von Larissa Peiffer-Rüssmann
Der Privatschulboom hält an. Der Nationale Bildungsbericht 2014 spricht von 3500 allgemeinbildenden Privatschulen, ein Anstieg von 58% gegenüber 1998/99. Die Zahl der privaten Grundschulen hat sich in diesem Zeitraum «mehr als verdoppelt», in Ostdeutschland «nahezu versechsfacht». Infolge der demografischen Entwicklung sank die Zahl der Schülerinnen und Schüler an öffentlichen allgemeinbildenden Schulen deutschlandweit um 18%, an Privatschulen hingegen stieg sie um 37,6%.
In Ostdeutschland entstanden Privatschulen häufig durch Elterninitiativen dort, wo sich aufgrund des Bevölkerungsrückgangs Kommunen gezwungen sahen, öffentliche Schulen zu schließen, aber ein wohnortnahes Angebot erhalten bleiben sollte. Aber auch Unternehmen fühlen sich zur Gründung von allgemeinbildenden Privatschulen berufen, so etwa die Volkswagen AG in Wolfsburg und die TÜV Rheinland AG in Görlitz, Dresden, Leipzig und Gera.
«Ersatzschulen» ersetzen die öffentliche Schule und erhalten vom Staat 60–87% der Kosten erstattet. Sie müssen sich nach den Lehrplänen des jeweiligen Bundeslands richten und unterliegen staatlicher Kontrolle. Privatschulen dürfen dann nicht zugelassen werden, wenn der Fortbestand einer öffentlichen Schule gefährdet ist, z.B. durch sinkende Schülerzahlen. Laut Grundgesetz muss die öffentliche Schule in zumutbarer Entfernung liegen, was im Zweifelsfall Auslegungssache sein dürfte.
«Ergänzungsschulen» ergänzen das öffentliche Angebot, sie haben mehr Freiraum bei der Lehrplangestaltung und der Auswahl des Lehrpersonals. Oft sind es berufsbildende Schulen oder International Schools. Einige nehmen bis zu 1000 Euro Schulgeld im Monat. Die Zahl der berufsbildenden Privatschulen hat sich zwischen 1998/99 und 2012/13 um 32,8% erhöht. Sie erhalten häufig staatliche Zuschüsse. Es ist dann in netter Umschreibung von «Anschubfinanzierung» die Rede. Gleichzeitig wird in den öffentlichen Schulen beim Reinigungsdienst so fleißig gespart, dass es schon eine Zumutung ist für alle, die dort lernen und arbeiten.
Sind Privatschulen wirklich besser?
Oft wird das behauptet. Doch Manfred Weiß vom Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung spricht von einem Privatschulmythos. Weder lernen Schüler in Privatschulen durchgängig in kleineren Klassen noch sind diese besonders reformfreudig. Viele öffentliche Schulen arbeiten reformpädagogisch, sind leistungsstark und förderorientiert, während zahlreiche private Schulen ganz konventionell arbeiten.
Auch bei den Schulleistungen gibt es kaum Unterschiede, vorausgesetzt, es werden Leistungen bei vergleichbarem familiären Hintergrund und ähnlichen interellektuellen Voraussetzungen verglichen. Selbst die OECD, die ja eine Wirtschaftsorganisation ist, stellt anhand der PISA-Daten fest, dass Privatschulen nicht zu einer Leistungssteigerung im Schulwesen insgesamt beitragen. Der Graben verläuft im Sekundarbereich vielmehr zwischen Hauptschulen und Gymnasien, nicht zwischen öffentlichen und privaten Schulen. Finnland ist mit einem geringen Privatschulanteil dafür ein gutes Beispiel: Es geht sehr gut auch ohne Privatschulen.
Die Träger: Kirchen und Unternehmen
Die größten Anbieter von Privatschulen sind die katholische und die evangelische Kirche, gefolgt von weltanschaulich geprägten Schulen wie Freie Waldorfschulen und evangelikale Schulen, weiter bilingual geführte Schulen, gefördert von Unternehmen und Stiftungen. Da lohnt sich schon mal ein genaueres Hinsehen.
Die Swiss International School mit fünf Standorten in Deutschland ist ein Gemeinschaftsprojekt der Klett-Gruppe und von Kalaidos (Schweden), ferner kooperiert sie mit der Firma Wintershall (Erdöl- und Erdgasproduzent).*
Die Phorms Education, Berlin, startete 2006, sie betreibt private Kitas, Grundschulen und Gymnasien. Sie erklärte gleich zu Beginn, dass sie mit den Ersatzschulen 6–8% Rendite erwirtschaften will. Nach heftiger Kritik in der Öffentlichkeit ruderte das Management zurück. «Darlehensgeber bekommen einen marktüblichen Zinssatz», erklärte der Phorms-Direktor. Hauptgeldgeber sind die Brüder Christian und Mathias Boehringer, sie gehören zu den Eigentümerfamilien des Pharmaunternehmens Boehringer Ingelheim.**
Auch die Unternehmensberatung Boston Consulting investiert in die Phorms AG und spricht von Schule als einem «geregelten Marktplatz». 2013/14 betrug der Umsatz einschließlich der staatlichen Zuschüsse 33,4 Mio. Euro. Noch schreiben sie rote Zahlen, aber sie versichern, man sei «auf gutem Wege».
Die Rahn-Schulen (Rahn-Dittrich Group, Leipzig) betreiben 19 Einrichtungen: Kitas, Grundschulen, Oberschulen, Gymnasien und Musikschulen bis zu berufsbildenden Schulen in Sachsen, Brandenburg, Thüringen und Sachsen-Anhalt; sie sind als gemeinnützig anerkannt. 2013 lernten hier 3313 Schüler, mit steigender Tendenz.
