Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 04/2015
Tipps und Tricks, Armut zu verdrängen

von Manfred Dietenberger

Die meisten Milliardäre und Multimillionäre in Deutschland leben relativ zurückgezogen. Über deren ungeheuren Reichtum weiß man allgemein wenig. Laut World Wealth Report wohnen in Deutschland über eine Million Millionäre mit einem geschätzten Gesamtvermögen von 2,7 Billionen Euro. Ging man bisher davon aus, dass 0,1% der reichsten Haushalte rund 5% des deutschen Gesamtvermögens auf sich vereinen, rechnet man heute mit 14–16%. Entsprechend besitzt das reichste 1% der Deutschen 31% statt der bisher vermuteten 18%. Den reichsten 10% «gehören» gar 63–71%.

Das wird so bleiben, solange wir Habenichtse das zulassen. Daran ändert auch die vermeintliche Aussicht auf ein sattes Erbe nichts. Der Volksmund sagt: «Niemand nimmt was mit», oder auch: «Das letzte Hemd hat keine Taschen»... stimmt. Dennoch: Von den 2,7 Billionen Gesamtvermögen werden über die Hälfte der Menschen in diesem Land nichts oder Schulden erben, während 8% der Erben 40% dieses Vermögens erben. Und weil Sowas von Sowas kommt, gehört in der bundesrepublikanischen Alltagswirklichkeit zum unverschämten Reichtum auch die verschämte Armut. Der Paritätische Wohlfahrtsverband prognostiziert einen drastischen Anstieg der Altersarmut (siehe S.6). 2025 werden 1,5 Millionen Rentner auf staatliche Grundsicherung angewiesen sein, dreimal mehr als heute. Dabei zieht sich Armut heute schon durchs ganze Land.

Keine Hoffnung in Sicht? Den stadtarmen Stuttgartern, die bislang mühsam in Mülleimern nach Pfandflaschen suchten, soll die Arbeit künftig erleichtert werden. Die Menschen, deren Würde vorher im wahrsten Sinne des Worts im Eimer war, sollen nun von sogenannten Pfandringen «profitieren». Die Idee dazu stammt von Flaschen: unter anderem Mitglieder der Grünen und des Stadtjugendrats. Sie wollen außen am Mülleimer ein paar blaue «Pfandringe» befestigen, damit Obdachlose nicht erst im Mülleimer wühlen müssen, sondern die Pfandflaschern mühelos einsammeln können. In Stuttgart gibt es rund 5000 Mülleimer. Das neue System ist derzeit mit neun mit Pfandringen ausgestatteten Mülleimern in einer fünfmonatigen Testphase.

Weder die Initiatoren noch die städtische Abfallwirtschaft haben vor der Umsetzung mit den Betroffenen gesprochen. Wen wundert’s? Dazu passt auch irgendwie, was gerade publik wurde: Dass Coca Cola nämlich die 1-Liter-Pfandflache abschaffen und damit 2400 Arbeitsplätze in Deutschland einsparen will!

Doch mit oder ohne Flaschenpfandwohlfahrt: Die Armut wird aus dem Stadtbild nicht verschwinden. Kann oder will man sie nicht wirklich bekämpfen, bleibt der Kampf gegen die Armen und Obdachlosen. So sind zum Beispiel Bänke mit Mittellehne vielerorts schon ein probates Mittel, um Obdachlosen das Liegen in der Stadt zu verunmöglichen. Nach Angaben der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe sind Veränderungen an Bänken, die ein Übernachten unmöglich machen, inzwischen ein «Dauerbrenner» in fast jeder deutschen Stadt.

Vor kurzem meldete die Hannoversche Allgemeine Zeitung, Hannoveraner Kaufleute wollten Obdachlose mit nicht liegetauglichen Bänken künftig aus der Landeshauptstadt verdrängen. Auf der Facebook-Seite der Zeitung hagelte es danach geharnischten Widerspruch. Moniert wurde die «soziale Kälte», das Ansinnen wurde als «unmenschlich» bezeichnet. Einer der Kommentare prognostizierte, demnächst würden die Kaufleute wohl noch Blasmusik gegen «ungewollte» Personen fordern. Würde die Stadt Hannover in der City nur noch Bänke aufstellen, auf denen man nicht liegen kann, wäre das unfreundlich gegenüber obdachlosen Menschen, schrieb der dortige Diakoniepastor Rainer Müller-Brandes. Für viele Wohnungslose sei die Innenstadt eine Art Wohnzimmer. In einer solchen Stadt lebten eben auch Menschen, die nicht zu einem möglichst hohen Umsatz der Geschäfte beitragen können.

Was kann man sonst noch gegen steigende Armut tun? Die etwa 200 stimmberechtigten Delegierten der CSU haben gerade bei ihrem kleinen Parteitag in Bamberg über die von der Frauen-Union erhobene Forderung nach kostenloser Abgabe von Verhütungsmittel an Hartz-IV-Empfängerinnen gestimmt. Bis 2004 hat das Sozialamt dafür die Kosten im Rahmen der sog. «Hilfe zur Familienplanung» übernommen. Mit den Hartz-IV-Gesetzen ist diese Möglichkeit jedoch weggefallen. Künftig sollen Hartz-IV-Bezieherinnen, so die Frauen-Union, bis zum 27.Lebensjahr die Pille oder andere Verhütungsmittel auf Rezept erhalten. Ein Lump, wer Böses dabei denkt.

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