von Christian Weiß
Der Erfolg der hindunationalistischen BJP bei den letztjährigen Unterhauswahlen in Indien 2014 ist zweifellos eine Zäsur in der indischen Geschichte. Die BJP kam zwar nicht zum ersten Mal an die Macht, mit Narendra Modi wurde aber ein besonders umstrittener Politiker Regierungschef. Er war Chief Minister von Gujarat, als dort eines der schlimmsten Massaker der letzten Jahrzehnte stattfand.
Gut, dass sich ein Buch ausfrühlich mit Narendra Modi und seiner Partei beschäftigt. Das Buch von Dominik Müller besteht aus fünf Kapiteln. Eingangs wird kurz die Situation Indiens im Jahre 2014 beschrieben, danach die indische Atompolitik, vor allem das indische Nuklearabkommen mit den USA sowie schon bestehende und geplante indische Atomkraftwerke. Besonders eindrucksvoll ist der Abschnitt über das «größte AKW der Welt», das bei Jaitapur in Maharashtra gebaut werden soll, eine «seismologisch kritische Zone»: «Seit 1985 erschütterten mehrere Dutzend Erdbeben unterschiedlicher Stärke die Region. 1993, bei einem Erdbeben der Stärke 6,3 kamen 9000 Menschen ums Leben, 2009 stürzte, durch ein Beben verursacht, eine Brücke ein.» Dominik Müller beschreibt den Widerstand der Menschen von Jaitapur gegen das geplante AKW sowie das rücksichtslose Vorgehen des indischen Staates.
Das dritte Kapitel («Die Handelsinvasoren kommen») thematisiert das geplante Freihandelsabkommen zwischen Indien und der Europäischen Union. Der Autor befürchtet vorwiegend negative Folgen und beschreibt am Beispiel der Straßenhändler und der Kleinbauern mögliche Konsequenzen eines solchen Vertragswerks.
Das umfangreichste Kapitel («Totengräber der Demokratie») handelt von der BJP. Ausführlich beschreibt Dominik Müller die blutigen Ereignisse in Gujarat im März 2002, bei denen weit mehr als 1000 Menschen – vorwiegend Muslime – getötet wurden. Es ist offensichtlich, dass die BJP-Landesregierung die Pogrome unterstützte. Einige Minister und Beamte wurden inzwischen gerichtlich verurteilt. Umstritten ist die Rolle Narendra Modis. Es ist bis heute nicht gelungen, Modi direkte Verstrickungen in die Gewaltexzesse nachzuweisen. Aber Dominik Müller zeigt eindrucksvoll, dass die Ermordung von hunderten Muslimen eine logische Konsequenz der Politik eines BJP-Hardliners wie Modi ist.
Dass Narendra Modi ein «umstrittener Politiker» und nicht gerade ein Freund der Muslime ist, konnte man im Frühjahr dieses Jahres auch in deutschen Zeitungen lesen. Doch insgesamt weiß man in Deutschland sehr wenig über den Hindunationalismus. Deshalb ist es zu begrüßen, dass Müller auch auf die Geschichte des Hindunationalismus in Indien eingeht. Deutlich wird dabei die ideologische Nähe zum europäischen Faschismus.
Modis Anhänger wollen davon nichts wissen. Sie sehen in Indiens neuem Regierungschef einen Mann, der Gujarat in wirtschaftlicher Hinsicht weit voran gebracht hat. Und sie erwarten, dass Indien unter seiner Führung zu einer wirtschaftlichen, militärischen und politischen Supermacht wird.
Dominik Müller zeigt demgegenüber, dass sich Gujarat in Modis Regierungszeit in sozialer Hinsicht kaum entwickelt hat und dass vor allem die Armen und Unterprivilegierten von der Regierung Modi wenig zu erwarten haben.
Das letzte Kapitel handelt vom Widerstand. Die Gewerkschaften werden hier genauso erwähnt wie Frauengruppen, die sich gegen sexuelle Gewalt zur Wehr setzen, die maoistischen Guerillatrupps werden ebenso beschrieben wie neue Parteien wie Aam Aadmi, die Partei der «einfachen Leute».
Müllers Buch thematisiert in klarer Sprache die wichtigsten Probleme des gegenwärtigen Indien. Es ist zu wünschen, dass es viele Leserinnen und Leser findet.
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