von Angela Klein
Der Auftritt der Kanzlerin auf der Münchner Sicherheitskonferenz und ihre Initiative zum Abkommen Minsk II sind in zweierlei Hinsicht bemerkenswert. Zum einen hat sie ausgesprochen, was die Spatzen von den Dächern pfeifen, die Kriegstreiber in Washington, London, Warschau und Kiew aber nicht wahrhaben wollen: nämlich dass der Konflikt in der Ukraine mit militärischen Mitteln nicht beizulegen ist. O-Ton: «Das Problem ist, dass ich mir keine Situation vorstellen kann, in der eine verbesserte Ausrüstung der ukrainischen Armee dazu führt, dass Putin so beeindruckt ist, dass er glaubt, militärisch zu verlieren.» Ihr striktes Nein zu Waffenlieferungen in die Ukraine kam in letzter Minute, als deutlich wurde, dass Kiew im Osten eine krachende militärische Niederlage erleiden würde und die Regierung Obama gedrängt wurde, darauf mit noch mehr Waffen zu antworten. Sie hat damit die diplomatische Initiative wieder an sich gezogen.
Tatsächlich hat ihre Hochrüstung die ukrainische Regierung bisher einer Konfliktlösung nicht näher gebracht – hauptsächlich deshalb, weil viele der Soldaten, die sie benötigt, seit Beginn der Kämpfe nicht einsehen wollen, warum sie auf ihre Landesleute schießen und sich für ein ungeliebtes Oligarchensystem umbringen lassen sollen.
Die historische Parallele, die Merkel zog, ist bemerkenswert: «Ich habe als siebenjähriges Kind erlebt, wie die Mauer gebaut wurde. Es hat niemand – obwohl es eine grobe Verletzung des internationalen Rechts war – geglaubt, dass man militärisch an dieser Stelle eingreifen sollte, um die DDR-Bürger und den gesamten Ostblock davor zu bewahren, viele Jahre lang in Diktatur und Unfreiheit zu leben.» Diese Haltung ist mutig und schmeckt zumindest den Falken in Kiew gar nicht. Impliziert sie doch dass, zumindest vorübergehend, die Gebietsgewinne der Separatisten als gegeben hingenommen werden – auch auf die Gefahr hin, dass diese sich mit dem Erreichten nicht zufrieden geben und weiter versuchen, die Ukraine zu destabilisieren.
Wenn aber militärische Gewalt sie nicht davon abhalten kann, was könnte es dann sein? Dazu freilich schwieg Frau Merkel. Mehr als das Angebot eines weiteren 17-Milliarden-Kredits des IWF an Kiew ist jedenfalls nicht bekannt geworden, und man kann sich denken, wofür sie prioritär ausgegeben werden. Ein anderer Weg, die Menschen in der Ostukraine davon zu überzeugen, dass sie mehr davon haben, wenn sie das ukrainische Staatswesen mit aufbauen, als wenn sie sich unter die Vorherrschaft autokratischer russischer Satrapen begeben, könnte darin bestehen, dem Land eine echte Aussicht auf ökonomische Entwicklung zu bieten – die müsste allerdings anderes enthalten als die Pläne von EU und IWF, die Zechen zu schließen, 100000 Bergleute nach Hause zu schicken und stattdessen mit umweltvergiftender Frackingmethode die umfangreichen Schiefergasvorkommen der Ukraine zu heben. Doch da sind die ukrainischen Oligarchen und westliche Konzerne gleichermaßen vor, in erster Linie die großen Ölkonzerne Chevron, Exxon und Shell.
Ob es auf Dauer Frieden in der Ukraine gibt, hängt im Grunde im wesentlichen davon ab, ob es eine gesellschaftliche Kraft gibt, die tatsächlich eine ukrainische Nation begründen kann und nicht, wie deren zur Zeit herrschende Elite, darin nur eine leichte Beute sieht. Dieses Ziel ist aber weit entfernt und nicht im Visier der Kanzlerin.
Sie hat deshalb einen anderen Weg eingeschlagen: ein Angebot an die russische Regierung, damit diese die Separatisten am Gängelband halten möge. Die Position greift etwas kurz, weil sie die NATO-Lesart zugrunde legt, am Konflikt in der Ostukraine sei nur Putin schuld, die innenpolitischen Triebkräfte des Konflikts und die Verantwortung der EU und der USA geflissentlich ignoriert. Aus dem unheilvollen Konsens der westlichen Regierungen, dass Russland nicht mehr (nur) ein Partner, sondern wieder ein Gegner ist, schert sie gar nicht aus – und das hat auch Konsequenzen für die Beteiligung der Bundeswehr an der «Vorneverteidigung» der NATO.
Aber sie hat in Minsk versucht, Putin zu besänftigen, indem sie auf ein Angebot einging, das dieser schon im Jahr 2010 gemacht hat: eine Wirtschaftsunion «von Lissabon bis Wladiwostok». Damit stünden sich die EU und die ihr assoziierten Staaten und die Eurasische Union um Russland nicht mehr als wechselseitig ausschließend gegenüber. Bislang schließt das EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine eine gleichzeitige Zugehörigkeit zur Eurasischen Zollunion aus. Ob aus dem Projekt jemals etwas wird, steht in den Sternen, zumal völlig unklar ist, ob es sich mit dem Transatlantischen Freihandelsabkommen beißen würde, an dessen Durchsetzung die EU und die Bundesregierung fieberhaft arbeiten.
Die Bundesregierung erklärt gern: «Frieden gibt es nur mit, nicht gegen Russland.» Sie anerkennt damit implizit, dass der Schlüssel zur Lösung des Konflikts auch bei der russischen Regierung liegt – auf die der Westen (bislang) keinen Einfluss hat. Diese Haltung hat ihr in Washington den Ruf der «Erfüllungspolitikerin» eingebracht.
Allerdings ist die Frage erlaubt, warum die Bundesregierung sich nicht von Anfang an darum bemüht hat, das EU-Assoziierungsabkommen nicht in Gegensatz zur Eurasischen Wirtschaftsunion zu bringen, sondern erst Monate des Kriegs und der Zerstörungen dafür erforderlich waren. Das lässt Zweifel aufkommen, ob sie bei dieser Linie bleiben wird.
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