von Bernard Schmid
«Geist des 11.Januar, bist du noch da?» Diese Frage wird derzeit in Frankreich vielfach gestellt – und oft mit Nein beantwortet. Das Datum spielt auf die Großdemonstrationen nach den jihadistischen Anschlägen in Paris vom 7. und 9.Januar dieses Jahres an.Damals war zwar vielfach kritisiert worden, die Regierung habe die ursprünglich spontane Mobilisierung kanalisiert, und zur Pariser Demonstration auch Staats- und Regierungschefs übelster Sorte eingeladen. Aber zumindest war auch klar, dass es der extremen Rechten und anderen ausgemachten Rassisten nicht gelungen war, sich an die Spitze der Mobilisierung zu stellen und die Empörung so auf ihre Mühle zu lenken, dass sie eine Hexenjagd gegen Muslime anfachen könnte.
Die Demonstrationen am 11.Januar waren eher linksliberal und universalistisch ausgerichtet, mit einem Überhang an mittelständisch-intellektueller Beteiligung.
Zwei bis drei Monate später ist die Erinnerung daran teilweise verflogen. Die rassistischen Kräfte, die an jenem 11.Januar 2015 eher an den Rand gedrängt worden waren, melden sich deutlich zurück. Sicherlich, sie waren nie verschwunden. An der Pariser Demonstration konnte die Partei von Marine Le Pen zwar nicht teilnehmen, sie flüchtete sich in die Teilnahme an Kundgebungen in wesentlich kleineren Städten. Aber zwischen dem 7.Januar und dem 7.Februar fanden zugleich 153 gewalttätige Übergriffe auf muslimische Einrichtungen (oder, seltener, direkt auf Personen) statt. Das waren ungefähr so viel wie im ganzen Jahr 2014.
Umfragen auch von großen Meinungsforschungsinstituten unterhielten ein bedrohliches Klima. Eines von ihnen befragte in der Woche nach den Demonstrationen vom 11.Januar die Franzosen, ob aus ihrer Sicht «die muslimische Gemeinschaft eine Bedrohung für die französische Identität» darstelle. Eine Fragestellung, die bereits zwei rein ideologische Unterstellungen enthielt: Es gebe eine homogene «muslimische Gemeinschaft», und eine «nationale Identität». Wer saudumme Fragen stellt, erhält auch dumme Antworten: 40% antworteten auf die Frage mit Ja, in der FN-Wählerschaft waren es 86%.
Trittbrettfahrer UMP
Nicht allein die extreme Rechte hat sich aus diesem gesellschaftlichen Potenzial bedient. In den letzten Tagen vor den Wahlen zu den Bezirksparlamenten (der erste Durchgang fand am 22.März statt) befeuerte Nicolas Sarkozy, Chef der konservativ-wirtschaftsliberalen UMP, derzeit stärkste Oppositionspartei, die ideologische Kampagne.
Lautstark sprach er sich für die Abschaffung von «Ersatzmahlzeiten» in Schulkantinen aus. Damit ist die Möglichkeit für Schüler gemeint, zumindest an Tagen, an den Schweinefleisch aus dem Speisezettel steht, über ein Wahlessen zu verfügen. Das kann muslimische, jüdische oder auch vegetarische bzw. allergiebehaftete Heranwachsende betreffen – bei der Kampagne geht es aber hauptsächlich um die Erstgenannten, denn religiöse jüdische Familien schicken ihre Kinder meist auf konfessionell gebundene Privatschulen. Bislang bietet die große Mehrheit französischer Kommunen ein solches Auswahlessen an, um Konflikte zu vermeiden.
Der Streit darüber, ob diese Wahlmöglichkeit aufrechterhalten bleiben soll oder nicht, flammte in den letzten Jahren immer wieder auf. Unter anderem in fünfzehn Kommunen, deren Rathäuser seit März 2014 rechtsextrem geführt werden. Aber eben nicht nur dort wird bewusste Symbolpolitik damit betrieben. Fünf Tage vor den Wahlen vom 22.März machte der UMP-Bürgermeister von Chalon-sur-Saône, Gilles Platret, Schlagzeilen mit der Ankündigung, die «Ersatzmahlzeiten» ersatzlos abzuschaffen. Ihm kam Sarkozy dann lautstark zu Hilfe. Seine eigene Partei ist darüber gespalten.
Auch Juden sind bedroht
Nicht ausschließlich der antimuslimische Rassismus gedeiht in diesen Tagen. Die Auswahl der Ziele der jihadistischen Attentäter (die neben der Redaktion von Charlie Hebdo auch einen koscheren Supermarkt angriffen) belegt, dass es auch Menschen gibt, die jüdische Menschen oder Einrichtungen ins Visier nehmen. Zwar geht es den Jihadisten dabei weniger um Rassismus im engeren Sinne, sondern um die Facette einer Ideologie, die einen apokalyptischen Endkampf zwischen Religionen erwartet. Doch neben diesem politisch-konfessionellen Kriegsruf (der sich gern hinter der «Palästinafrage» verschanzt) gibt es – nicht nur, aber auch in Teilen der sozialen Unterklassen – eine ethnisierende, rassifizierende Sichtweise auf jüdische Menschen, die letztere mit «Geld», Reichtum, Arroganz und einer «Nähe zur Macht» assoziiert. Verbrechen gegen einzelne junge Juden, die zwar hauptsächlich kriminell motiviert waren, aber eben auch mit der Vorstellung einhergingen, Geld sei am leichtesten «bei Juden» zu finden, zeugen davon. In grausamer Erinnerung bleibt die Entführung, drei Wochen lange Misshandlung und anschließende Ermordung von Ilan Halimi im Januar 2006, aber auch ein mit sexueller Aggression einhergehender Raubversuch gegen ein junges jüdisches Paar im Pariser Vorort Créteil im Dezember 2014.
Die Antwort des französischen Staates, der nach den Attentaten nun jüdische Einrichtungen besser schützen will, ist dabei fragwürdig. Nichts spricht gegen einen besseren Schutz, etwa durch Anbringen von Kameras und Bewachung von Synagogen oder jüdischen Schulen. Aber seit der Intensivierung des als Plan Vigipirate («Plan Piratenwache») bezeichneten Notstandsplans, dessen erste Auflage von 1995 stammt, sind Soldaten sichtbar vor manchen jüdischen Einrichtungen positioniert – etwa vor Gebetsräumen, aber auch vor jüdischen Restaurants.
Es bleibt fraglich, ob dies auf Dauer die beste Methode ist. Denn viele «jüdische Orte», die manchen Außenstehenden bis dahin gar nicht auffielen, werden so erst richtig sichtbar gemacht. 10000 Soldaten wurden im Januar zu solchen und ähnlichen Schutzzwecken mobilisiert. Aber irgendwann wird der martialisch wirkende Schutz wieder wegfallen. Und dann?
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