von Jochen Gester
In SoZ 4/2015 berichteten wir am Beispiel des Booms der Fernbusse, wie sich prekäre Arbeitsverhältnisse im Transportsektor breit machen. Der aktuelle Konflikt im Bereich der Deutschen Post zeigt, dass diese Entwicklung auch in Hochburgen traditioneller gewerkschaftlicher Organisation an Fahrt gewinnt.
Nach Gewerkschaftsangaben arbeiten bei der Deutschen Post rund 24.000 Menschen mit einem befristeten Arbeitsvertrag. Bezogen auf die rund 131.000 Beschäftigten im Produktivbereich ist das ein Anteil von 18%. Besonders dramatisch ist die Situation beim unternehmenseigenen Paketdienstleister DHL. In den zurückliegenden Jahren hat dessen Management planmäßig daran gearbeitet, den Anteil der Beschäftigten mit einem Normalarbeitsverhältnis zu reduzieren. Die Befristungsquote in den Paketverteilzentren und der reinen Paketzustellung liegt unternehmensweit bei etwa 30%.
Die stellvertretende Ver.di-Vorsitzende Andrea Kocsis beschreibt die Situation so: «Der Aufbau von Beschäftigung erfolgt im Wachstumsbereich Paket praktisch ausschließlich über befristete und damit prekäre Arbeitsverhältnisse.» Nach zwei Jahren sachgrundloser Befristung werden Befristungen nicht in unbefristete Arbeitsverhältnisse umgewandelt, sondern münden in eine Vielzahl von Sachgrundbefristungen. Beschäftigte mit zehn, zwanzig oder gar deutlich über fünfzig befristeten Arbeitsverträgen sind nicht die Ausnahme. Dafür gebe es jedoch keinen Grund, sagt Kocsis, schließlich sei Arbeit genug da. Und dem Unternehmen geht es wirtschaftlich glänzend.
Ausweichstrategie
Die Deutsche Post AG will jetzt einen Teil der bislang zum Haustarif befristet angestellten Beschäftigten in neu gegründete Firmen abschieben, die mit deutlich niedrigeren Tarifverträgen arbeiten. Dafür gründete sie im Januar parallel zu den bestehenden Niederlassungen der DHL 49 Regionalgesellschaften für die Paketzustellung. Sie richten in einem ersten Schritt 5000 Zustellbezirke ein. Ein Teil der bislang zu den Bedingungen des Haustarifvertragns der Deutsche Post befristet Beschäftigten wird dann vor die Wahl gestellt, die Arbeit entweder zu verlieren oder die gleiche Arbeit zu schlechteren Bedingungen bei den neu gegründeten Regionalgesellschaften fortzusetzen.
Damit flüchtet die Deutsche Post AG aus dem Haustarifvertrag und entzieht sich den vorhandenen Mitbestimmungsstrukturen. Außerdem unterläuft der Konzern die mit Ver.di abgeschlossene Vereinbarung zum Ausschluss von Fremdvergabe und den Entgelttarifvertrag. Der Vertrag zum Ausschluss der Fremdvergabe läuft am 31.Dezember 2015 aus. Er legt verbindlich fest, dass Konzerntöchter oder Dritte maximal 990 Paketzustellbezirke betreiben dürfen. Der Entgelttarifvertrag ist zum 31.Mai 2015 kündbar.
Bei Ver.di stößt das Vorgehen der DHL auf Empörung. Verhandlungsführerin Kocsis sieht darin «den Einstieg in den Ausstieg aus der Sozialpartnerschaft». Sie erinnert auch daran, dass die Beschäftigten für den Fremdvergabevertrag Kurzpausen und arbeitsfreie Tage geopfert haben.
Die Gewerkschaft verklagt deshalb die Deutsche Post AG vor dem Arbeitsgericht Bonn wegen des Bruchs von Tarifverträgen. Darüber hinaus greift die Gewerkschaft die Post mit einer inzwischen weit verbreiteten Ausweichstrategie an – nämlich ersatzweise auf einem anderen Feld, auf dem legale Druckmittel zur Verfügung stehen. Denn wenn auch der Ausstieg aus dem Vertrag zur Fremdvergabe rechtlich umstritten ist – der Umbau des Unternehmens selbst ist es nicht, da ist die Rechtsgarantie der freien Verfügung über das Eigentum vor. Ver.di hat deshalb die tarifvertraglichen Bestimmungen zur Arbeitszeit bei der Post AG zum 31.März gekündigt und fordert für die rund 140.000 Beschäftigten im Geltungsbereich des Tarifvertrags eine Absenkung der wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 auf 36 Stunden bei vollem Lohnausgleich.
Am 18.März wurde die erste Verhandlungsrunde abgebrochen, weil das Unternehmen kein Angebot vorlegte. Die Gewerkschaft reagierte darauf mit dem Aufruf zu Warnstreiks. An den Protestaktionen beteiligten sich nach Ver.di-Angaben am 1. und 2.April jeweils über 10.000 Zustellerinnen und Zusteller in allen 16 Bundesländern. Nachdem der Arbeitgeber auch in der Verhandlungsrunde am 14. April kein verhandlungsfähiges vorlegte, rief Ver.di die Beschäftigten der beiden für Berlin und Brandenburg zuständigen Paketzentren der Deutschen Post zur Arbeitsniederlegung in der Nachmittags- und Spätschicht auf. Die Tagesmenge in den beiden Zentren liegt bei etwa 260.000 Sendungen. Das Ende des Konflikts bleibt offen.
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