von Angela Klein
Pegida ist ein Symptom der Krise der kapitalistischen Globalisierung – und die falsche Antwort darauf.
Der «typische» Pegida-Demonstrant entstammt der Mittelschicht, ist gut ausgebildet, berufstätig, verfügt über ein für sächsische Verhältnisse leicht überdurchschnittliches Nettoeinkommen, ist 48 Jahre alt, männlich, gehört keiner Konfession an, weist keine Parteiverbundenheit auf und stammt aus Dresden oder Sachsen. Das sind die Kernaussagen der Studie eines Teams um den Politikwissenschaftler Hans Vorländer von der TU Dresden, die am 14.Januar 2015 im Rahmen einer Pressekonferenz vorgestellt wurden.
Die Studie ist nicht repräsentativ, weil zwei Drittel der Befragten die Antwort verweigerten. Aus Quellen der Antifa heißt es, die NPD habe die Parole ausgegeben: «Wir reden nicht mit der Presse» (natürlich auch nicht mit wissenschaftlichen Instituten, die ja ebenfalls als «Teil des Systems» gelten). Wenn diese Annahme stimmt, könnte man daraus auf einen hohen Grad an direktem Einfluss der NPD auf die landesweit größten ausländerfeindlichen und antiislamischen Demonstrationen schließen.
Die neue rassistische Welle, die durch Deutschland schwappt, hat bislang einzig in Sachsen einen breiteren Anhang, in den meisten anderen Bundesländern erreichen die diversen Pegida-Ableger eher dreistellige Zahlen. Dennoch wird man sich nicht darauf beschränken können zu konstatieren, dass die Organisatoren und Anmelder dieser Demonstrationen aus dem Umfeld der NPD und der Kameradschaften kommen, oder, wie der Pegida-Gründer Lutz Bachmann, mehrfach vorbestraft sind. Das verbietet schon die Resonanz, die diese Demonstrationen bei der AfD und in Teilen der CDU, insbesondere der sächsischen CDU, gefunden haben. Wen sprechen sie an?
Die Selbstgerechten
Die Süddeutsche Zeitung hat am 23.Dezember 2014 eine repräsentative Telefonumfrage in Erinnerung gerufen, die Heinz Bude und Ernst-Dieter Lantermann von der Uni Kassel im Jahr 2011 im Auftrag des Hamburger Instituts für Sozialforschung durchgeführt haben. Die Studie ermittelte Einstellungen und Verhalten zur Islamophobie.
Die Autoren schreiben: «Wir konnten drei Gruppen mit ausgeprägter Islamophobie identifizieren. Für alle drei Gruppen ist die Identifizierung mit ihrer deutschen Herkunft ein wesentliches Moment ihres Stolzes auf sich selbst. Gleichzeitig misstrauen sie in hohem Maße dem ‹Staat› und seinen Institutionen. Damit hören die Gemeinsamkeiten zwischen den drei islamophoben Gruppen aber bereits auf.» Vielleicht kann man noch ergänzen: In allen drei Gruppen bilden die über 50jährigen die Mehrheit.
Die erste Gruppe nennen die Autoren die des «Extremismus der Mitte». «Man fühlt sich weder bedroht noch an den Rand gedrängt. Im Gegenteil: Menschen aus dieser Gruppe haben ein hohes Selbstbewusstsein und die Gewissheit, ihre Lebensziele weitgehend erreicht zu haben. Immerhin 38% dieser Gruppe erleben sich als Gewinner der ökonomischen Entwicklung der vergangenen Jahre, nur 14% als Verlierer. Dennoch sieht etwa die Hälfte von ihnen pessimistisch in die Zukunft. Sie wünschen sich eine Gesellschaft zurück, in der die tradierten Werte wieder zählen: Sicherheit, Disziplin und Leistungswille. Sie sehnen sich nach klaren Lebensverhältnissen zurück, die nicht länger gestört werden von Menschen, die anders denken und leben als sie.»
Diese Menschen schauen zufrieden auf das eigene Leben und blicken selbstgerecht auf das Leben anderer. Sie treibt die Sorge, es könnte ihnen in Zukunft schlechter gehen. 59% aus dieser Gruppe sind älter als 50 Jahre, 14% jünger als 30 Jahre. Diese erste Gruppe macht 9% der Bevölkerung aus.
