von Robert Misik
«Der Geisterfahrer», titelte der Spiegel unmittelbar nach der Wahl von Alexis Tsipras. In den Tagesthemen der öffentlich-rechtlichen ARD wird EU-Parlamentspräsident Martin Schulz von einer Moderatorin salopp gefragt, ob er dem Griechen-Premier auch schon ordentlich «auf die Finger geklopft» habe. Die Bild-Zeitung bittet ihre Leser, Poster gegen die «gierigen Griechen» im Internet hochzuladen und auch die normalerweise seriöse Süddeutsche Zeitung publiziert seit Wochen antigriechische Kommentare, die oft nicht einmal mehr tangential etwas mit der Realität zu tun haben.
Das Bild ist klar: Deutschlands Medien haben sich, von wenigen lobenswerten Ausnahmen abgesehen, seit der Wahl der neuen griechischen Regierung in einen Kampfmodus hineingeschrieben, der seinesgleichen sucht. Da wird mit nicht einmal mehr verhohlener Diffamierungsabsicht von der «links-rechten Populistenregierung» geschrieben (SZ), mit erfundenen und aufgebauschten Vorwürfen gearbeitet. Vermutlich fällt dieses Bashing den beteiligten Journalisten nicht einmal mehr selbst auf. Man schreibt sich im Herdentrieb in einen Mainstream hinein und glaubt selbst noch, man würde die Realität objektiv abbilden.
Diese vorurteilsbeladene Publizistik kann sich dabei durchaus auf antigriechische Ressentiments in weiten Teilen der Bevölkerung stützen. Doch diese Form des geifernden Kampagnenjournalismus treibt es mitunter sogar in den Augen der Leserschaft zu weit. So veröffentlichte die Süddeutsche Zeitung unlängst Leserzuschriften, die verdeutlichen, wie sehr die einseitige Berichterstattung das Publikum verstört. Ein verärgerter Leser vergleicht die Kampagne gegen die griechische Regierung mit der geifernden Hatz auf die sozialliberale Brandt-Scheel-Regierung und deren Ostpolitik zu Beginn der 70er Jahre, ein anderer zitiert empört einen Kommentar, in dem von der «Machtübernahme radikal-populistischer Rechter und Linker» die Rede ist und fragt: «Seit wann werden denn Erfolge bei demokratischen Wahlen als ‹Machtübernahme› bezeichnet?» Der Ärger der vielleicht unterschätzten Leser und Kunden füllt beinahe eine ganze Seite.
Ein deutscher Tunnelblick
Wohlgemerkt: Bei vielen Themen gibt es so etwas wie einen journalistischen Herdentrieb, aber selten rottet er so unhinterfragt jeden Pluralismus aus: 60% der Artikel haben eine Schlagseite, 30% sind nüchtern und objektiv, 10% geben der Gegenposition Raum. Aber dass das Einheitsdenken sich über geschätzte 90% aller Veröffentlichungen ausbreitet, während man kritische Positionen lange suchen muss, das ist sehr außergewöhnlich.
Nehmen wir beispielsweise Spiegel-Online, das führende politische Onlinemagazin in Deutschland: Hier ist, sieht man von den tapferen Kolumnisten Jakob Augstein und Georg Diez ab, in den vergangenen eineinhalb Monaten praktisch kein einziger Artikel erschienen, der nicht eine eindeutige antigriechische Schlagseite hat. Einer ganzen Gesellschaft wird regelrecht ein Tunnelblick eingehämmert, was umso bemerkenswerter ist, da sich diese deutsche Publizistik überhaupt nicht im breiten Strom des internationalen Journalismus befindet.
Wagt man einen Blick in internationale Zeitungen wie den Guardian, den konservativen Telegraph oder in die des Linksradikalismus völlig unverdächtige Financial Times und das Wall Street Journal, dann bietet sich ein völlig anderes Bild: Nicht, dass diese Zeitungen durchgehend SYRIZA-freundlich berichten und kommentieren würden, aber es kommen eben unterschiedliche Stimmen zu Wort und die Mehrheit der Kommentatoren verschweigt nicht, dass die neue griechische Regierung grundsätzlich die makroökonomische Vernunft auf ihrer Seite hat: Austerität funktioniert nicht; das oktroyierte Sparprogramm hat den Krisenländern eine soziale Katastrophe beschert; die ganze Eurozone ist in eine Depression gestürzt und die Schulden könnten nie zurückgezahlt werden, wenn man Länder wie Griechenland weiter stranguliere. In der New York Times wird gar mit der autoritativen Autorenzeile «By the Editorial Board» (was üblicherweise ankündigt, dass es sich hierbei um die Meinung der Gesamtredaktion, nicht um die eines Journalisten handelt) gefordert: «Gebt Griechenland Raum zum Manövrieren.» Von all dem bekommt der deutsche Leser nichts mit. Deutschland wird zum großem «Tal der Ahnungslosen».
Austeritätswahn
Der antigriechische Furor der deutschen Medien entspricht exakt der ideologischen Verbohrtheit der deutschen Politik. Der Austeritätswahn der Merkel-Regierung wird außer von den Grünen und der Linkspartei kaum mehr herausgefordert. Die Sozialdemokraten sind wohl der Meinung, sie würden sich völlig isolieren, würden sie auf Abstand zum Koalitionspartner gehen, weshalb sie sich dementsprechend zurückhalten. Schlimmer noch: Halb warnen sie, halb geben sie sich hin. Damit stabilisieren sie dieses Meinungsklima nur noch stärker, weil sie damit die vermeintliche Alternativlosigkeit unterstreichen.
