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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 04/2015
Linke tut zu wenig gegen Rassismus

von Bernard Schmid

Als Antwort auf die ebenso unangenehme wie gefährliche ideologische Großwetterlage, die im Artikel zur rasisstischen Welle in Frankreich (Link!) beschrieben wird, gab es in jüngerer Zeit unterschiedliche Mobilisierungsansätze.

Eine Achse der Gegenmobilisierung war der Versuch verschiedener Kräfte, sich auf eine Schwerpunktkampagne gegen antimuslimischen Rassismus zu einigen. Am Freitag, den 6.März, fand dazu in Saint-Denis bei Paris eine Saalveranstaltung statt, die mit über 500 Teilnehmenden ein echter Erfolg wurde. Dabei gab es Zeugenaussagen von Kopftuch tragenden muslimischen Frauen, die nicht nur über Diskriminierung im sozialen Alltag, sondern über mancherorts im Pariser Raum (besonders in Argenteuil) zunehmende körperliche Angriffe berichtete.

Im Jahr 2014 wurden, rechnet man verbale Übergriffe und Propagandadelikate wie rassistische Beleidigung und Verhetzung ein, 764 moslemfeindliche Vorfälle registriert. Über 80% davon richteten sich gegen Frauen, auch wenn diese im islamfeindlichen Diskurs zugleich fast stets als «Opfer» dargestellt werden.

Der Minimalkonsens dieser Veranstaltung, die auch von linken Kräften im Vorfeld unterstützt wurde (PCF, Ensemble, NPA; die Grünen zogen ihre anfänglich zugesagte Unterstützung wieder zurück), war eine Kampagne gegen diese Form von Rassismus.

Hierarchie der Rassismen

Umstritten waren dagegen manche Mitveranstalter, insbesondere die «Partei der Eingeborenen der Republik» (abgekürzt PIR), die 2005 als angebliche Interessenvertretung der Nachfahren von Kolonisierten und Eingewanderten gegründet worden war. Bouteldja wirft jenen Menschen mit Migrationshintergrund, die Soral und Dieudonné folgen wollen, vor, «sich neuen ideologischen Herren aus der weißen rassistischen Rechten zu unterwerfen», statt «eine autonome Bewegung der Kolonisierten aufzubauen».

Entgegen manch anderslautender Gerüchte verurteilt diese Kleinstpartei zwar durchaus Antisemitismus; ihre Sprecherin Houria Bouteldja grenzte sich 2014 etwa von den antisemitischen Bewegungspolitikern Alain Soral und Dieudonné M’bala M’bala ab, die mit einem Diskurs der «Opferkonkurrenz» andere Minderheiten gegen Juden aufzustacheln sowie in Banlieues und Migrantenjugend zu rekrutieren versuchen. Aber in einer jüngst veröffentlichen Erklärung, kritisierte die PIR auch scharf den «Staats-Philosemitismus» – den es tatsächlich gibt, der in der Gesellschaft aber mit einem real existierenden Antisemitismus koexistiert. Da Juden heute in Frankreich aber «nicht mit staatlicher Unterstützung verfolgt» und nicht «im Wirtschaftsleben diskriminiert» würden, geht der Text dann schnell auf die Araber und Schwarzen als die eigentlichen Diskriminierungsopfer über.

Zwar gibt es Unterschiede in den Mechanismen von Diskriminierung, und die politische Elite verfolgt heute tatsächlich keine antisemitische Staatsideologie, dennoch wurde aus der antifaschistischen Linken auch schnell Kritik daran laut, dass hier doch eine relativ klare Hierarchisierung der verschiedenen Formen von Rassismus (und der Notwendigkeit ihrer Bekämpfung) vorgenommen wird.

Schwache Mobilisierung

Am 21.März fanden Demonstrationen in gut zwanzig französischen Städten zum alljährlichen weltweiten «Tag der Erziehung gegen Rassismus» statt. Dieser wird zwar seit Jahrzehnten begangen – im Gedenken an das Massaker von Sharpville in Südafrika von 1960 – doch erst seit dem vergangenen Jahr wird er auch als Aktionstag mit Demonstrationen genutzt; bis dahin dominierten eher Diskussions- und schulische Unterrichtsveranstaltungen.

Im Pariser Aufruf wurde Wert darauf gelegt, die unterschiedlichen Formen von Rassismus anzugreifen: «Islamophobie», «Antisemitismus» und «Rassismus gegen Roma» wurden ausdrücklich benannt. Betont wurde auch die Gefahr der extremen Rechten – bis dahin hatte in Frankreich eine Arbeitsteilung zwischen der antirassistischen und der antifaschistischen Bewegung vorgeherrscht, die in schädlicher Weise auseinanderzudriften schienen.

Mit rund 3000 Menschen in Paris – unter ihnen rund tausend «papierlose» Migranten, also Hauptbetroffene – und eher schwachen Teilnehmerzahlen in weiteren Städten blieb der Mobilisierungserfolg allerdings deutlich hinter den Erwartungen zurück. In Paris hatten 125 Organisationen den Aufruf unterzeichnet, manche von ihnen glänzten schlicht mit Abwesenheit. In zwei Städten, Calais am Ärmelkanal und Saint-Affrique im Zentralmassiv, wurden die Demonstrationen gar behördlich verboten, wegen «zu großer Wahlnähe» im einen und «Gefahr von Auseinandersetzungen» im anderen Falle.

Offensichtlich ist die Notwendigkeit, gegen die rassistische Gefahr zu kämpfen, noch nicht für alle hinreichend zur Priorität geworden, einschließlich eines beträchtlichen Teils der Linken.

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