Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 05/2015
Benachteiligt Inländer und ist verfassungswidrig

von Richard Pitterle

Die Pkw-Maut ist ein Lehrstück dafür, was herauskommt, wenn Populismus und Stammtisch die Politik bestimmen.
Die Zeit titelte zutreffend am 26.März: «Bierzelt goes Bundestag». Die Argumente der Befürworter lassen sich auf folgende Kernaussage reduzieren, die sich auf Internetseiten von engagierten Wutbürgern findet: «Wir müssen überall Maut bezahlen, nur die Ausländer in Deutschland nicht. Sind wir die Melkkuh Europas, die Gönner der Welt?» Argumente, denen sich die CSU einfach nicht verschließen mochte.
So reizvoll die Idee für die CSU auch schien: Allein (EU-)Ausländer zur Kasse zu bitten, verbietet schon das EU-Recht. Es folgten schlaflose Nächte ob der schier untragbaren Ungerechtigkeiten und auf der Suche nach einer neuen Idee. Eine Möglichkeit, Aus- und Inländer gemeinsam zur Kasse zu bitten, ohne die Inländer zu belasten. Geboren war die sog. Infrastrukturabgabe bei gleichzeitiger Senkung der Kfz-Steuer. Ein Nullsummenspiel für Inländer und endlich der vom Stammtisch sehnsüchtig erwartete Beitrag der Ausländer zum Autobahnnetz der Bundesrepublik.
Als die ersten Ideen aus dem Verkehrsministerium publik wurden, überboten sich Juristen landauf, landab mit Analysen, warum die Konstruktion europarechtswidrig sei. Auch in der Sachverständigenanhörung im Bundestag bestimmte die mögliche Europarechtswidrigkeit die Debatte.
Bei den Anstrengungen aus dem CSU-geführten Ministerium, eine europarechtskonforme Lösung zu entwickeln, wurde jedoch – wie häufig in der jüngeren Gesetzgebungsgeschichte –, vernachlässigt, dass Gesetze auch am Grundgesetz zu messen sind. Selbst wenn die jetzige Lösung europarechtskonform wäre: verfassungskonform ist sie nicht. Sogar der Sachverständige der Bundesregierung räumte ein, dass die Regelung inländerdiskriminierend ist.
Bisher zahlt die Allgemeinheit für das Straßennetz in der Bundesrepublik – also alle, auch Ausländer, die in irgendeiner Form die Kassen der Finanzminister mit Steuern füllen. Entgegen landläufiger Meinung kommt das Geld dafür nämlich nicht aus der Kfz-Steuer oder der Energiesteuer. Ein Wesensmerkmal von Steuern ist es, an keine konkrete Gegenleistung gebunden zu sein und dem allgemeinen Finanzbedarf, also der Deckung aller denkbaren Ausgaben, zu dienen.
Die geplante Infrastrukturabgabe ist aber keine Steuer, sondern eine «Vorzugslast», wie Beiträge und Gebühren bezeichnet werden. Diesen ist gemein, dass sie eine Leistung oder die Nutzungsmöglichkeit einer solchen ausgleichen sollen. Die Höhe muss sich daran orientieren, wie hoch die Kosten sind und welche Vorteile dem Einzelnen daraus erwachsen. Dabei ist auch der Gleichheitssatz von Art.3 Abs.1 GG zu beachten: Wenn Kosten oder Vorteile ungleich sind, müssen auch die Gebühren oder Beiträge ungleich sein. Anders als die Kfz-Steuer dient die Infrastrukturabgabe allein zweckgebunden der Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur. Wer diese nicht nutzt, muss dafür nichts zahlen müssen.
Den ersten Verstoß gegen den Gleichheitssatz gibt es schon bei der Erhebung der Infrastrukturabgabe: Ausländer, die keine Autobahnen nutzen wollen, brauchen keine Vignette zu kaufen. Wollen sie sie nutzen, haben sie die Wahl, eine solche für einen Zeitraum von zehn Tagen, zwei Monaten oder ein Jahr zu erwerben. Dies ist nachvollziehbar.
Jeder Halter eines in der Bundesrepublik zugelassenen Fahrzeugs erhält jedoch zwangsweise eine Jahresvignette – unabhängig davon, ob und in welchem Ausmaß er das Bundesfernstraßennetz in Anspruch nimmt. Auch unabhängig davon, wie gut oder schlecht das Netz am Wohnort ausgebaut oder erreichbar ist. Anwohner des Ruhrgebiets zahlen den gleichen Beitrag wie Bewohner im Flächenland fernab jeder Metropole. Was von der CSU als Diskriminierung von Ausländern geplant war, ist zur Diskriminierung der eigenen Wähler geworden.
Der zweite Verstoß liegt in der Höhe der Abgabe. Maximal sind 130 Euro zu entrichten, gestaffelt nach Hubraum und Schadstoffklasse. Was aber haben Hubraum und Schadstoffklasse eines Fahrzeugs mit der Nutzung der Bundesfernstraßen zu tun? In der Gesetzesbegründung heißt es lediglich, dass ein «Anreiz zum Erwerb emissionsarmer Pkw» gesetzt werden soll. Dieser Maßstab wurde von der Kfz-Steuer übernommen. Für die Höhe der Steuern sind solche Lenkungsfunktionen häufig anzutreffen und unproblematisch. Wenn Steuern schon ohne Gegenleistung erhoben werden, dann wenigstens gleich auch zu einem guten Zweck. Im Gebühren- und Beitragsrecht steht der Ausgleich der Gegenleistung aber im Vordergrund. Ein geeigneter Maßstab für die Kosten und die Nutzung der Verkehrsinfrastruktur wäre die Masse des Fahrzeugs und die Fahrhäufigkeit, denn dies sind die wesentlichen Faktoren für Abnutzung und Investitionserfordernisse.
Die Friseurin, die in der Kleinstadt Bützow (MV) mit ihrem Golf II, Baujahr 1990, Leergewicht 850 kg, Benzinmotor, 1,6 Liter Hubraum, zur Arbeit fährt, bezahlt 104 Euro im Jahr, ohne eine Bundesfernstraße zu nutzen oder in unmittelbarer Nähe zu haben. Der Unternehmer, der in Bayern mit einem Audi Q7, Leergewicht 2,3 Tonnen, Benzinmotor, 3 Liter Hubraum, ständig zwischen den Städten pendelt, zahlt jedoch nur 60 Euro. Ist der Golf ein Dieselfahrzeug, muss die Friseurin das Maximum von 130 Euro zahlen. Der bayerische Geschäftsmann kann sich für denselben Preis mit einem Audi Q7, Diesel, V12, 6 Liter Hubraum und knapp 3 Tonnen Leergewicht bewegen. Oder er kauft gleich einen Tesla S – eine Elektro-Luxuslimousine mit mehr als 2 Tonnen Leergewicht. Die kostet gar nichts.
Wenn Seehofer sagt, dass die «Pkw-Maut im besonderen bayerischen Interesse ist», bekommt dieses Beispiel ein besonderes Gschmäckle. Die Mecklenburger bezahlen nun das großzügig ausgebaute Bundesfernstraßennetz in Bayern. Das löst dort vermutlich nur ein Schulterzucken aus, schließlich ist man im Finanzausgleich Nettozahler. Oder mit den Worten der Mautbefürworter: Sind wir die Melkkuh Deutschlands?

Der Autor ist steuerpolitischer Sprecher der LINKEN im Bundestag.

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