von Atilio Borón
Die Nachricht von Eduardo Galeanos Tod hat mich tief getroffen. Und das einzige, worauf ich Lust hatte, war – ehrlich gesagt –, seine Bücher in meiner Bibliothek zu suchen, um mich wieder in seiner Begleitung an ihrer Lektüre zu erfreuen. Eduardo war nicht nur ein scharfer und bissiger Kritiker des Kapitalismus und ein mit der lateinamerikanischen Revolution engagierter Mensch, sondern auch ein zugleich origineller und tiefgründiger Denker, was nicht so oft vorkommt wie man annimmt.
Mehr als einmal haben wir über die Tragik vieler Intellektueller geredet, die mit ihrer Originalität prahlen, deren Gedanken sich jedoch an der Oberfläche befinden, in einer Scheinwelt. Sie sind zwar originell, aber nur als Schöpfer von Banalitäten, sie sind Meister in der Kunst des Wortspiels. Sie erfüllen eine wichtige konservative Funktion (manchmal ohne ihr Wissen) in der Schaffung von politischer Resignation und von Konformismus. Sie sind Söhne der ideologischen Konfusion und der Unfähigkeit, zu den Wurzeln der Sachen vorzudringen, wie Marx es empfohlen hat.
Andere sind tiefgreifend, aber nicht originell. Ihre Grundideen stammen von einigen der größten Köpfe der Geschichte der politischen und sozialen Gedanken: Der Preis dieser geliehenen Tiefe – und den dabei nicht immer anerkannten Ursprung des wahren Schöpfers – ist, was Gramsci «doktrinäre Pedanterie» nannte: der Ersatz der konkreten Analyse der konkreten Realität mit kühnen Federstrichen, die nichts erklären und der Weltveränderung überhaupt nicht dienen.
Galeano stellte eine bemerkenswerte Ausnahme diesen Fallen gegenüber dar und besaß auch viele andere Tugenden, als ob die erwähnten nicht genügen würden: Er war ein außergewöhnlicher Mensch und auch ein hochgebildeter Historiker, ein erstklassiger Kenner des historischen Dramas von Lateinamerika, begabt mit einer bemerkenswerten Fähigkeit, seine Gedanken zu übermitteln; Gedanken, die sich immer auf eine historische oder aktuelle Realität bezogen, die er mit akribischer Präzision schilderte in einer Sprache, die jeder versteht.
Er schrieb nicht für die Eingeweihten, sein Ziel war es, mit seiner Stimme alle Unzufriedenen, Unterdrückten und Ausgebeuteten zu erreichen, die in seiner einfachen, klaren und ungekünstelten Sprache ein wertvolles Instrument fanden, um ihre bedrückende Realität, die Ursachen des Elends und der Grausamkeiten, die in der zeitgenössischen Szene herrschen, zu verstehen und zu erklären, sowie eine Anregung, um sich zu mobilisieren und zu kämpfen. Dazu benötigte er unendliche Geduld und handwerkliches Geschick, was ihm gelegentlich schlaflose Nächte bereitete – die meiste Zeit seines Lebens in Begleitung einer Packung Zigaretten –, mit sich ringend, um den richtigen Satz oder das genaue Wort zu finden, das sein Argument wirkungsvoll abschließt, dass es aussagte, was er sagen wollte und fähig war, dem Leser seine eigene Lage ins Bewusstsein zu rufen und den Anstoß zu geben, diese zu ändern.
Nun hat uns Eduardo verlassen, aber er hat uns ein kostbares Erbe hinterlassen, das für immer die Befreiungskämpfe unserer amerikanischen Völker begleiten wird. Wir könnten Eduardo sogar mit dem Satz beschreiben, den er selbst so oft nach dem Ableben von Hugo Chávez benutzt hat: «Sie sagten mir, dass Chávez gestorben sei, aber ich glaube es nicht», denn die Träume und Gedanken von Chávez, so wie die von Galeano, werden für immer leben. Es ist ganz offensichtlich, dass mit Galeano einer dieser Unentbehrlichen gegangen ist, wie einst Bertolt Brecht sie bezeichnete. Vielleicht sogar der Unentbehrlichste von allen im Kampf um die Ideen, um die wir uns bemühen. ¡Hasta la victoria siempre, Eduardo!
Aus Rebelión (Buenos Aires), 14.4.2015
Atilio Borón unterrichtet politische Theorie an der Universität von Buenos Aires. Er ist Gastprofessor u.a. an den Universitäten Columbia, MIT, Notre Dame, UCLA (USA), Warwick und Bradford (England). Für sein Engagement um die Integration der Länder Lateinamerikas erhielt Atilio Borón 2009 den UNESCO-Preis «José Martí».
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