von Manfred Dietenberger
Es war nicht anders zu erwarten. Die Unternehmer gönnen ihren Untergebenen nicht die Butter aufs Brot. Der Mindestlohn bringt sie immer noch in Rage und in Angst um ihren Profit. Doch eigentlich verdient der seit Januar geltende gesetzliche Mindestlohn seinen Namen nicht.Wer heute für 8,50 Euro die Stunde arbeitet, gehört zu den Niedriglöhnern. Beim Anteil der Niedriglöhner liegen wir im EU-Vergleich auf Platz 2, hinter Litauen. Den kleinsten Niedriglohnbereich haben Belgien, Frankreich, Italien sowie die skandinavischen Länder. Doch gegen Altersarmut hilft nur ein Kraut: Nur wer auskömmlich bezahlt wird, wird auch im Alter von seiner Rente leben können.
Altersarmut vorprogrammiert
Mit einem Stundenlohn von 8,50 Euro kommt ein Vollzeitbeschäftigter auf knapp 1500 Euro brutto im Monat. Das reicht schon heute kaum, um über die Runden zu kommen, und schon gar nicht später für eine auskömmliche Rente. Ein Inflationsausgleich oder gar eine Anpassung an das Produktivitätswachstum ist nicht vorgesehen. Außerdem gab es schon im Koalitionsvertrag einen ganzen Katalog mit Ausnahmen und Schlupflöchern. Kein Wunder dass die Deutsche Rentenversicherung und der Paritätische Wohlfahrtsverband im Zusammenhang mit dem Mindestlohn vor drohender Altersarmut warnen: «Um eine ausreichende Rente zu erhalten, muss der Stundenlohn deutlich über 13 Euro liegen», so der Hauptgeschäftsführer des Verbandes, Ulrich Schneider. Ohne Vollerwerbstätigkeit reichten auch 13 Euro noch nicht aus. Auch Rentenversicherungspräsident Reimann gibt in der Süddeutschen Zeitung zu, dass ein Beschäftigter, der auf Dauer nur den Mindestlohn verdient, über die soziale Grundsicherung kaum hinauskommt. Selbst mit einem Mindestlohn von 10 Euro pro Stunde, wie ihn der Ver.di-Vorsitzende Bsirske fordert, muss man 45 Jahre arbeiten, um im Alter über den Grundsicherungsbetrag zu kommen.
Der am 1.Januar 2015 eingeführte Mindestlohn verdient also seinen Namen nicht und steht dennoch unter dem geballten Sperrfeuer der Profitlobbyisten und ihrer Medien. Zurecht findet die Vorsitzende der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), Michaela Rosenberger, die Angriffe «unerträglich». Die jüngste Studie des Tübinger Instituts für Angewandte Wirtschaftsforschung (IAW) zur Schattenwirtschaft beweise nicht, dass der gesetzliche Mindestlohn mehr Schwarzarbeit fördert. «Es ist gerade umgekehrt: Die Studie bestätigt die Notwendigkeit der Kontrolle. Nur wenn der Mindestlohn kontrolliert werden kann, wird er auch umgesetzt werden. Deshalb dürfen die geplanten 1600 zusätzlichen Stellen für die Finanzkontrolle Schwarzarbeit nicht infrage gestellt werden. Da Minijobs besonders anfällig für die Umgehung des Mindestlohns und die Zahlung von Schwarzgeld sind, ist die Pflicht zur Aufzeichnung der tatsächlichen Arbeitszeiten zwingend.» Gerade im Gaststättengewerbe versuchen viele Chefs mit vielen Tricks, den gesetzlichen Mindestlohn vor allem bei Minijobs zu umgehen.
Ausnahmen und Finten
Ausnahmen gibt es mehr als genug. Für einige Branchen, zum Beispiel die deutsche Fleischwirtschaft, wurden vorneweg Übergangsfristen vereinbart, d.h. die Einführung des Mindestlohns erfolgt schrittweise. In der Fleischwirtschaft liegt er derzeit bei 8 Euro, er steigt zum 1.Oktober 2015 auf 8,60 Euro pro Stunde, ab Dezember 2016 beträgt er dann 8,75 Euro.
