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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 04/2015
In NRW kommt der Klimaschutz unter die Räder

von Heidemarie Behrens

Seit fünf Jahren regiert in Nordrhein-Westfalen Rot/Grün, seit drei Jahren mit eigener absoluter Mehrheit. Was hat diese Mehrheit NRW bisher gebracht?Viele für den Klima- und Umweltschutz wichtige Projekte werden derzeit heiß und öffentlich diskutiert. Leider drohen sie so weichgewaschen zu werden, dass Umwelt- und Zukunftsaspekte auf der Strecke bleiben. Die SPD mit ihrer altbackenen Wirtschaftspolitik boykottiert jedes zukunftsfähige Gesetz und bekommt dafür starke Unterstützung von CDU und FDP.

Da wäre zunächst das Klimaschutzgesetz NRW und der dazugehörige Klimaschutzplan.

Das Klimaschutzgesetz datiert aus dem Jahr 2013. Es enthält das Ziel, die Treibhausgasemissionen bis 2020 um mindestens 25%, bis 2050 um mindestens 80% zu reduzieren (gegenüber 1990). Das sind auch schon die einzigen konkreten Ziel in diesem Gesetzes. Und damit hält es nicht einmal die EU-Vorgaben ein, die sehen nämlich vor, die Treibhausgase bis 2050 auf 95% zu reduzieren. Doch das soll für das Kohleland Nordrhein-Westfalen nicht gelten. Dabei sind die Klimaschutzziele nur zu erreichen, wenn die Braun- und Steinkohleverstromung vom heutigen Niveau bis zur Jahrhundertmitte auf nahezu Null zurückgefahren wird.

Mit welchen konkreten Maßnahmen die Klimaschutzziele erreicht werden können, soll in einem Klimaschutzplan festgehalten werden, aber auch in den neuen Landesentwicklungsplan (LEP) einfließen. Diesen beiden Plänen kommt daher in naher Zukunft große Bedeutung zu.

Klimaschutzplan

Der Klimaschutzplan soll nach Ostern stehen. In ihn sollen die Ergebnisse einfließen, die in einem jahrelangen Beteiligungs- und Dialogprozess gesammelt wurden, an dem Kommunen, Wirtschafts- und Umweltverbände, Energieversorger, Gewerkschaften, Kirchen, Parteien und alle interessierten Bürgerinnen und Bürger teilgenommen haben. Zu diesen Ergebnissen zählen etwa Vorschläge wie Verstärkung der energetischen Gebäudesanierung, Einrichtung einer Plattform für Energiegenossenschaften, Förderung der Mobilitätswende, Ausbau der Fernwärme…

Doch die Kohlelobby und ihr Wirtschaftsminister, Garrelt Duin von der SPD, laufen schon Sturm, sie dringen auf weiteren Braunkohleabbau und den Weiterbetrieb von Kohlekraftwerken. Die Braunkohle sei lebenswichtig für den Industriestandort NRW. Dabei ist es die schmutzigste Energiegewinnung, die es gibt. Doch sie bringt den Energiekonzernen hohe Gewinne auf Kosten der Umwelt, des Weltklimas und der Gesundheit der Menschen.

Leider spielen die Grünen mit. Sie dulden den Weiterbetrieb der alten Kohlewerksblöcke Datteln 1–3, bis sie von Datteln 4 abgelöst werden. Dieses Kraftwerk ist noch im Bau. Es ist jedoch ein Schwarzbau, weil es nicht am vorgesehenen Standort errichtet wurde, sondern ein paar Kilometer weiter. Nun soll es nachträglich legalisiert und mit Hilfe eines Zielabweichungsverfahrens neu genehmigt werden. Dem haben die Grünen im Regionalverband Ruhr zugestimmt. So sieht die Umweltpolitik aus, wenn es um Macht und Mitregieren geht.

Auch Steinkohle wird weiter verfeuert. Datteln 4 etwa soll mit Steinkohle betrieben werden. Die kommt inzwischen aus Kolumbien und Australien. Die Steinkohlesubventionen aber laufen weiter, der Kohlepfennig läuft erst 2018 aus. Und sie sind immer noch beträchtlich: Im Zeitraum 1990–2015 beliefen sich die Steinkohlesubventionen in NRW auf 91,265 Mrd. Euro, von denen das Land 14,682 Mrd. Euro aufbringen musste, der Bund (bis 1995 inkl. Kohlepfennig) 76,582 Mrd. Euro (=83,9%). Was hätte man mit dieser Summe für die Umwelt, die Gesundheit der Menschen und zukunftsfähige Arbeitsplätze in NRW nicht alles erreichen können!

Die Grünen wollen eigentlich von der Braunkohle und Steinkohle weg, die Wende soll mit dem Klimaschutzplan eingeleitet werden. Wenn sich die erneuerbaren Energien weiter durchsetzen, braucht auch NRW die Braunkohle nicht mehr. Deshalb haben die Koalitionsparteien im letzten Wahlkampf den Willen bekundet, den Braunkohletagebau um ein Viertel zurückzufahren. Das beträfe vorrangig Garzweiler II.

Das ist jedoch nicht mehr als ein kleines Schmankerl für die Grünen. Denn die Reduzierung ist allein der Tatsache geschuldet, dass Braunkohle aufgrund der Energiewende nicht mehr gebraucht wird. Wirtschaftsminister Duin will einfach nicht zugeben, dass Kohlekraftwerke sich nicht mehr rechnen.

