von Angela Huemer
«Tonight we honor Hollywood’s best and whitest», heute abend ehren wir die Besten und Hellsten von Hollywood – so eröffnete der Moderator Neil Patrick Harris (ein bekannter TV-Schauspieler) die diesjährige Oscar-Gala. Die Bildregie untermalte dies mit Bildern des Hauptdarstellers des Films Selma, David Oyelowo – er verkörpert Martin Luther King sowie Oprah Winfreys, eine in den USA sehr berühmte TV-Journalistin, die den Film ko-produzierte und darin auch eine kleine Rolle spielt.
Oyelowo, der in Selma eine bravouröse schauspielerische Leistung bietet, wurde nicht als bester Hauptdarsteller nominiert und Ava DuVernay nicht als beste Regisseurin. Der Aufruhr darob war riesig. Selten war in den USA die Debatte um die Zusammensetzung der Filmakademie, deren Mitglieder über die Oscar-Vergabe abstimmen, so groß. Denn die setzt sich grob gesagt zu 70% aus älteren weißen Filmkünstlern zusammen. Beim Oscar gibt es aber eigene Dynamiken. 1993 gewann Denzel Washington für seine Verkörperung von Malcolm X im gleichnamigen Film Spike Lees den Oscar, und im letzten Jahr räumte der herausragende Spielfilm 12 Years a Slave vom schwarzen britischen Regisseur Steve McQueen die meisten Oscars ab.
Schnitt. Der Film. Zu Beginn steht Martin Luther King, ganz privat, vor dem Spiegel und kleidet sich für die Nobelpreisverleihung 1964, Coretta, seine Frau, hilft ihm dabei. Kurz darauf sehen wir vier kleine Mädchen, festlich gekleidet, die fröhlich über ihr modisches Vorbild Coretta King plaudern. Eine Explosion, alle Mädchen tot. Ebenso zu Beginn sehen wir, wie in der Stadt Selma, im Bundesstaat Alabama (der letzte US-Bundesstaat, der die Sklaverei aufhob), Annie Lee Cooper (verkörpert von Oprah Winfrey), eine Altenpflegerin, zum wiederholten Mal versucht, sich in die Wählerliste einzutragen. Der feindselige Beamte verlangt, dass sie die Präambel der Verfassung auswendig zitiert, was sie mit Bravour tut, dann will er wissen, wie viele Richter es in Alabama gibt – auch das weiß sie, erst als sie alle namentlich aufzählen soll, merkt sie, dass ihr auch diesmal die Registrierung verweigert wird. Viel später wird Governor George Wallace süffisant zu Präsident Lyndon B. Johnson sagen, er habe ja keine Gewalt über seine Beamten.
Im Film geht es um die historischen Ereignisse des sog. Bloody Sunday am 7.März 1965, als Polizisten auf friedliche Marschierer der Bürgerrechtsbewegung in Selma mit größter Gewalt vorgingen. Im Zentrum des Films steht Martin Luther King, nicht nur seine öffentliche Figur, sondern auch seine private. Erstaunlicherweise ist es der erste Spielfilm, in dem Martin Luther King so im Mittelpunkt steht. Der Film ist aber kein sog. «Biopic», also eine Filmbiografie. Für den Film konnten auch nicht die Originalreden verwendet werden, da 2009 Steven Spielberg und die Firma Dreamworks die Rechte daran erworben haben, wohl in Planung eines zukünftigen Films über den Bürgerrechtskämpfer. Wenn man das nicht weiß (wie ich beim Ansehen des Films), entgeht einem das, so brillant hat die Regisseurin Ava DuVernay (die im übrigen als erste schwarze Frau für den Golden Globe nominiert wurde) Martin Luther Kings Reden paraphrasiert.
Dem Film gelingt ein Drahtseilakt. In einer Mischung aus Fiktion und Realität – besonders deutlich in den Begegnungen zwischen Präsident Lyndon B. Johnson und Martin Luther King – vermittelt er einen Eindruck der dramatischen Ereignisse von vor 50 Jahren, die schließlich zur Reform der Wahlrechtsgesetze führten. Dabei geht es auch um verschiedene mögliche Arten des politischen Kampfes, auch um interne Debatten der Bürgerrechtsbewegung über kontroverse Entscheidungen von Martin Luther King.
Gegen Ende greift die Regisseurin auf originale Filmaufnahmen zurück. Die Geschehnisse wurden damals von den Fernsehnachrichten übertragen und erregten riesigen Aufruhr in den USA und international. Zur Zeit wirken sie fast aktuell, denn auch dieser Tage regt sich Unmut darüber, wie die Polizei mit jungen schwarzen Männern umgeht.
Wer kann, sollte den Film im Kino ansehe, er verdient die Konzentration, die man nur dort aufbringen kann. Und es lohnt sich, falls möglich, hier die Originalversion zu sehen, ich kann mir nur schwer eine deutsche Version vorstellen. Übrigens, einen Oscar gewann der Film, die Musiker Common und Johnny Legend bekamen ihn für den «Best Original Song», das beste Lied, das eigens für einen Film geschrieben wurde.
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