von Jochen Gester
Staatliche Versuche das Streikrecht einzuschränken sind keine deutsche Spezialität. Das zeigt der Blick nach Europa. Gesetze oder geplante Initiativen dazu gibt es bereits in Frankreich, Italien und Spanien, gar nicht zu reden von der Aufhebung des gewerkschaftlichen Koalitionsrechts unter der Herrschaft der Troika in Griechenland. In dessen Nachbarland Türkei zieht Regierungschef Tayyip Erdogan nun nach.Am 30.Januar ließ die AKP-Regierung einen Arbeitskampf in der türkischen Metallindustrie für zwei Monate aussetzen. Sie stützt sich dabei auf ein Ausnahmerecht aus Zeiten der Militärdiktatur Anfang der 80er Jahre. Der Notstandsparagraf erlaubt es, einen Streik für sechs Monate auszusetzen, wenn die «nationale Sicherheit» gefährdet ist. Schon vor einigen Monaten hatte die Regierung einen Streik von Glasarbeitern mit Verweis auf die Bedrohung des «öffentlichen Wohls» unterbinden lassen. Und davor traf es die Bergarbeiter.
Die türkische Metallindustrie hat sich auf Basis eines relativ niedrigen Lohnniveaus zu einer von vielen Großunternehmen begehrten Fertigungsplattform entwickelt. Ihr Anteil an den nationalen Exporten der Türkei beträgt 40%. In dieser Branche ist der gewerkschaftliche Organisationsgrad mit insgesamt 16% für türkische Verhältnisse eher gut. Es gibt drei vertragsschließende Gewerkschaften. Die größte unter ihnen ist mit 117000 Mitgliedern Turk Metal. Auf sie entfällt von den branchenweit 16% gewerkschaftlich Organisierten der Löwenanteil von 12%. Die Gewerkschaft Celi-Is hält einen Anteil von gut 2% und die Gewerkschaft Birlesik-Metal knapp 2%. Turk Metal ist verbandelt mit der MHP, der Partei der faschistischen Grauen Wölfe, in der Celi-Is gibt die islamisch-konservative AKP den Ton an. Nur die eher sozialdemokratisch agierende Gewerkschaft Birlesk-Metal, die zum Dachverband DISK gehört, steht in einer linken Tradition. Gegen sie richtet sich das Streikverbot der Regierung.
Die Forderungen
Auslöser des aktuellen Konflikts war ein Tarifabkommen, das Turk-Is und Celi-Is mit dem Arbeitgeberverband der Metallindustrie MESS vereinbart hatten. Bis zu dieser Vereinbarung wurden Parallelverhandlungen mit allen drei Verbänden geführt.
Nachdem Turk-Is und Celi-Is am 15. und 17.12.2014 unterschrieben hatten, machte der Arbeitgeberverband auf die Birlesk-Is Druck, ebenfalls zu unterschreiben. Im Vokabular des Tarifeinheitsgesetzes hieße das «nachzeichnen». Doch Birlesk-Is will keinen Tarifvertrag unterschreiben, den seine Mitglieder ablehnen.
Die zur Unterschrift bereiten Gewerkschaften hatten eine durchaus akzeptable Lohnerhöhung ausgehandelt. Sie liegt mit fast 10% deutlich über der Inflationsrate von knapp 4%. Dazu kommen noch Sonderzahlungen, z.B. für Kinder. Doch eine spürbare Verbesserung der sozialen Situation bewirkt diese lineare Lohnerhöhung nur für eine Minderheit der Lohnabhängigen. 70% der Beschäftigten in diesem Sektor erhalten erschreckend niedrige Löhne. Die Eingangslohngruppe liegt bei 2,20 Euro, nur wenige Cent über dem Mindestlohn. Man muss sich dabei vergegenwärtigen, dass die Mehrheit der Unternehmen, um die es hier geht, Zulieferbetriebe für Konzerne sind, die ihren Sitz entweder in den USA, in Deutschland, Frankreich, Holland oder Japan haben. Deshalb wirft Birlesk-Is den andern Gewerkschaften auch vor, mit dem Abschluss eine Zementierung des Niedriglohnsektors zu betreiben.
Ein zweiter Kritikpunkt waren die Laufzeiten des Tarifvertrags. Für Birlesk-Is ist die dreijährige Laufzeit zu lang. Die Gewerkschaft möchte für ihre Mitglieder eine Verkürzung auf zwei Jahre durchsetzen.
Für diese Ziele rief die Birlesk-Is ihre Mitglieder am 29.Januar zu einem unbefristeten Streik auf. In zwei Wellen sollten insgesamt 40 Betriebe mit einer Gesamtzahl von 15000 Beschäftigten erfasst werden. Die zweite Welle war für den 19.Februar geplant. Doch der Streik wurde am Folgetag von der Regierung für rechtswidrig erklärt.
Mit einem durchaus vergleichbaren Szenario werden wir in Zukunft auch in Deutschland rechnen müssen, wenn die sog. Tarifeinheit eingeführt wird, spätestens aber mit dem Schlichtungsmodell der CSU. Das Streikvorhaben ist dann entweder «nicht verhältnismäßig» oder es «gefährdet die Daseinsvorsorge».
Weltweite Unterstützung
Angesichts starker Repressionsdrohungen der Regierung forderte der Vorstand der Birlesk-Is die Beschäftigen der 22 Betriebe, in denen bereits die Arbeit ruhte, dazu auf, die Arbeit wieder aufzunehmen. Doch möchte der Verband nicht die Waffen strecken und empfiehlt den Metallern kreative Maßnahmen zur Verlangsamung der Produktion. Als Zielmarke hat er eine Drosselung auf 20% zur Diskussion gestellt. In der Mehrheit der Betriebe war daraufhin der Streik zu Ende. Nur in fünf Betrieben mit etwa 600–700 Beschäftigten ging der Ausstand weiter. In diesen Betrieben gingen die Kollegen zwar wieder in den Betrieb zurück, doch sie weigerten sich, wieder an die Arbeit zu gehen.
Der Arbeitskampf der Metaller und der repressive Kurs der AKP-Regierung haben international großen Widerhall gefunden. In einer Presseerklärung weist der globale Dachverband der Industriegewerkschaften IndustriALL darauf hin, dass sich die Funktionäre der Birlesk-Is in dieser Auseinandersetzung unbezahlt engagieren, um alle finanziellen Ressourcen für den Streik einzusetzen. IndustriALL verurteilt die Aushebelung des Streikrechts und verspricht, man werde sich in die Streikfront einreihen. Die Birlesk-Is erhielt Solidaritätserklärungen aus vielen Ländern, u.a. aus Italien, Großbritannien, Griechenland und Brasilien. Auch die IG Metall schrieb einen Brief an den türkischen Ministerpräsidenten Erdogan. Darin heißt es: «Die IG Metall verurteilt das von der türkischen Regierung ausgesprochene Streikverbot für die Birlesik Metal-Is vom 30. Januar. Sie fordert die Rücknahme des Streikverbots. Streik ist das legitime Mittel jeder Gewerkschaft und das Recht jeder Arbeitnehmerin und jedes Arbeitnehmers.» Daran sollte man im Kontext der Debatte um die «Tarifeinheit» mal erinnern.
Solidaritätserklärungen an die Birlesk-Is-Kollegen können an folgende Mail-Adresse verschickt werden: info@birlesikmetal.org.
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