Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 03/2015
Ein gutes Leben für alle

Den Internationalen Frauenkampftag am 8.März will das Netzwerk Care Revolution mit Aktionen und Demonstrationen in vielen bundesdeutschen Städten begehen. Seine Losung: Gutes Leben für alle, ohne jemanden auszuschließen und nicht auf dem Rücken anderer.Worum es uns geht, und was insbesondere Frauen weltweit verwehrt wird, ist existenzielle Sicherheit und genügend Zeit für uns selbst und das Zusammensein mit anderen Menschen. Dazu gehören beispielsweise Zeit für das Zusammenleben mit Kindern, ausreichende Unterstützung bei Krankheit oder finanzierbarer Wohnraum. Wir möchten Zuwendung oder Unterstützung erhalten, geben und miteinander teilen. Wir wollen die Welt besser verstehen und kreativ gestalten, unser Wissen anwenden und weitergeben. Und wir wollen die Bedingungen für ein solches Leben mit anderen gemeinsam, aktiv und gleichberechtigt herstellen.

Dieses gute Leben für alle ist von den Voraussetzungen her jederzeit denkbar. Die Technik, das Wissen und die Kreativität sind vorhanden. Gleichzeitig ist die Realität eine andere, und die genannten schlichten Vorstellungen wirken wie eine weltfremde Träumerei. Denn eine an Profitmaximierung orientierte Ökonomie, verbunden mit Einsparungen in der sozialen Infrastruktur, beschränkt menschliche Lebensperspektiven.

Zum einen werden Ressourcen entzogen, die für Sorge und Selbstsorge erforderlich sind. Das trifft zu, wenn Löhne oder Renten, insbesondere von Frauen, so niedrig sind, dass gesunde Ernährung oder Ausflüge mit Kindern und Freundinnen unerschwinglich werden, wenn der Job zu wenig oder keine planbare Zeit übriglässt. Das trifft aber auch für die öffentliche Daseinsvorsorge zu, wenn im Krankenhaus nur das Nötigste notdürftig gemacht wird oder wenn in nicht sanierten und schlecht ausgestatteten Schulen Unterricht in übervollen Klassen stattfindet.

Aber auch die Arbeit selbst findet unter Bedingungen statt, die nicht dem entsprechen, was möglich wäre. Lohnarbeit soll möglichst billig und möglichst intensiv sein, damit durch ihren Einsatz Profit gemacht werden kann. Dieser Druck führt insbesondere in der entlohnten Care-Arbeit, etwa in der Sexarbeit, der ambulanten Pflege oder in Kindertagesstätten zu hohen Belastungen für die Beschäftigten, die trotz dieser Bedingungen versuchen, dem menschlichen Gegenüber gerecht zu werden.

Gleichzeitig sollen die Arbeitenden, um ihre Lohnarbeit überhaupt leisten zu können, qualifiziert, körperlich fit, seelisch ausgeglichen und hochmotiviert sein. Und sie sollen selbst dafür sorgen, das hinzubekommen. Dieses «Hinbekommen» geschieht weitgehend unsichtbar im Privaten, in den Familien, in Beziehungsnetzwerken. Entsprechend werden die Bedingungen dieser unentlohnten Reproduktionsarbeit selten thematisiert; die Menschen werden mit ihnen und gegebenenfalls mit dem Scheitern an der Aufgabe alleine gelassen.

Die Arbeit an der Wiederherstellung der Arbeitskraft wird nach wie vor primär von Frauen geleistet, obwohl von allen gleichermaßen Erwerbstätigkeit verlangt wird. Frauen werden für die Sorge für Kinder, für pflegebedürftige Angehörige und für erholungsbedürftige Männer verantwortlich gemacht. Im Rahmen der geschlechtlichen Arbeitsteilung haben sie niemanden mehr, an den sie Aufgaben weiterreichen können, und viel zu wenig Unterstützung durch die mangelhafte staatliche Infrastruktur. Nur in manchen gut verdienenden Familien wird ein Teil der Arbeit an migrantische Haushaltsarbeiterinnen weitergegeben. Dieser «Ausweg» steht nur wenigen offen und er geschieht auf dem Rücken anderer, für die schon die schlechten Bedingungen dieser Arbeit eine Verbesserung ihrer katastrophalen Lage bedeuten.

