Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 03/2015
In Sachen Griechenland spielen Brüssel und Berlin mit dem Feuer

von Paul Michel

Der Wahlausgang ist ein deutliches NEIN zur Politik der Troika und eine Niederlage für die Bundesregierung. Mit dem Regierungswechsel in Athen hat auch ihre Positionierung als Zuchtmeister Europas Schrammen davongetragen. Ihr Versuch, die Menschen in Griechenland von einer Stimme für SYRIZA mit der Drohung abzuhalten, ihnen werde der Geldhahn zugedreht, sollten sie nicht weiter nach der Pfeife der Troika tanzen, wurde zum Rohrkrepierer. Die Griechen haben die Angst vor den möglichen Folgen eines Ausschlusses aus der Eurozone verloren: schlimmer kann es kaum kommen.

Zunächst gab man sich in Brüssel und in Berlin demonstrativ gelassen, während man gleichzeitig mantramäßig wiederholte, natürlich werde man keine Zugeständnisse machen. Offensichtlich setzt man darauf, dass SYRIZA, angekommen in der Realität des Regierens, die kämpferische Rhetorik des Wahlkampfs ablegt wie eine schmutzige Unterhose und handzahm wird. Die Stimmung drehte sich aber, als erkennbar wurde, dass SYRIZA nicht nur Wahlversprechen gemacht hat, um einen Wahlkampf zu gewinnen.

Zwei Tage nach der Wahl verkündete die neue Regierung ihr Sofortprogramm: die Privatisierung der Elektrizitätsfirma DEI und des Hafens von Piräus wird gestoppt; Entlassungen aus dem öffentlichen Dienst wie die der Schulwächter und der Putzfrauen im Finanzministerium werden rückgängig gemacht, der von Samaras geschlossene Sender ERT wird wieder eingerichtet. Arme Familien werden bei Strom- und Wohnkosten finanziell unterstützt, der Mindestlohn angehoben.

Auch das Tarifrecht, das von der Regierung Samaras ausgehebelt worden war, wurde wieder in Kraft gesetzt. Darüber hinaus will die Regierung Tsipras Zwangsversteigerungen verhindern, wenn arme Leute ihre Hypothekenkredite nicht mehr bedienen können.

Wie nicht anders zu erwarten ist der zentrale Konfliktpunkt die Frage des Schuldenschnitts. Die griechische Regierung setzt darauf, im Rahmen der EU und der Eurozone eine Lösung zu finden. Doch sie sieht sich mit europäischen Institutionen konfrontiert, die ihre Machtposition gnadenlos ausspielen. Immun gegen Argumente setzen Spitzenpolitiker der EU auf Erpressung, mit variierender ideologischer Begleitmusik. Martin Schulz, der eitle, machtversessene Präsident des EU-Parlaments, versucht es im Bierzeltstil («Tacheles reden»); Eurogruppenchef Dijsselbloem, ein rhetorisch weniger versierter Bürokrat, droht mit ernsten Folgen.

Doch keiner von beiden schaffte es in den ersten Begegnungen mit Tsipras und Varoufakis, die Griechen «auf Linie zu bringen». Stattdessen mussten sie erleben, dass ihre griechischen «Partner» ungewohnt selbstbewusst auftraten. Varoufakis setzte die Vertreter der Troika kurzerhand vor die Tür – für Politiker mit Feldwebelallüren in Berlin und Brüssel eine ausgemachte Frechheit, wenn Vertreter eines Landes, das bisher immer den «Ratschlägen» aus Berlin folgte, nun plötzlich nicht mehr parieren.

Jetzt hat man vor Wut Schaum vor dem Mund. Der nassforsche Martin Schulz ignoriert geflissentlich, dass er, nicht Tsipras, mit den Folterwerkzeugen gedroht hat, und warnt den neuen griechischen Premier vor weiteren (??) verbalen Attacken auf die Bundesregierung. Der EU-Kommissar Günter Oettinger ereifert sich: «Die Brüskierung der EU-Institutionen» sei «ein bisher einmaliger Vorgang in der Geschichte». Und er bezeichnet den griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras als «frech und unverschämt». CDU-Fraktionschef Kauder, eher ein Mann fürs Grobe, inszeniert sich als Sensibelchen: «Der Ton aus Athen gefällt mir auch nicht. So geht man in Europa nicht miteinander um.»

Da wäre man als Beobachter geneigt zu antworten: Genau! Schaut mal in den Spiegel! Was hat die Troika denn bisher angerichtet? Sie hat einer willfährigen Oligarchenregierung mit gezückter Waffe ungerechte Verträge abgepresst und dabei so getan, als seien dies Verträge unter gleichberechtigten Partnern und deshalb natürlich auch von der neuen Regierung einzuhalten. Sie hat eine humanitäre Katastrophe ausgelöst, deren Ende nicht absehbar ist.

Die Troika hat soziale Grausamkeiten diktiert, die sog. «Memoranden», und sie nach dem Vorbild Orwellscher Propaganda zum «Reformkurs» verklärt. Und von den 240 Mrd. Euro aus den sog. «Rettungspaketen für Griechenland» sind 90% nur einen logischen Moment lang auf den Konten der griechischen Regierung verblieben – sie wanderten sofort weiter auf die Konten der Gläubiger und sonstiger Akteure des Finanzsektors. Das war keine «Solidarität mit den Griechen», das waren gigantische Rettungspakete für deutsche und französische Banken. Die ersten Maßnahmen der neuen griechischen Regierungen sind ein erster Schritt zu einer längst überfälligen Umkehr.

