Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

Bert Brecht hielt nicht viel vom Recht auf geistiges Eigentum. Wir auch nicht. Wir stellen die SoZ kostenlos ins Netz, damit möglichst viele Menschen das darin enthaltene Wissen nutzen und weiterverbreiten. Das heißt jedoch nicht, dass dies nicht Arbeit sei, die honoriert werden muss, weil Menschen davon leben.

Hier können Sie jetzt Spenden
PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 03/2015
Die Chance nutzen!

von Angela Klein

Der Regierungsantritt von SYRIZA ist eine Chance für die Linke in Europa und für alle sozialen Bewegungen, die gegen die Kahlschlagpolitik und für einen sozialen Ausweg aus der Krise kämpfen.Wie gehen wir mit dieser Chance um? Zunächst müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass das Kräfteverhältnis für diese Regierung miserabel schlecht ist. Der Februar 2015 war so mit der schlechteste Zeitpunkt für die Regierungsübernahme überhaupt: Schon am Tag nach der Wahl wurde die Regierung mit Zahlungsforderungen der EZB bedrängt und sie ist hat nicht weniger als sieben Fälligkeitsdaten in diesem Jahr zu überstehen. Von nun an schwebt tagtäglich das Damoklesschwert des Staatsbankrotts über ihr. Und der Verhandlungsverlauf in Brüssel zeigt, dass die Gläubiger nicht einmal bereit sind, Griechenland einen Zahlungsaufschub von einigen Monaten zu gewähren, damit das Land wieder auf die Beine kommt. Dabei geht es ihnen in erster Linie gar nicht um das Geld, sondern um das Dogma: Von der Politik der Diktate und des sozialen Kahlschlags darf es in Europa keine Ausnahmen geben, ganz gleich, was das an sozialen Verheerungen kostet. Die Ideologen sitzen in Berlin und Brüssel, nicht in Athen.

Natürlich geht es auch darum, jeden Ansatz für eine linke Alternative in Europa im Keim zu ersticken. Schließlich ist die Regierung SYRIZA die erste linke Regierung seit der Nelkenrevolution in Portugal 1975. Danach begann die neoliberale Konterrevolution, unter der wir bis heute leiden. Jetzt haben wir erstmals eine Chance, das Ruder wieder herumzudrehen.

Wie können wir das Kräfteverhältnis verbessern? Vor allem dadurch, dass wir immer besser und konkreter verstehen (und danach handeln): In Griechenland geht es um unsere Zukunft, nicht nur um Sympathie mit einem liebenswürdigen Volk! Der Kampf der Griechinnen und Griechen ist unser Kampf, in diesem Bewusstsein müssen wir von nun an die Auseinandersetzung um einen radikalen Kurswechsel in Deutschland wie in Europa führen. Lohnsenkungen, Aushebelung der Tarifverträge und des Streikrechts, Verwahrlosung der öffentlichen Dienste, Schleifung sozialer Rechte – das alles ist längst auch in Deutschland angekommen, auch wenn wir insgesamt noch über ein größeres Polster verfügen. Doch das schmilzt mehr und mehr dahin.

Allein wird Athen den Karren nicht aus dem Dreck ziehen können. Die Gläubiger haben die Hilfe der EU gebraucht, um ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen. Die Leidtragenden brauchen den europäischen Klassenkampf, um das Schuldenjoch abzuschütteln. Dazu haben wir in Deutschland unseren Beitrag zu leisten.

Die Risse erweitern. Wir erleben auch, dass der Streit um den Umgang mit der griechischen Regierung bis in die obersten Ränge der EU reicht. Er bewirkt Risse im bisherigen Sparkonsens. Diese Risse müssen wir vertiefen, indem wir die Herrschenden durch eigene Initiativen, die bei der breiten Bevölkerung Gehör finden, unter Druck setzen und Positionen gewinnen, die für uns erreichbar sind.

Auf dem Vernetzungstreffen der Griechenland-Solidaritätskomitees am 21./22.2. in Köln haben wir zwei davon ausfindig gemacht: die Medien und die Gewerkschaften. Bei den Medien geht es darum, den bleiernen Deckel der Desinformation und Lügen über Griechenland aufzubrechen. Wir arbeiten daher am Aufbau eines Netzwerks von griechenlandfreundlichen Journalisten. Und wir erstellen eine gemeinsame Webseite, die in Zusammenarbeit mit SYRIZA-Vertretern in Deutschland unverfälschte Informationen über die Tätigkeit der Regierung und über die Debatten in SYRIZA bringt. Dazu brauchen wir auch ein Netzwerk von Übersetzern, das ebenfalls aufgebaut werden muss.

In Planung sind gleichfalls ein großes Solikonzert und ein Kongress im Herbst, die vor allem mediale Aufmerksamkeit erregen sollen.

Eine richtiggehende Kehrtwende stellt der Solidaritätsaufruf der deutschen Gewerkschaftsvorsitzenden dar (siehe nebenstehend): Haben sie 2011 noch in ganzseitigen Anzeigen gemeinsam mit dem Unternehmerverband für die Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) geworben, für den Mechanismus also, der die Rettung der Banken ermöglicht hat, steht eben diese Bankenrettung heute im Kreuzfeuer ihrer Kritik. Inzwischen wird der Aufruf von Personen und Organisationen aus ganz Europa unterschrieben, die Initiatoren peilen eine sechsstellige Unterschriftenzahl an. Er ist ein wertvolles Instrument, um mit Gewerkschaftsmitgliedern ins Gespräch zu kommen und sie für Aktionen zu gewinnen. Vor allem der 1.Mai soll dazu genutzt werden.

Wie gehen wir mit der SYRIZA-Regierung um? SYRIZA hat nicht den Sozialismus versprochen, sondern die Beendigung der Spardiktate, damit die Menschen wieder ein Minimum zum Leben und eine Perspektive haben. Solange die Regierung dabei bleibt, verdient sie Unterstützung. Solange Griechenland auf diesem Weg aber allein bleibt, muss die Regierung Kompromisse machen, je länger, desto mehr. Tsipras sagt im Stern (19.2.): «Ich will eine Lösung, bei der alle Seiten gewinnen. Wir werden im Euro bleiben. Aber wir werden dieses Ziel nicht auf Kosten der Schwachen erreichen.» Viele halten beides zusammen für unrealistisch. Doch was wirklich möglich ist, stellt sich letzten Endes in der Praxis heraus. Es gibt kein fertiges Drehbuch, es gibt für uns nur die Möglichkeit, die Kampffront gegen die Gläubiger und ihre Vasallen in den Regierung zu erweitern.

Die Kompromisse werden kritisch diskutiert werden müssen. Doch nicht von der Warte aus: «nach SYRIZA kommen wir» (welch eine Fehleinschätzung!), sondern von der Warte aus: «Wir tun alles, damit diese Regierung ihre Ziele erreicht.» Tut sie es nicht, wird das die schlimmste Niederlage für die europäische Linke seit langem.

Teile diesen Beitrag:

Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen

Spenden

Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF


Schnupperausgabe

Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.