Es entsteht ein völlig bizarres Bild einer Vodoo-Realität, in der sich die griechische Regierung angeblich unverantwortlich, die deutsche Regierung nüchtern und verantwortlich verhält. Wie katastrophal die deutsche Regierung in den vergangenen Monaten in Europa agierte, wird mit keinem Wort im Inland thematisiert. Da fährt ein Sozialdemokrat wie Martin Schulz auf Antrittsbesuch nach Griechenland und hält es für nötig öffentlich anzukündigen, er werde mit Tsipras «Tacheles reden». Übertroffen wird er noch vom Finanzminister Wolfgang Schäuble. In Pressekonferenzen sagt er höhnisch, «die Griechen tun mir leid» (womit er sie dafür bedauer, die falsche Regierung gewählt zu haben). Er stichelt unentwegt in Richtung der griechischen Regierung. Sogar nach dem nächtlichen Deal in der Eurogruppe konnte er es sich nicht verkneifen, triumphal zu bekunden: «Griechenland wird es ganz schwierig haben, diesen Deal den Wählern zu erklären.»
Das kommt in Europa nicht überall gut an. «Ihr habt einen seltsamen Finanzminister», so die Reaktion von Yanis Varoufakis. Griechische Medien berichten sogar, der deutsche Botschafter in Athen habe bei einer Begegnung mit einem griechischen Minister nahegelegt, Varoufakis als Finanzminister zu ersetzen. Die keineswegs SYRIZA-nahe TV-Station Mega kommentierte, die deutsche Seite begegne eben erstmals seit Jahren einem Finanzminister, «der sich ihr gegenüber gleichberechtigt verhält. Wahrscheinlich haben sie noch nicht verstanden, dass sie nicht mehr mit einer Regierung von Befehlsempfängern zu tun haben.»
Neben allen politischen Differenzen, die zwangsläufig zwischen einer Linksregierung und einer austeritätsversessenen konservativ geführten Regierung bestehen, ist gerade dieser Aspekt des deutschen Verhaltens kaum zu begreifen. Jeder Mensch, der ein wenig Verständnis für ein Miteinander hat, sollte doch verstehen, dass auftrumpfendes Herrenreitergehabe aus der Position der mächtigsten Wirtschaft Europas gegenüber den kleinen Ländern als arrogante Übertretung angesehen wird und man in einer gleichberechtigten Europäischen Union niemanden ohne Folgen als Befehlsempfänger abkanzeln kann. Es geht hier nicht nur um Sachpolitik, sondern immer auch um Zungenschläge. Wem jedes Gespür für Empathie abgeht und wer glaubt, Partner so behandeln zu können, ist ein «objektiver Antieuropäer», er zerstört Europa, egal, ob er das mit Absicht oder nur aus Dummheit tut. Man sehnt sich geradezu nach der Kohlschen Art, Europa zu führen, zurück. Kein Wunder, dass der Ex-Kanzler über Angela Merkel gesagt hat: «Die macht mir mein Europa kaputt.»
Links von Schröder darf nichts sein
Bei all diesen Konflikten geht es niemals nur um Politik, sondern immer auch um Psychologie. Der schiere Hass, den die SYRIZA-Regierung bei den neoliberalen politischen Eliten Europas und ihren eingebetteten – meist deutschen – Journalisten hervorruft, verdankt sich dem Umstand, dass sie für diese seit langer Zeit die erste wirkliche Herausforderung darstellt. Deshalb mobilisiert sie den Hass der Profiteure der zeitgenössischen professionellen Politik der Mitte, dieser (vor allem) Männerwelt in Ministerien, EU-Kommission und EU-Rat, in Parteizentralen, Thinktanks und der Consulter-Welt plus der dazugehörigen opportunen Medienwelt. Womöglich ist der tiefere Grund für ihr hasserfülltes Verhalten, dass sie insgeheim wissen, dass die Bürger einfach die Nase voll haben von dieser Mischung aus Public Relation, Konturlosigkeit und Korruption, dieser Klüngelpolitik irgendwelcher Nullgrübbler.
Alles, was einen Millimeter links von, sagen wir, Gerhard Schröder oder Tony Blair ist, wird nicht mehr zugelassen. Links davon kann es aus Sicht dieser Blase der gutgegelten Profipolitik nur Hasardeure und linke Populisten geben. Roosevelt, Kennedy, Johnson, Kreisky, Brandt, Palme, sie würden heute wohl auch als populistisch diffamiert und es würde alles getan werden, ihren Aufstieg zu vereiteln. Und wenn solche Leute irrtümlich doch einmal Wahlen gewinnen, dann werden sie bekämpft und es wird alles getan, damit sie nur scheitern können. Mit Ultimaten, mit Erpressung, mit der geballten Macht der Fehlinformation und allen schmutzigen Tricks, die die Spin-Doktoren-Welt zur Verfügung hat.
Der Autor ist Journalist und Sachbuchautor. Er lebt und arbeitet in Wien und unterhält den Blog www.misik.at.
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