von Thies Gleiss
Seit dreißig Jahren, seit der legendären Spaltung der DGB-Gewerkschaften an der Frage des Kampfes um die 35-Stunden-Woche 1984/85, hat es eine solche offene Streiterei unter den Cheffunktionären der heute nur noch acht DGB-Gewerkschaften nicht mehr gegeben. Die Vorsitzenden von IG Metall, IG BCE, IG BAU und der Eisenbahngewerkschaft EVG trafen sich im April mit dem DGB-Vorsitzenden Reiner Hoffmann zu einem unverbindlichen Gespräch über bessere Kooperation. Die anderen vier DGB-Gewerkschaften, allen voran die große Ver.di, waren nicht eingeladen, ja, nicht einmal erwünscht.
Die Chemie-, die Eisenbahner- und die Baugewerkschaft waren schon vor dreißig Jahren die Speerspitze einer Entpolitisierung der Gewerkschaftsarbeit und Wortführer ihrer Umformung nach US-amerikanischem Vorbild mit Verbetrieblichung, Co-Management-Modellen und Standortpolitik im Bündnis mit der Kapitalseite. Die IG Metall stand damals und noch lange Zeit danach zwar auch nicht für konsequenten Klassenkampf und Antikapitalismus, aber doch immerhin für eine etwas mehr konfliktorientierte und politische Betriebs-, Tarif- und Gewerkschaftsarbeit.
Das ist seit dem Amtsantritt von Detlef Wetzel als Vorsitzender der IG Metall deutlich anders geworden. Konsequent arbeiten er und sein Stab seitdem an der Umwandlung der IG Metall in eine Art von ADAC für Arbeitnehmer. Im Mittelpunkt steht nur die betriebliche Arbeit und bornierte Mitgliederwerbung. Ein Gewerkschaftsverständnis als gesellschaftliche und politische Kraft, ja sogar als Gegenmacht zur Kapitalseite, wird systematisch vernachlässigt. Vor einiger Zeit drohten sie dem DGB offen, wenn er sich der neuen Haltung der IG Metall nicht unterordne und auf eigene politische Profilierung verzichte, dann könne auch schnell mal über eine Reduzierung oder Streichung der Millionen IG-Metall-Beiträge an den DGB nachgedacht werden.
Nicht nur das April-Treffen in einem Berliner Hotel hat deshalb auch den Charakter einer Einbestellung des DGB-Vorsitzenden zum Rapport. Zur entpolitisierten Mitgliedersammlung gehört auch, den Organisationsbereich auf die gesamte Fertigungskette aller mit der Metall-, Elektro-, Holz-, Textil- und Kunststoffindustrie verbundenen Bereiche, einschließlich der immer mehr ausgelagerten Sektoren Logistik, Verwaltung, Informationstechnologischen Abteilungen auszuweiten, auch wenn dies zu regelmäßigen Konflikten mit der breit gefächert aufgestellten Ver.di führt.
Der Kurs von Wetzel in der IG Metall hat aus seiner Sicht durchaus Erfolge zu verbuchen. Der Mitgliederschwund wurde gebremst und die IG Metall fand einige neue Mitglieder im Ingenieursbereich, allgemein bei «Angestellten» und auch bei jungen Leuten. Aber dafür wurde die politische Identität der IG Metall geopfert. Auf diese Weise entseelt, hat die nackte bürokratische Verfassung dazu geführt, dass die IG Metall heute an der Spitze des rechten Flügels der deutschen Gewerkschaftsbewegung steht. Und so wie vor dreißig Jahren die IG Chemie, verfolgt sie einen gnadenlos pragmatischen Kurs des Burgfriedens mit der Regierung und dem Kapital – was in einer mehr oder weniger stillen Begeisterung für die Große Koalition in Berlin seinen Ausdruck findet. Das Gefühl, groß und mächtig zu sein, fällt bei einer großen Koalition in der Regel noch besser aus. Der Preis dafür ist aber ein weitgehender Verzicht auf eigenständige politische Arbeit. Dass auch das schöne Wort «Tarifpolitik» aus zwei Bestandteilen besteht, ist seit langem vergessen. Deshalb gibt es keine Initiativen der IG Metall in der Sozialpolitik, bei Umweltschutz oder selbst in betriebspolitischen Fragen wie einer weiteren Verkürzung der Arbeitszeit oder im Kampf gegen die Leiharbeit.
Richtig skandalös wird diese Haltung der IG Metall bei ihrer Unterstützung der Regierungsvorhaben zur Beschneidung des Streikrechts, die unter dem Namen «Tarifeinheitsgesetz» laufen. Intern begründet der IG-Metall-Vorstand diese Haltung ausdrücklich damit, dass er sich gegen Versuche von Ver.di wehren will, sich in angeblich von der IG Metall beanspruchten Sektoren breit zu machen. Während Ver.di, GEW und NGG eine politische Kampagne zur Verhinderung dieses Gesetzesvorhabens führen, verbietet die IG Metall ihren Hauptamtlichen, sich irgendwie daran zu beteiligen. Trotzdem gibt es aus allen IGM-Bezirken zahllose Anträge und Resolutionen gegen das Gesetz und seine Unterstützung durch den Bundesvorstand.
Dass das Berliner Treffen gerade während der jetzt anlaufenden parlamentarischen Beratung des Nahles-Gesetzes zur Tarifeinheit stattfindet, kann nur als Ohrfeige für all diejenigen verstanden, die für den Erhalt des Streikrechts Unterschriften sammeln und demonstrieren.
Es ist Zeit, der IG Metall deutlich zu machen, dass diese spalterische und selbstmörderische Haltung auf keinen Fall akzeptiert werden wird. Der 1.Mai 2015 ist dafür eine gute Gelegenheit.
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen
Spenden
Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF
Schnupperausgabe
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.