Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 03/2015
Zehn Tage, die Oberschlesien erschütterten

von Dariusz Zalega

Die Schlacht ist gewonnen, aber nicht der Krieg – so kann das Ergebnis der letzten Proteste gegen die Schließung von Zechen beim Kohlekonzern Kompania Weglowa A.G. umschrieben werden. In den anderen Kohlekonzernen ist es auch nicht ruhig. Eines ändert sich allerdings – die gesellschaftliche Einstellung zu den Protesten der Bergleute.Bisher war es so: Die Bergleute streiken, im Internet ergießt sich eine Flut von Hass gegen sie, und die Medien beginnen mit einer Kampagne gegen die Kumpel. Dieses Schema funktionierte bis zu den jetzigen Massenprotesten in Oberschlesien. Hier ging es darum, vier Zechen, die die Regierung schließen wollte, zu verteidigen.

Gebrochene Versprechen

2014 war kein gutes Jahr für den Bergbau, die Preise für Kohle fielen. Es gab Gespräche mit der Regierung und mit Donald Tusk, der bis Oktober 2014 Premierminister gewesen war und jetzt Präsident des Europäischen Rates ist. Letzterer erklärte nach einem Gespräch mit Vertretern einer Delegation: «Eine schnelle Schließung von Zechen liegt nicht im Interesse des Staates. Solche Entscheidungen sind recht kostspielig, sowohl in gesellschaftlicher Hinsicht als auch mit Blick auf den Staatshaushalt.» Eine ähnliche Erklärung hatte auch Premierministerin Ewa Kopacz anlässlich des Barbarafestes im vergangenen Dezember abgegeben. Sie hat sie schnell vergessen.

Am 7.Januar gab Kopacz anlässlich der ersten hundert Tage ihrer Amtszeit eine Pressekonferenz. Ihr zweiter Punkt lautete: «Vorstellung des Plans für den Kohlekonzern Kompania Weglowa, des größten Kohlekonzerns in der EU.» Die Bergleute erfuhren aus den Medien, dass vier Zechen geschlossen werden sollten (Pokoj, Brzeszcze, Bobrek-Centrum und Sosnica-Makoszowy). Lange ließen ihre Reaktionen nicht auf sich warten. Am nächsten Tag wurde das Streik- und Protestkomitees des Bündnisses der Gewerkschaften (MKPS) der Region Schlesien/Dabrowa reaktiviert. Dieses Komitee hatte vor zwei Jahren den Generalstreik organisiert.

Versammlungen und erste Proteste

Bald streikten in verschiedenen Zechen 2000 Kumpel unter Tage. Die Bevölkerung der Region reihte sich in den Protest ein: tausende Demonstranten liefen durch Zabrze, Ruda Slaska und Bytom, und bei der Zeche Brzeszcze entstand ein Zeltstädtchen. Am 11.Januar begannen die Verhandlungen mit der Regierungsdelegation. Die Gewerkschaftsvertreter brachen sie jedoch ab, weil sie sich veralbert fühlten. Inkompetenz, fehlende Dialogbereitschaft – so kritisierte der Chef eines TV-Nachrichtensenders, keineswegs ein Kämpfer für Arbeitsrechte, das Verhalten der Regierungsvertreter.

Nun änderte sich die Einstellung zu den Protesten in ganz Polen. Sogar im Internet war das spürbar, dort gab es immer mehr Stimmen, die die Kumpel unterstützten. Auch die überregionalen Medien widmeten sich den Auffassungen der Bergarbeiter. Eine Umfrage von zwei TV-Sendern ergab, dass 68,5% der Bevölkerung die Bergleute unterstützten.

Diesmal verpufften all die üblichen Aussagen der Regierung, wie viel Krankenhäuser sie bauen könnte, wenn sie nicht den Bergbau unterstützen müsste. Die Streikenden erreichten immer mehr Zeichen der Unterstützung aus ganz Polen. Selbst die Gewerkschaft der Polizei unterstützte den Streik offen: «Die uniformierten Dienste – somit auch die Polizei, haben am eigenen Leib erfahren, wie ein Dialog mit der Regierung ausschaut!»

Im Internet

Die Mobilisierung der Bergleute spiegelte sich sogar in den sozialen Netzwerken wieder. Auf Facebook gab es Unterstützerseiten, es wurden Unterstützungsaktionen angeschoben und viele Fotos veröffentlicht. Eine der interessantesten Initiativen war eine Fanseite, auf der die Kumpel Kopien ihrer Lohnzettel veröffentlichten. Das Echo war enorm, wurden sie doch bisher in der staatlichen Propaganda als Krösusse dargestellt. Eine weitere interessante Initiative war eine Seite, die Fotos von verschiedenen Betrieben zeigte, die eine Umstrukturierung bzw. Schließung schon hinter sich hatten. Ein Philosoph und Publizist, der mit der regierenden Bürgerplattform (PO) verbunden ist, meinte deshalb: «Wir sehen die Kumpel eher mit der Hacke in der Hand als mit einem Smartphon, aber sie können recht erfolgreich die neuen Medien zur Verteidigung ihrer Interessen nutzen!»