Eurozone lässt Tsipras auflaufen

In der Spitzenriege halten sich Schäuble und Merkel, aber auch Juncker und Draghi, öffentlich mit aggressiven Äußerungen zurück. Diese Herrschaften kalkulieren, dass den Griechen in absehbarer Zeit das Geld ausgeht, wenn es zu keiner Regelung mit der EU und der EZB kommt. Scheinbar entspannt lehnen sie sich zurück und lassen die griechische Regierung bei jeder Gelegenheit wissen: Ihr könnt neues Geld bekommen, wenn ihr von euren Plänen ablasst und euch wieder reumütig dem Diktat der Memoranden unterwerft.

Dass eine Regierung SYRIZA, die ihr Wahlprogramm verrät, damit politisch erledigt wäre, ist gewiss Teil ihres zynischen Kalküls. In den Medien gibt es Hinweise darauf, dass es hinter den Kulissen jedoch extreme Geschäftigkeit gibt – zahllose Telefonate, enge Abstimmung mit allen Entscheidungsträgern. «Tsipras bekommt auf seiner Europatour jetzt überall zu hören, was nicht geht», zitiert die Stuttgarter Zeitung einen EU-Diplomaten.

Das bekamen Tsipras und Varoufakis bei ihrer Rundreise durch verschiedene europäische Hauptstädte auch zu spüren: Ob in Brüssel, Rom oder Paris, der Empfang war zwar stets freundlich, es wurde gescherzt und ab und zu gab es einen freundlichen Klaps, in der Sache aber keinerlei positive Zusagen. Nachdem auch das Treffen mit EZB-Chef Draghi ohne greifbares Ergebnis geblieben war, hatte das Handelsblatt allen Grund, zufrieden zu sein: «Eurozone lässt Athen auflaufen.»

Gleich nach dem Gespräch mit Varoufakis zog Draghi die Daumenschrauben weiter an: Vom 11.Februar akzeptiert sie griechische Staatsanleihen nicht mehr als Sicherheit für EZB-Kredite, weil Griechenland die Zusammenarbeit mit der Troika aufgekündigt hat. Martin Schulz spricht den Zweck der Übung gegenüber dem Handelsblatt offen aus: die Drohung mit der Staatspleite, wenn die Knebelverträge der alten Regierung nicht eingehalten werden.

Die Scharfmacher von Bundesbank und Bundesregierung hatten diesen Schritt schon seit Tagen gefordert. Doch Draghi spielt mit dem Feuer. Denn es ist beileibe nicht ausgemacht, dass eine Staatspleite Griechenlands und ein «Grexit» so schön beherrschbar sind, wie das Planstudien in Schäubles Finanzministerium glauben machen. Der angebliche Feuerlöscher kann sich auch als Brandstifter erweisen. Wolfgang Münchau erwartet in der Financial Times für den Fall eines «Grexit» einen massiven Finanzschock, um ein Mehrfaches größer als der, der durch den Kollaps von Lehman Brothers ausgelöst wurde.

Die Sympathie auf die Straße bringen!

Die dominierenden Machteliten verhalten sich so, wie es von ihnen zu erwarten war. Selbst auf bescheidene Verbesserungen der Lebensbedingungen der arbeitenden Bevölkerung reagieren sie extrem aggressiv. Die politischen Statthalter des Kapitals können und wollen nicht zulassen, dass SYRIZA mit einer Linkswende hin zu sozialer Gerechtigkeit und wirklicher, nicht nur formaler, Demokratie Erfolg hat. Sie fürchten den Vorbildcharakter für andere Länder Europas und wollen den Versuch bereits im Keim ersticken.

In dieser Situation braucht die griechische Bevölkerung unsere Solidarität wie die Luft zum Atmen. Da sind besonders wir, im Herzen der Bestie, gefragt. Die Solidaritätsbewegung mit Griechenland ist im Verhältnis zu dem, was erforderlich wäre, immer noch viel zu schwach.

Die Maßnahmen haben der neuen griechischen Regierung spontan Sympathien eingebracht, auch hierzulande: Dass sie die Luxuskarossen abschafft und sich mit Mittelklassewagen zufrieden gibt, das erfreulich unkonventionelle und couragierte Auftreten von Tsipras oder Varoufakis – sowas ist man von «unseren» Politikern nicht gewohnt. Auch das grundlegende Anliegen, etwas für die Schwachen zu tun, kommt gut an. 2015 gibt es im Unterschied zu 2010–2012 keine Stimmung für eine Neuauflage des «Griechen-Bashing». Es gibt sogar eine gewisse Stimmung der Anerkennung, dass Merkels knallharte Sparpolitik in Griechenland gescheitert ist.

Weil aber die Informationslage immer noch bescheiden ist, greifen auch immer noch solche Sprüche wie «Verträge muss man halten». Deshalb gibt es noch großen Aufklärungsbedarf. Dafür kommt die Demonstration am 18.März vor der EZB in Frankfurt am Main jetzt genau zur richtigen Zeit!

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