Auf den ersten Blick fällt die Quinoa-Schule, Berlin, etwas aus dem Rahmen. Sie will eine «Leuchtturmschule» sein, nicht für Mittelschichtkinder, sondern für Benachteiligte. «Erste Privatschule für Hartz-IV-Kinder entsteht im Wedding», lautete die Schlagzeile in der Berliner Morgenpost im März 2014. Es ist eine Integrierte Sekundarschule von Klasse 7 bis 10, von den 24 Schülern sprechen 18 zu Hause kein Deutsch. Hartz-IV-Eltern zahlen kein Schulgeld, nur Essensgeld.
Förderer der Schule sind die Deutsche Post DHL sowie unternehmensnahe Stiftungen (Vodafone, Haniel, Bayer, Veolia). Die beiden Schulgründer Fiona Brunk und Stefan Döring arbeiteten vorher als «Fellow» bei Teach First Deutschland (TFD). TFD ist Teil einer weltweit agierenden Initiative, deren Ursprung in den USA liegt. Hier heißen sie Teach for Amerika (TFA). Auch dort werden sie aus dem Unternehmerlager finanziert (u.a. von Gates, Walton, Broad). Sie sind ein Teil der neoliberalen Bewegung, die sich für Markt und Wettbewerb einsetzt. Nach der Wettbewerbslogik muss es Gewinner und Verlierer geben, das aber passt nicht zu der Vorstellung einer guten Bildung für alle, aus gewerkschaftlicher Sicht ist diese Art von Absonderung schärfstens zu verurteilen.
Staat unterstützt Fundis
Die Georg-Müller-Schule (GMS), Bielefeld, verdient ebenfalls kritische Aufmerksamkeit, denn sie ist eine «Private Evangelikale Bekenntnisschule». Die GMS ist staatlich anerkannt, sie muss sich nach den Richtlinien und Lehrplänen von NRW richten. Trotzdem versteht sie sich als «Schule auf biblischer Grundlage». Laut Schulprogramm ist «Homosexualität falsches Handeln». Und die Evolutionstheorie? In fundamentalistischer Weise wird an der wörtlichen Auslegung der Schöpfungsgeschichte festgehalten (Kreationismus). Schon erstaunlich, dass Schulen mit solch abstrusem Weltbild auch noch öffentliche Gelder erhalten. 2007 gab es bundesweit 70 evangelikale Bekenntnisschulen, 2014 waren es bereits 97 Schulen mit gut 35.000 Schüler.
Ebenso fragwürdig sind türkische Privatschulen wie etwa Gymnasium & Realschule Dialog in Köln (seit 2007). Die Schulverantwortlichen sind Anhänger des umstrittenen muslimischen Predigers Fethullah Gülen, das allerdings steht nicht in ihren professionellen Werbeprospekten. Gülen rechtfertigt z.B. die Vorschrift des Koran, wonach die Aussage einer Frau vor Gericht nur halb so viel gelten soll wie die des Mannes. Außerdem bekennt er sich zum «Intelligent Design», einer Variante des Kreationismus. Statt Islamunterricht oder Religion steht Ethik auf dem Stundenplan für die zu 90% aus türkischen und kurdischen Familien kommenden Schüler.
Auch diese Schule erhält 87% ihrer Kosten vom Land. Im Gegenzug dürfen Ersatzschulen zwar keine Elternbeiträge erheben, dürfen aber ein Nachmittagsbetreuungsgeld, gestaffelt nach Einkommen, verlangen; der Höchstbetrag liegt hier bei 240 Euro.
Zunehmende Selektion
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung stellt fest: «Der Trend zur Privatschule geht an bildungsfernen Eltern vorbei», entscheidend für die Schulwahl ist weniger das Einkommen der Eltern als deren Bildungsgrad.
Noch ist die Grundschule die einzige Schulform, in der alle Kinder gemeinsam lernen. Eine frühe soziale und ethnische Trennung verschärft die soziale Ungleichheit auf unverantwortliche Weise und nimmt den Kindern die Möglichkeit, den Umgang mit der Pluralität zu lernen und davon zu profitieren. Liegt eine private Grundschule, z.B. eine in kirchlicher Trägerschaft, in unmittelbarer Nähe zu einer städtischen Grundschule, kann sie sich die Kinder aussuchen, was die städtische Grundschule zurecht nicht darf, sie bekommt damit eine handverlesene Schülerschaft. Zusätzlich erhobene Beiträge oberhalb von 100 Euro pro Monat verschärfen diese Situation. Eine «Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern» widerspricht aber dem Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes. Die ohnehin schon vorhandene Trennung in der Sekundarstufe wird durch den Privatschulboom vor allem im gymnasialen Bereich noch einmal in unverantwortlicher Weise verschärft.
Die GEW spricht zurecht von einer «extremen Spaltung des Bildungswesens» und empfiehlt den Eltern, ihre Kinder in öffentliche Schulen zu schicken und sich dort zu engagieren. «Man braucht keine freien Träger, um gute Schulen für alle Kinder zu machen.»
* Die Wintershall AG sympathisierte als Konzern schon vor 1933 mit den Nazis und unterstützte sie finanziell. Sie profitierte auch von der «Arisierung».
** Das Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim war maßgeblich an der Produktion von Agent Orange beteiligt. Der Einsatz dieses Entlaubungsgifts 1967 und 1968 während des Vietnamkriegs führte bei Millionen Menschen zu Gesundheitsschäden. Auch drei Generationen nach dem Einsatz kommen noch viele Neugeborene mit schweren Fehl- und Missbildungen zur Welt.
Quelle: Privatisierungsreport. Privatschulen auf dem Prüfstand (Hrsg. GEW). Frankfurt a.M. 2015
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