Der Öffentlichkeit wurde nach und nach bekannt, dass die ökonomischen Gründe, die die Regierung zur Begründung der Zechenschließungen nannte, auf recht wackligen Füßen stehen. So wies zum Beispiel Jerzy Markowski, ein Experte für den Bergbau und ehemaliger Vizeminister im Wirtschaftsministerium, darauf hin, dass die jetzige Regierung und ihr Wirtschaftsminister einen Investitionsplan für die Zeche Brzeszcze akzeptiert hatten, der auch umgesetzt wurde: «Diese Zeche wurde rentabel gemacht, indem sie innerhalb von zwei bis drei Jahren die Zahl der Arbeiter um 40% senkte, hat neue Flöze erschlossen, sie hat ein modernes Verfahren für die Anreicherung und Verarbeitung der Kohle entwickelt und eine Anlage für die Absaugung des Methans gebaut. Jetzt ist alles mit großem Kostenaufwand fertiggestellt, und da wird diese Zeche geschlossen.»

Abmachungen mit einigen Unbekannten

Die Vernichtung von 10000 Arbeitsplätzen durch die Schließung dieser Zechen zieht weitere 30000–40000 Arbeitsplätze nach sich, die direkt oder indirekt damit zu tun haben. Für die Region wäre es eine große gesellschaftliche und soziale Katastrophe, vor allem für die Städte, zu denen die Zechen gehören. «Die Auswirkungen der Schließung der Zeche Pokoj werden massiv sein. Deswegen bin ich mit der Schließung dieser Zeche nicht einverstanden!», erklärte die Stadtpräsidentin von Ruda Slaska, der bedeutendsten Bergbaustadt in Europa. Der Präsident von Gliwice stimmte ihr zu. Für ihn sieht der Plan der Regierung zur Umstrukturierung im Bergbau eher nach einer Erkärung für die Medien aus als nach einem ernstzunehmender Plan für Veränderungen im polnischen Bergbau.

Diese Reaktionen führten die Regierung tief in die Defensive, zumal der Protest drohte, sich über das ganze Land auszudehnen. Die Hoffnungen des früheren Finanzministers Rostowski und vieler anderer Politiker und Publizisten, Ewa Kopacz möge die polnische Margaret Thatcher werden, erfüllten sich nicht. Am 17.Januar unterzeichnete die Regierung ein Abkommen mit den Gewerkschaften und gab dabei die Absicht, Zechen zu schließen, auf.

Die Verständigung war nicht einfach, aber gut. Zumindest haben wir erreicht, dass dem polnischen Bergbau nicht mehr eine Teilliquidierung droht. Es ist ein schwieriges Programm. Der Solidarnosc-Chef der Region meinte: «Leider wird es auch so manchen weh tun.» Es entsteht eine sog. Nowa (neue) Kompania Weglowa, ein Teil der Zechen wird vom «Verband zur Restrukturierung der Bergwerke» übernommen, bevor sie möglicherweise an neue Investoren gehen (z.B. an die öffentliche Hand oder die Energiewirtschaft). Verstärkt wird der Energiesektor vom Bergbau beliefert, die Kumpel verlieren nicht ihre Sonderrechte, die Bedingungen, aus der Arbeit auszuscheiden, wurden verbessert. Vor allen Dingen wurden die Arbeitsplätze erhalten.

Alle Vereinbarungen werfen Fragen auf, so auch diese: Wäre es nicht möglich gewesen mehr zu erreichen? Wurde nicht der Weg zur Privatisierung geöffnet? Und wie wird die EU reagieren, heißt es doch im Beschluss Nr.787 aus dem Jahr 2010, dass nur die Bergwerke mit ihrer Unterstützung rechnen können, die geschlossen werden sollen? Das verbesserte Programm soll 2,3 Milliarden Zloty kosten – paradox 200 Millionen weniger als das vorherige Programm zur Schließung der Zechen. Der Kampf ist gewonnen, ja, aber bis zum Sieg ist es noch weit.