Die naheliegende und einzig bedürfnisgerechte Konsequenz, nämlich die nötige Arbeit in Familien und Betrieben gemeinsam und ohne Diskriminierung zu organisieren und zu erledigen, steht im Kapitalismus nicht offen. Notwendig ist deswegen ein grundlegendes Umdenken. Für uns sind Achtsamkeit für die Bedürfnisse aller Menschen, Raum für Empathie und solidarisches Miteinander und wirkliche Demokratie in Politik und Ökonomie die entscheidenden Prinzipien. Wir treten ein für eine Gesellschaft, in der Menschen nicht nach ökonomischer Verwertbarkeit eingeteilt werden, sondern frei leben können jenseits der Zuordnung zu einem Geschlecht und unabhängig von ihren sexuellen Orientierungen sowie ihrer sozialen Herkunft und Staatsangehörigkeit.

Unsere Ziele und ersten Schritte

Unmittelbar scheint uns für gute Sorge und gutes Leben folgendes nötig zu sein:

– Ein ausreichendes Einkommen für alle, um die eigene Existenz zu sichern. Das bedeutet zunächst einen substanziellen Mindestlohn ohne Ausnahmen, ein bedingungslos gezahltes Grundeinkommen, eine deutlich bessere Entlohnung in Care-Berufen.

– Ausreichend Zeit, um das Ganze der Arbeit im Betrieb, bei der Sorge für nahestehende Menschen und für sich selbst bewältigen zu können und dabei noch Zeit der Muße übrigzubehalten. Das bedeutet zunächst Arbeitszeitverkürzung und besondere Erleichterungen für Menschen mit Sorgeverpflichtungen und eine diskriminierungsfreie Verteilung von Sorgearbeit.

– Eine soziale Infrastruktur, die Sorge und Selbstsorge wirklich unterstützt. Das bedeutet zunächst ein ausgebautes und kostenlos nutzbares Bildungs- und Gesundheitssystem, finanzierbaren Wohnraum, kostenlosen öffentlichen Nahverkehr und die Unterstützung von Selbsthilfenetzwerken. Über eine Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums ist dies realisierbar.

– Echte Teilhabe an gesellschaftlichen Entscheidungen: das bedeutet umfassende demokratische Selbstverwaltung. Gleichzeitig bedeutet es, dass es keinen Ausschluss, keine Benachteiligung und keine Privilegien wegen der Herkunft oder der Staatsangehörigkeit, des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung, der Leistungsfähigkeit sowie wegen Bildung oder Beruf gibt.

– Bedürfnisorientierte Care-Ökonomie. Wir zielen auf eine Gesellschaft, die nicht die Profitmaximierung, sondern die Bedürfnisse der Menschen ins Zentrum stellt.

Wir wollen uns nicht länger daran hindern lassen, gemeinsam ein gutes Leben zu gestalten. Und bis wir das erreicht haben, sind wir fest entschlossen, den unvermeidlichen Kampf mit Spaß und Energie zu führen – auch und gerade am Internationalen Frauenkampftag.

Auf zur Care Revolution!

Das Netzwerk Care Revolution mobilisiert auch zu Blockupy am 18.März und macht dort einen eigenen Block.

Am 28./29.März findet in Hannover ein offenes Netzwerktreffen statt. Es dient dem Austausch, Kennenlernen, biete Open Space, Input zum Streik im Sozial- und Erziehungsdienst, Workshop zu Care-Organizing sowie einen Vortrag von Christa Wichterich «Care in transnationaler Perspektive» und natürlich Ausblicke auf den 1.Mai, «Tag der unsichtbaren Arbeit».

Netzwerk Care Revolution ist ein bundesweiter Zusammenschluss von Initiativen und Organisationen im Bereich der unbezahlten und bezahlten Care-Arbeit. Es gibt Regionalgruppen in Freiburg, Hamburg und Berlin/Brandenburg. http://care-revolution.org.

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