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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 03/2015
Erbe oder Verfälschung der 15M-Bewegung?

von Jesús Jaén

Am 31.Januar hat Podemos in Madrid zu einer riesigen Demonstration aufgerufen. Laut Polizei nahmen rund 100000 Menschen daran teil, nach Angaben der Organisatoren 300000. Sie war vergleichbar mit den Kundgebungen der sog. Indignados bzw. den Generalstreiks im Jahr 2012.Der Unterschied war jedoch, dass diese Demonstration von der knapp ein Jahr alten Partei Podemos initiiert wurde. Der Erfolg begeisterte nicht nur diejenigen, die sich aktiv bei Podemos engagieren, sie riss auch viele Menschen mit, die auf ein Ende der neoliberalen Hegemonie und der Regierungen im Dienste der herrschenden Klasse hoffen.

Doch wollen wir hier auch Elemente aufzeigen, die weniger positiv sind und Anlass zur Sorge bereiten.

Ein neuer Akteur

Die Demonstration fand in einer neuen politischen und sozialen Situation statt. Nach Jahren der Straßenproteste, Streiks und Besetzungen trat die politische Periode, die von der 15M-Bewegung eingeleitet wurde, in eine neue Phase. Jetzt liegt das Augenmerk weniger auf Massenmobilisierungen als auf dem Ziel, die etablierten Parteien aus zentralen Institutionen zu jagen.

Die Geburt von Podemos brachte eine Umwälzung in der politischen Struktur der Linken: Auseinandersetzungen in Izquierda Unida (Vereinigte Linke, die linke Koalition, die von der PCE angeführt wird); Aufruhr innerhalb der Sozialistischen Partei (PSOE) und die Bildung neuer politischer Gruppen und Koalitionen in Hinblick auf die Wahlen im Mai 2015.

Die Führung von Podemos wollte auf dem Platz Puerta del Sol in Madrid ihren Aufschlag als politische Partei zelebrieren. Der Platz war nicht zufällig gewählt, hier hatten sich vor drei Jahren die Indignados versammelt. Heute will sich Podemos als legitimer Erbe der größten sozialen und politischen Bewegung seit dem Fall der Franco-Diktatur präsentieren.

Einige Beobachter meinen, dass Podemos den «Sprung in die Politik» darstellt, den die 15M-Bewegung nie getan hat. Ich denke, das ist nicht richtig, wir haben es vielmehr mit zwei separaten, gleichzeitig entstandenen politischen Plattformen zu tun. Die 15M-Bewegung verkörperte in ihrer Anfangszeit die breite Ablehnung des politischen und wirtschaftlichen Systems. Podemos ist ein neuer Akteur, entstanden aus dem Nachhall von 15M mit dem Ziel, die Institutionen und die politische Macht innerhalb des Systems zu übernehmen. Wenigstens ist das der Eindruck, den man nach der Bürgerversammlung und den Vorschlägen von Podemos im Nachklapp der Europawahlen gewinnt.

Die Demonstration vom 31.Januar war Ausdruck der unterschiedlichen Natur dieser beiden Akteure. Während 15M viele junge Menschen rund um das Thema «Systemveränderung» auf individueller und globaler Ebene anzog, spricht Podemos unterschiedliche Altersgruppen an, einschließlich Teile der alten Linken: Die Partei setzt sich sozial mehrheitlich aus der Arbeiterklasse zusammen.

Alte Modelle

Die große Beteiligung am 31.Januar darf nicht über die Schwächen hinwegtäuschen – etwa die einseitige Entscheidung von Podemos, zur Demonstration aufzurufen, ohne die Basis zu konsultieren. Das hat zu Spekulationen geführt, ob Podemos den Platz der politischen Alternative zur Regierung allein einnehmen will.

Nicht wenige Unterstützer schreiben den Erfolg der Demonstration dem Genie der Parteisprecher Pablo Iglesias und Iñigo Errejón zu. Ich bin ganz anderer Ansicht, zeigen doch die Erfahrungen von 15M, von den Platzbesetzungen und den Märschen für Würde, dass Demokratie und Selbstorganisation von unten sowie die Vernetzung von Kollektiven, Plattformen und Organisationen die beste Art sind, Massenmobilisierungen zum Erfolg zu führen.