Schwelende Feuer

Die Kompania Weglowa (KW) ist nur einer der Kohlekonzerne. Dies rief einige Tage später der Protest bei Jastrzebska Spolka Weglowa (JSW) in Erinnerung, das Unternehmen ging 2011 an die Börse, obwohl der Staat weiter 55% der Anteile hält. Hier schwelt seit langem ein Konflikt zwischen den Gewerkschaften und der Konzernleitung, deren Chef, Jaroslaw Zagorowski, die längste Dienstzeit in der Branche vorweisen kann.

Die Entlassung von neun Gewerkschaftern der Zeche Budryk goss zusätzlich Öl ins Feuer – sie hatten die Kollegen von KW unterstützt. Die Gewerkschaften werteten die Entlassungen als Bruch der Vereinbarungen vom 17.Januar, in denen zugesichert war, die protestierenden Bergarbeiter nicht zu bestrafen.

Am 28.Januar traten die Bergleute bei JSW in den Streik. Die Kleinanleger wurden daraufhin so wütend, dass sie den Konzernvorstand unterstützten. Eine der Forderung der Bergleute betrifft die Übernahme solcher Beschäftigter, die unter schlechteren Bedingungen [mit einer Art Werkverträgen] beschäftigt wurden.

Ihre Hauptforderung ist jedoch die Abberufung der gesamten Konzernführung, die von den Gewerkschaften als inkompetent betrachtet wird. Das scheint nicht unbegründet zu sein, hat doch die Wirtschaftszeitung Puls Biznesu im März 2013 durchblicken lassen, der Vorstand von JSW habe eine Versicherung in Höhe von 1 Milliarde Zloty abgeschlossen, um sich vor dem Vorwurf der Unwirtschaftlichkeit zu schützen.

Sehr unsicher ist auch die Situation beim dritten Kohlekonzern, der Katowicer Kohle-Holding (KHW), ihr droht im Frühjahr die Zahlungsunfähigkeit.

Der Bergbau ist die letzte Bastion

Trotz des Abkommens vom 17.Januar hat sich die Situation im Kohlebergbau nicht beruhigt. In der deregulierten Wirtschaft ist die Regierung meistens eher mit dem Löschen von Bränden beschäftigt, als mit der Erarbeitung einer dauerhaften Lösung für den Kohlebergbau. Der gesamte Sektor wird zunehmend zerstückelt, was die Ausarbeitung eines Gesamtplans erschwert. Es geht hier um Milliarden Zloty!

Warum ist der Bergbau im Visier jeder Regierung? Weil er unrentabel ist, weil er subventioniert werden muss, so denken die Regierenden. Aber das stimmt einfach nicht. Nach Berechnungen der Industrie- und Handelskammer fließen jährlich 7 Milliarden Zloty aus dem Bergbau in den Staatshaushalt. Das sind vor allem Steuern – die Kohlekonzerne zahlen 23 unterschiedliche Steuern. In den vergangenen 25 Jahren hat der Kohlebergbau insgesamt 200 Milliarden Zloty an den Staatshaushalt abgeführt. Zur gleichen Zeit bekam er aus Warschau 23 Milliarden Zloty Subventionen. Doch allein im Jahr 2013 hat der Staatshaushalt verschiedene andere Betriebe mit 22,7 Milliarden Zloty subventioniert! – unter den größten Nutznießern war kein Kohlekonzern. Natürlich wirkt sich der jüngste Preisverfall negativ auf die Kohlekonzerne aus. Aber wer kann voraussehen, wann die Rohstoffpreise wieder in die Höhe gehen?

Die polnische Wirtschaft ist von der Kohle abhängig. Nach der Schließung der Zechen werden wir von Importen abhängig sein.

Das zeigt, dass die, angeblich ökonomische, Argumentation gegen die Kohleförderung unlogisch ist. Zwei Dinge sind zu vermuten: Entweder gibt es weitere Angriffe auf den Kohlebergbau, weil die Wirtschaftspolitik der Regierung chaotisch ist oder weil die letzte Bastion der organisierten Arbeiterschaft in Polen bewusst zerschlagen werden soll: weil sie normale Löhne, normale Arbeitsverträge und vor allem Gewerkschaften hat. Ohne das geht es aber nur noch abwärts…

Darauf macht auch Jaroslaw Makowski aufmerksam: «Die Kumpel sind in der Lage – was wir in den sozialen Medien gesehen haben –, eine Gemeinschaft von Erfahrungen aufzubauen, sie besitzen einen Ethos, und sie haben verstanden, dass sie nur gemeinsam ihre Interessen verteidigen können. Sie haben ihre Sprache, ihre Rituale, ihre Feiertage. Offensichtlich sind die Bergarbeiter heute die letzte Bastion, in der die Glut der Zusammengehörigkeit glimmt – die Überzeugung, das einer des anderen Last trägt.»

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