Der gesetzliche Mindestlohn gilt nicht für Personen unter 18 Jahren ohne Berufsabschluss, für Auszubildende sowie für Langzeitarbeitslose in den ersten sechs Monaten einer Beschäftigung. Ebenso ausgenommen sind Pflichtpraktika und freiwillige Praktika mit einer Dauer von bis zu drei Monaten in Ausbildung oder Studium. Für Branchen mit länger laufenden Tarifverträgen gelten Übergangsregelungen. Diese dürfen bis Ende 2016 von der gesetzlichen Lohnuntergrenze nach unten abweichen. Langzeitarbeitslose werden daher wohl künftig nur noch für sechs Monate eingestellt, denn nur so lange muss für sie kein Mindestlohn bezahlt werden; nach dem halben Jahr werden sie durch andere Langzeitarbeitslose ersetzt werden.
Anderen Beschäftigten wird einfach das bisher bezahlte Urlaubs- und Weihnachtsgeld gestrichen. Für Saisonarbeiter in der Landwirtschaft oder Gastronomie gilt zwar der Mindestlohn, doch wird die Befreiung von der Sozialversicherungspflicht von 50 auf 70 Tage ausgeweitet (also quasi für die gesamte Erntezeit), befristet auf vier Jahre. Zudem können Kost und Logis leichter verrechnet werden. Zeitungszusteller bekommen 2015 nur 75% des Mindestlohns, also 6,38 Euro. Im Jahr darauf sollen es 7,22 Euro sein, von 2017 an dann 8,50 Euro. Weiter ist zu befürchten, dass Fast-Food-Ketten zwar die 8,50 Euro zahlen, im Gegenzug aber Sonderzahlungen streichen. Schon jetzt sind bei den Gewerkschaften eine Menge derartiger Fälle bekanntgeworden.
Ein Sprecher von Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) kommentiert diese Entwicklung moralisierend: «Den Mindestlohn nun mit Tricks und Täuscherei zu umgehen, ist gegenüber den Beschäftigten wie auch den ehrlichen, aufrichtigen Arbeitgebern unsozial.» Daher müssten erwischte Unternehmen mit hohen Strafen rechnen. Bis zu 500000 Euro können fällig werden. Die zuständigen Zollbehörden sollen dafür um 1600 Mitarbeiter aufgestockt werden. Notwendig aber wären nach Ansicht der IG Bau 3000 zusätzliche Kontrolleure. Und bis die Stellen eingerichtet sind, lässt sich der Mindestlohn bauernschlau oder mit rechtsanwaltlicher Hilfe umgehen. Die wird allenthalben feilgeboten. Angebote oder Werbung für Rechtsberatung mit dem erklärten Ziel, gegen das Mindestlohngesetz zu verstoßen, verletzten geltende Vorschriften, warnt das Bundesarbeitsministerium. Der Tausch von Zulagen gegen Mindestlohn hingegen ist lediglich «nicht fair».
Lizenz zum Verstoß
Vielen Arbeitgebern sind diese Ausnahmen immer noch nicht genug. CSU-Vorsitzender Horst Seehofer macht sich zu ihrem Sprecher: «Der CSU geht es nicht um den Mindestlohn an sich, sondern es geht um einen Irrsinn an Bürokratie.» In der Großen Koalition will die CSU durchsetzen, dass Arbeitgeber sowohl bei Minijobbern als auch in den im Antischwarzarbeitsgesetz genannten Branchen die Arbeitszeiten nicht mehr dokumentieren müssen. Firmen sollen nicht mehr für Mindestlohnverstöße von Subunternehmern haften. Der Zoll soll seine Mindestlohnkontrollen sofort einstellen. Und ehrenamtliche Zusatzjobs in Sportvereinen, Wohlfahrtspflege und andere Bereiche sollen von mindestlohnpflichtigen, regulären Tätigkeiten getrennt werden.
Gerda Hasselfeldt, die CSU-Landesgruppenchefin, springt ihm bei und fordert die Arbeitsministerin auf, die Mindestlohn-Kontrollen bis auf weiteres komplett auszusetzen. Geht nicht? Geht! Nahles hat doch schon die Kontrollen beim reinen Lkw-Transit ausgesetzt.
Und es droht noch mehr. Die Wirtschaftsexperten der Union wünschen sich eine Evaluation des Gesetzes bis zum 30.Juni dieses Jahres – die SPD hat sich auf die Frist bereits eingelassen. Vorher wird die offizielle Kommission zur Prüfung und Weiterentwicklung der Lohnuntergrenze im Bund zusammenkommen (am 27.2.). Sie soll u.a. die Wirkungen des Gesetzes prüfen.
Noch bis zum 31.März 2015 hat der DGB eine Mindestlohnhotline zu Fragen rund um den gesetzlichen Mindestlohn geschaltet: (0391) 4088003.
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