Dabei sind die Energiekonzerne selbst nicht mehr in der Lage, die Kohlekraftwerke wirtschaftlich zu betreiben. Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung aus dem Jahr 2012, «Die Zukunft der Braunkohle in Deutschland im Rahmen der Energiewende», kommt zu dem Schluss: «Aus betriebswirtschaftlicher Perspektive dürfte der Bau eines neuen Braunkohlekraftwerks nicht rentabel sein. Aufgrund hoher Investitionskosten und abnehmender Volllaststunden führt ein Kraftwerksneubau (1100 MW) im Erwartungswert zu Verlusten in Höhe mehrerer hundert Millionen Euro; bei CO2-Preisen jenseits von 15 Euro/t sind negative Kapitalwerte zu erwarten.»

Verluste sind auch für das nagelneue Kohlekraftwerk in Hamburg-Moorburg absehbar. Vattenfall sieht seine Zukunft im Ökostrom und plant den Verkauf seiner Braunkohleförderung und Kraftwerke in Deutschland

Landesentwicklungsplan

Das gleiche Tauziehen zwischen SPD und Grüne gibt es um den gerade herausgekommenen Entwurf des Landesentwicklungsplans (LEP), den die Staatskanzlei erarbeitet hat.

Im Entwurf steht nicht allzu viel Konkretes. Eigentlich enthält er nur drei Ziele: die Klimaschutzziele, weniger Flächenverbrauch, und die Bereitstellung von 54000 Hektar Vorrangflächen für Windräder. Selbst diese drei Ziele sind jedoch heftig umstritten, die Wirtschaft will sie nicht haben, weil sie sie angeblich zu sehr einengen. Auch Wirtschaftsminister Duin will sie nicht haben, was er jedoch bestreitet, er versteckt sich hinter den gesellschaftlichen Akteuren. So ist die Gefahr groß, dass sie rausfliegen, und das wäre schlimm für Klimaschutz, Energie und Flächennutzung, für Raum- und Verkehrspolitik.

– Der Beitrag zum Klimaschutz soll durch eine «konsequente dezentrale, energiesparende und verkehrsvermeidende Siedlungs- und Verkehrsflächenentwicklung erreicht werden». Doch für die neu zu bauenden Kraftwerke ist kein konkreter Wirkungsgrad festgelegt.

– Die Flächeninanspruchnahme soll bis 2020 auf 5 Hektar pro Tag begrenzt werden und langfristig auf null sinken. Schon heute werden in NRW 22% des Landes von Siedlungs- und Verkehrsflächen beansprucht. Täglich werden etwa 14,4 Hektar verbraucht. In den letzten zwanzig Jahren wurden in NRW Flächen in der Größenordnung von 146000 Fußballfeldern in Siedlungs- und Verkehrsflächen umgewandelt.

Doch gerade dieser Punkt wird von der Wirtschaft stark kritisiert. Sie baut lieber auf der grünen Wiese statt auf Altböden. Obwohl Altstandorte, die mit viel Geld, auch vom Land, saniert wurden und werden.

Dabei geht es nicht um ungenutzte Flächen. Es geht vielmehr um Lebensraum für viele Tiere und Pflanzen. Und es geht um Boden zur Erzeugung unserer Nahrung. Schon heute ist es für die bäuerliche Landwirtschaft kaum noch möglich, bezahlbare Ackerflächen zu bekommen. Entweder werden sie für Rohstoffe wie Mais für Biotreibstoff verwendet, oder die Industrie verlangt «ungenutzte» Gewerbeflächen und droht, widrigenfalls ins Ausland zu gehen und Arbeitsplätze zu gefährden. Da reihen sich auch die Gewerkschaften ein. Der DGB fürchtet laut WAZ vom 24.2., allein die geplanten «Tabugebiete» für Kies- und Zementwerke würden mehr als 1000 Jobs kosten.

– Massiven Widerstand gibt es auch gegen den weiteren Ausbau der Windenergie. Laut LEP-Entwurf sollen hierfür 54000 Hektar als Vorranggebiete bereitgestellt werden. Bis 2020 soll die Windenergie einen Anteil von 15% erreichen. Doch Kommunen und Landwirte laufen dagegen Sturm, weil sie ihre Flächen nicht dafür hergeben und die Räder nicht vor der eigenen Nase haben wollen.

Die Wirtschaftslobby und ihr Minister fordern wesentliche Änderungen am Landesentwicklungsplan und eine zweite Beteiligungsrunde. Einfach formuliert, Wirtschaftsminister Duin (SPD) will einen neuen LEP. Es wird spannend, ob die Grünen da mitspielen oder ob sie sich wenigstens hier einmal durchsetzen.

Um auch nur ein klein wenig für den Umwelt- und Klimaschutz zu erreichen, müssten die im LEP formulierten Ziele erhalten bleiben. NRW ist schließlich für ein Drittel aller Treibhausgasemissionen der BRD verantwortlich. Etwa 53% davon entfallen auf die Energiewirtschaft. 72% der Bruttostromerzeugung in NRW kommen aus Braun- und Steinkohle. Die erneuerbaren Energien fristen dagegen immer noch ein Schattendasein von etwa 10%.

Die Autorin ist Chemikerin und arbeitet als Umweltreferentin im Landtag von NRW.

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