfalls «den Ast absägen, auf dem sie sitzt». Das sollte eine SYRIZA-Regierung bedenken.

Was sind die wichtigsten politischen Kontroversen zwischen der SYRIZA-Führung und der Linken Plattform?

Die habe ich bereits angedeutet: Die Banken, die Rücküberführung der privatisierten Staatsbetriebe in öffentliches Eigentum, die Einstellung des Schuldendienstes als möglicher «Pfeil im Köcher» – diese Themen sollten nach Meinung der Linken Plattform Teil unseres Programms sein.

Der Hauptstreitpunkt ist allerdings die Frage des politischen Bündnisses. Die Linke Plattform besteht darauf, dass nur andere linke Organisationen unsere Bündnispartner sein können, also die KKE und ANTARSYA. Die SYRIZA-Führung spricht vage von einer «breiten Einheit», die «über die Reihen der Linken hinausgeht», sagt aber nicht, was sie konkret damit meint.

Wir beharren auf der Parole «Linksregierung» statt solch unbestimmter Formulierungen wie «Regierung der sozialen Rettung», die Raum für alle möglichen Interpretationen lassen. Unabhängig davon wurde die Besetzung der SYRIZA-Wahllisten ein Streitthema. Ehemalige Mitglieder von DIMAR, frühere Sozialdemokraten und einige «reuige» Mitglieder von Mitte-rechts-Parteien versuchen, «auf den Zug aufzuspringen». Dagegen regt sich heftiger Widerspruch über alle Parteifraktionierungen hinweg – von der Linken Plattform wie von tausenden anderer SYRIZA-Mitglieder.

Wie wichtig ist die internationale Solidarität für eine künftige Linksregierung in Griechenland? Gibt es Anzeichen für die Herausbildung einer «Allianz des Südens», insbesondere mit Spanien?

Das wird von zentraler Bedeutung sein. Angesichts der internationalen Erpressungsbemühungen muss SYRIZA standhalten, und die Menschen müssen sich in Bewegung setzen. Die internationale Mobilisierung der Linken und der Arbeiterklasse zur Verteidigung einer griechischen Linksregierung, die aus dem neoliberalen Gefängnis ausbrechen will, könnte letztendlich ein entscheidender Faktor sein.

Die griechische herrschende Klasse hat mächtige Verbündete in Brüssel, Berlin, London, Paris und Washington. Wir brauchen unsere eigenen Verbündeten, die in diesen Ländern demonstrieren. Wenn die künftige griechische Linksregierung ein Beispiel abgibt, das es wert ist zu verteidigen, liegt es an unseren Genossinnen und Genossen im Ausland, auf unserer Seite zu kämpfen.

Auf diese Weise versuchen wir, der Isolierung entgegenzuwirken: Nicht indem wir Ausschau halten nach Bündnispartnern bei Teilen der herrschenden Klasse dieses oder jenen Landes für einen vermeintlichen «Europäischen New Deal», sondern indem wir im gemeinsamen Kampf der Lohnabhängigen gegen die neoliberale EU die Solidarität von unten entwickeln.

Unserer Meinung nach sollte der Begriff «Allianz des Südens» in diesem Sinne verstanden werden. Es gibt keine gemeinsamen Interessen mit Matteo Renzi, François Hollande oder Mariano Rajoy, die ja selbst Angriffe gegen die Arbeiterklasse des Südens fahren. Wir stehen zusammen mit den Arbeitenden und den Linken dieser Länder. Wir argumentieren, dass Griechenland das «schwache Glied» ist, das zum Aufbrechen der Kette führen kann. Der Gegenangriff der Arbeiterklasse und der Linken kann in einem Land beginnen – erfolgreich zum Abschluss gebracht werden kann er nur international. Der «Steppenbrand» kann sich ausbreiten. Das Erstarken von Podemos in Spanien ist ein Beispiel, das wir von ganzem Herzen begrüßen.

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