Die Art und Weise, wie wir in den vergangenen Jahren soziale Bewegungen aufgebaut haben, hat ein Demokratieverständnis geschaffen, das die alte bürokratische Top-down-Methode ablehnt, die wir drei Jahrzehnte lang bei den Mainstreamgewerkschaften und bei PSOE und PCE erlebt haben.

Die Demonstration war ein Erfolg, jedoch nicht wegen der Top-down-Methode, mit der sie angestoßen wurde. Ihr Erfolg entsprang dem überwältigenden Wunsch von Millionen von Menschen nach Veränderung. Sie sehen in Podemos das beste Werkzeug dafür. Der Wunsch nach Veränderung beherrscht das politische Klima und wird es lange Zeit beherrschen – ungeachtet der Kritik an möglichen Fehlern.

Es wäre jedoch ein großer Fehler, wenn die Führung von Podemos, gestützt auf diesen Wunsch nach Veränderungen bei den kommenden Wahlen, die demokratische politische Kultur, die in harter Arbeit im Verlauf der 15M-Bewegung erkämpft wurden, beiseite drängen würde.

Keine politische Struktur repräsentiert alle politischen Positionen innerhalb der sozialen Bewegungen und der Arbeiterbewegung, keine kann die Komplexität und Heterogenität der sozialen und kulturellen Zusammensetzung der Zivilgesellschaft im 21.Jahrhundert ignorieren.

Der Prozess der konstituierenden Versammlung hat wichtige demokratische Defizite offenbart. Die Parteiführung hat sich für ein monolithisches innerparteiliches Regime entschieden, das erfüllt uns mit Sorge. Interne und öffentliche Debatten über diese Fehler wurden unter dem Motto erstickt: «Schließt die Reihen gegen den Feind». Pablo Iglesias besteht zunehmend darauf, dass wir «gekommen sind um zu gewinnen» und es scheint, als werde dem alles andere untergeordnet.

Es ist aber nicht nur das. Mit der Einschränkung der innerparteilichen Demokratie geht eine Verwässerung des Programms einher – und zwar ohne öffentliche Diskussion.

Hoffnung auf Veränderung

Unsere Desillusionierung erreichte ihren Höhepunkt, als wir durch die Medien erfuhren, dass Pablo Iglesias und Iñigo Errejón heimlich den Multimillionär und ehemaligen sozialdemokratischen Minister José Bono und den ehemaligen Vorsitzenden der PSOE, José Zapatero, getroffen haben. Wir wissen nicht, ob dies Teil einer neuen Strategie ist, um die Mittelklasse und Teile des Staatsapparats zu gewinnen, oder ob es Ausdruck einer politischen Verwirrung ist.

Wie dem auch sei, Podemos erreicht nach wie vor spektakuläre Umfragewerte. Wir kritisieren hier nicht die Hauptsorge normaler Menschen. Für die Mehrzahl der Menschen sind Themen wie Armut, Ungleichheit, Zwangsräumungen, Kürzung der Sozialausgaben und Korruption viel wichtiger als die demokratische Natur oder das Programm von Podemos. Pablo Iglesias und Podemos leben weiterhin in einer Art «Gnadenzeit», in der alles vergeben wird, wenn dafür eine neue politische Kraft siegt. Für die Mehrzahl der Menschen ist die Hoffnung von Bedeutung: «Wir können es verwirklichen!», noch bevor sie eine Antwort auf die Frage haben: «Wie können wir es umsetzen?»

Damit ist nicht gesagt, dass wir als Teil der antikapitalistischen Bewegung uns nicht an den Debatten über Strategie, Taktik, Programm oder Demokratie beteiligen wollen. Wir müssen die feindliche Regierung bekämpfen, aber wir müssen auch weiterhin auch mit unseren Freunden diskutieren.

Jesús Jaén ist Mitglied von Anticapitalistas, einer Strömung, die an der Gründung von Podemos beteiligt war und die Mitglieder der IV.Internationale in Spanien organisiert.

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