Die grundsätzlich Beleidigten
In dieser Gruppe sind 63% älter als 50 Jahre und 11% jünger als 30 Jahre. Darüber schreiben die Autoren: «Sie leben in finanziellen und beruflich gefährdeten Verhältnissen, verfügen über eine niedrige Schulbildung, ein geringes Selbstbewusstsein. Sie sehen ihre wichtigsten Lebensziele als unerreichbar und haben es aufgegeben, die Welt um sich herum zu verstehen. Sie erleben sich von der Gesellschaft diskreditiert, fast die Hälfte dieser Gruppe sieht sich als Verlierer der ökonomischen Entwicklung. Nahezu zwei Drittel von ihnen rechnet sich für die Zukunft nicht mehr viel aus.» Diese Gruppe wird von Überfremdungsängsten beherrscht, sie fühlt sich sozial an den Rand gedrängt. Sie macht etwa 13% der Bevölkerung aus.
Die hochqualifizierten Prekären
Die dritte Gruppe versteht sich als weltoffen. Hier finden sich Menschen mit relativ hoher Bildung, die sich insgesamt durchaus wertgeschätzt fühlen und dennoch in prekären finanziellen und beruflichen Verhältnisse leben. «Sie fühlen sich um das Erreichen ihrer Lebensziele betrogen. 43% erleben sich als Verlierer der ökonomischen Entwicklung. 72% sehen mit tiefem Pessimismus in die Zukunft, und das obwohl sie der Überzeugung sind, alle Fähigkeiten für die Gestaltung eines erfolgreichen Lebens zu besitzen.» In dieser Gruppe sind 50% älter als 50 und 17% jünger als 30 Jahre. Sie macht 13% der Bevölkerung aus.
Bestimmend für diese Gruppe sei die «Angst vor Mindereinschätzung». Sie beharrt nicht auf festen Orientierungen, die scheinbar verloren gegangen sind, und ist offen für Begegnungen mit Menschen aus anderen Kulturen und Lebensverhältnissen. «Allerdings hört diese Offenheit auf, wenn es um Muslime geht», kommentieren die Autoren der Studie. 71% von ihnen sind der Auffassung, dass die muslimische Kultur nicht in unsere westliche Welt passt, fast die Hälfte möchte die Zuwanderung von Muslimen nach Deutschland verbieten, fast ein Drittel möchte Muslimen jede Form von öffentlicher Religionsausübung untersagen.
Die Studie zeigt sehr gut, dass man nicht zu den Ärmsten und am wenigsten Gebildeten der Gesellschaft gehören muss, um Rechtsextremen hinterherzulaufen. Heute wie schon in den 20er Jahren bilden Abstiegsängste, geringes Selbstbewusstsein und das Gefühl, nicht zu bekommen, was man eigentlich «verdient» hat, die lebensweltliche Gemengelage, aus der sich Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Rechtsextremismus speisen. Auch die Nazis rekrutierten ihre Anhängerschar vorwiegend nicht aus den Armen, sondern aus der «Mitte der Gesellschaft». Es sind vielfach radikalisierte Gebildete, die ihr Glück auf Kosten von gesellschaftlich Tieferstehenden durchboxen wollen und das Potenzial haben, dafür gesellschaftliche Stimmungen zu mobilisieren und politischen Druck auszuüben.
Der Fußball
Für die Sammlung der verschiedenen rechtsextremen und deutsch-nationalen Milieus spielt die Fußballszene eine bedeutende Rolle. Zu den Mitorganisatoren von Legida (Leipzig) gehört etwa Marco Prager, der Teil der Fanszene von Lokomotive Leipzig ist und zeitweise der rechtsextremen Gruppierung «Scenario Lok» nahestand. Oder Silvio Rösler, Fan des FC Sachsen Leipzig, der 1999 für die DSU kandidierte. Rösler war mit Thomas Gerlach befreundet, einem Mitglied der rechtsextremen «Hammerskins» und Zeuge im NSU-Prozess. Gerlach baute die Kameradschaftsszene in Zwickau mit auf, als sich das Kerntrio Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe dort versteckte, und organisierte gemeinsam mit dem mutmaßlichen Waffenbeschaffer Ralf Wohlleben mehrere einschlägige Veranstaltungen. «Die Macher von Legida stammen aus der rechten Fußballfanszene und mischen bei der virtuellen Hetgruppe ‹Gohlis sagt Nein› mit, die nachweislich eine Vorfeldorganisation der NPD ist», sagt Juliane Nagel, Landtagsabgeordnete der LINKEN in Sachsen (siehe auch das Interview auf S.15).
Zu Röslers Freunden gehört auch Siegfried Däbritz, ein ehemaliger FDP-Stadtratskandidat aus Meißen. Er ist aktiv im Footballteam der Radebeul Suburbian Foxes und steht den Hooligans gegen Salafisten nahe. Däbritz stellte bei den bisherigen Pegida-Demos in Dresden zusammen mit den Hools von Dynamo Dresden den Ordnerdienst. Mitglieder rechter Fangruppen von Dynamo liefen auf Pegida-Demos mit dem schwarz-gelben Dynamoschal um den Hals. Die SG Dynamo Dresden hat bisher nicht pro oder contra Pegida-Demonstrationen Stellung nehmen wollen.
Nationale Identität
Weit verbreitete Muslimfeindlichkeit ist in Deutschland nichts Neues. Seit Jahren versucht etwa die «Pro»-Bewegung in NRW gesellschaftliche Resonanz zu gewinnen, indem sie gegen den Bau von Moscheen mobilisiert. Diese Auseinandersetzung hat sie verloren, an anderer Stelle ist das Thema jedoch auf fruchtbaren Boden gefallen, bei der AfD nämlich und hier insbesondere bei ihrem sächsischen Landesverband. Die sächsische Landesvorsitzende der AfD, Frauke Petry, hat im Interview mit einem Videoportal der Jungen Freiheit ihre Zustimmung zu Forderungen von Pegida erklärt und dabei die Bedeutung der «nationalen Identität» und der «Verteidigung unserer Kultur» betont.
«Der sächsische Landesverband der AfD kann als Keimzelle der parteipolitischen Hinwendung zu einem rechten Kulturkampf gegen das Schreckgespenst einer angeblichen Islamisierung angesehen werden», schreibt Alexander Häusler in der Zeitschrift Sozialismus. Dort fanden nicht nur frühere Aktivisten der muslimfeindlichen Splitterpartei «Die Freiheit» ein neues parteipolitisches Betätigungsfeld. Im Vorfeld der sächsischen Landtagswahlen 2014 hat die AfD auch die Forderung nach Volksabstimmungen über den Bau von Moscheen mit Minaretten in ihr Wahlprogramm aufgenommen. Diese Forderung war bislang nur von extrem rechten Parteien wie der «Freiheit», den Reps und Pro NRW/Deutschland erhoben worden.
«Die antimuslimische Frontstellung geht einher mit einem ausschließenden Identitätsverständnis», schreibt Häusler weiter. Was «nationale Identität» ist, wird nicht präzisiert, aber es ist die Totschlagkeule gegen alles, was als Sündenbock herhalten kann: Asylbewerber, Muslime, Homosexuelle, Feministinnen, EU-Bürokraten, «die Politiker», «die Lügenpresse». Letzten Endes ist die «nationale Identität» für viele das einzige, was ideologischen Halt verspricht gegen die verheerenden Folgen der kapitalistischen Globalisierung für den Zusammenhalt der Gesellschaft und der Nationalstaaten. Damit werden von rechts Themen aufgegriffen, die auch die Linke behandelt.
So kann es nicht überraschen, dass die Organisatoren der Pegida-Demonstration in Erfurt sich «Pegada» nannten: Patriotische Europäer gegen die Amerikanisierung des Abendlands. Was scheinbar ein Widerspruch ist, wendet sich in letzter Konsequenz doch gegen denselben Trend: die neoliberale Globalisierung mit ihrer Ideologie vom «Weltbürgertum», die eine allen nationalen Zwängen entrückte Elite schafft, die Kosten dafür weltweit verteilt und die Opfer entlang unzähliger Linien spaltet. Antiglobalisierung von rechts, wenn man will. Nur dass die «Patriotischen Bürger» selbst Kinder des entfesselten Wirtschaftsliberalismus, der allseitigen Konkurrenz und der kapitalistischen Jagd nach Profit sind – das sehen sie, die gern zur Elite gehören würden, natürlich nicht. Es geht ihnen darum, in dem Krieg aller gegen alle zu den Gewinnern zu gehören, nicht darum, dieses zerstörerische Funktionsprinzip abzuschaffen.
Es ist gut vorstellbar, dass der neue deutsche Osten sensibler auf die ökonomische, soziale und ideologische Krise des Kapitalismus reagiert als der Westen, der eine komplexere und solidere Sozialstruktur aufweist. Mit Sicherheit aber kann man davon ausgehen, dass uns hier nur ein Spiegel vorgehalten wird von dem, was auf uns zukommen kann, wenn die Krise sich weiter verschärft. Wenn jemand meinte, Deutschland stelle inmitten der Krise eine Insel der Seligen dar – Pegida belehrt uns eines besseren.
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