von Klaus Engert*
Die Wahlen in Nigeria vom 28.März (Präsidentenwahl) und 11.April (Gouverneurswahlen in 28 Bundesstaaten) brachten in beiden Fällen einen Erdrutschsieg des All Progressives Congress (APC), eines Zusammenschlusses von vier vorwiegend regional verankerten Parteien. Die Erwartungen der Bevölkerung in die neue Regierung, die Ende Mai ihr Amt antreten wird, sind hoch – aber eine wirkliche Änderung ist nicht zu erwarten.
Nigeria hat keinen wirklich neuen Präsidenten. Muhammadu Buhari vom APC siegte mit deutlichem Vorsprung vor dem Amtsinhaber Goodluck Ebele Jonathan von der People’s Democratic Party (PDP), die seit dem Ende der letzten Militärdiktatur 1999 ununterbrochen regiert hatte. Buhari ist ein alter Bekannter in der nigerianischen Politik: er war bereits von 1983 bis 1985 als Militärdiktator im Amt, als die Armee nach einem kurzen demokratischen Zwischenspiel (seit 1979) den demokratisch gewählten Präsidenten Shagari stürzte. 1985 wurde Buhari seinerseits hinweggeputscht und landete 1988 kurzzeitig im Gefängnis.
Das war nicht sein erster «Ausflug in die Politik» gewesen. Er war – zusammen mit den späteren Militärdiktatoren Murtala Mohammed, Ibrahim Babangida und Sani Abacha, dem späteren Mörder Ken Saro Wiwas – schon am Militärputsch von 1966 beteiligt, der den kurz zuvor an die Regierung geputschten General Ironsi beseitigte und den Bürgerkrieg, auch als «Biafra-Krieg» bezeichnet, einleitete.
Parteien sind in Nigeria, mehr noch als in Europa, schlichte Seilschaften zum Machterwerb und -erhalt. So wechselten noch kurz vor den Wahlen reihenweise PDP-Mitglieder bis hin zum Gouverneur von der PDP zum APC (natürlich nicht ohne Gegenleistung…); selbst der Vorvorgänger Goodluck Jonathans, Olusegun Obasanjo, ebenfalls vormals Militärdiktator und von 1999 bis 2007 gewählter Präsident (auf dem Ticket der PDP), verließ das sinkende Schiff und trat aus der PDP aus.
Goodluck Jonathans Erbe
Man konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Präsident Goodluck Jonathan seinen Sessel gar nicht so ungern räumt, was angesichts der desolaten ökonomischen Situation auch nicht verwundert. Er gratulierte dem Gewinner frühzeitig zu dessen Sieg und rief zu Ruhe und Besonnenheit auf. Die in Nigeria bei Wahlen regelmäßig auftretenden Gewaltausbrüche hielten sich in Grenzen – «nur» etwa einhundert Tote sind im Vergleich zu den letzten Wahlen eher wenig.
Buhari dürfte es schwer haben, seine Wahlversprechen – Prosperität, Ende der Korruption, Vernichtung von Boko Haram, eine Mahlzeit am Tag (!) – einzulösen, falls er das vorhaben sollte: Die Staatskassen des reichsten Landes im subsaharischen Afrika sind nämlich leer. Das hat eine ganze Reihe von Gründen:
Der Einbruch der Ölpreise Mitte 2014 um 50% hat Nigeria hart getroffen. Der Staatshaushalt beruht zu über 80% auf den Öleinnahmen, die in den letzten Jahren aus den Ölgeldern gebildeten Rücklagen waren schon im letzten Quartal 2014 praktisch aufgebraucht.
Die allgegenwärtige Korruption und die Selbstbedienungsmentalität der kleinen herrschenden Schicht schlucken einen großen Anteil der Einnahmen – Nigeria verbraucht schätzungsweise 25% des Staatshaushalts nur für den politischen Apparat, der Präsident unterhält die zweitgrößte Luftflotte des Landes mit einer zweistelligen Anzahl an Flugzeugen und Helikoptern zu seiner persönlichen Verfügung.
Allein der Wahlkampf hat nach Berechnungen des Magazins African News insgesamt etwa 20 Milliarden Dollar verschlungen. Und die kamen zum größten Teil aus öffentlichen Geldern. Um nur ein Beispiel zu nennen: Eine Großspende steuerte die ehemals staatliche Elektrizitätsgesellschaft bei, die privaten Käufer hatten allerdings den Kauf über einen staatlichen Kredit finanziert, der zum Teil in den Wahlkampffonds der PDP floss…
Der Krieg gegen Boko Haram im Norden verschlingt ebenfalls Unsummen.
Als die Öleinnahmen einbrachen und gleichzeitig Geld für den Wahlkampf gebraucht wurde, griffen sowohl die Zentralregierung wie auch die Gouverneure einiger Teilstaaten zu einem simplen Mittel: Sie stellten abrupt die Zahlungen ein. Die öffentlichen Angestellten in einigen Teilbereichen bekamen über Monate keinen Lohn, und auch die Zahlungen an die Firmen, die öffentliche Aufträge bearbeiteten, blieben aus. Insgesamt sitzt die Regierung, allein was Letzteres betrifft, auf einem Schuldenberg von mehreren Milliarden Dollar. Die betroffenen Firmen wiederum haben die Arbeiten weitgehend eingestellt – Straßen, Brücken und öffentliche Gebäude stehen halbfertig in der Landschaft, und die Arbeitslosigkeit ist in die Höhe geschnellt, weil die Unternehmen bis zu 50% ihrer Arbeiter wegen Arbeitsmangel umgehend entließen.
Die um ihren Lohn geprellten öffentlich Beschäftigten wiederum sind wiederholt in den Streik getreten, nicht etwa für höhere Löhne, sondern, um überhaupt Geld zu sehen. Im Hauptquartier der PDP bspw. trat nach der Wahl das Reinigungspersonal in den Streik, weil es seit vier Monaten kein Gehalt bekommen hat.
Wie geht es weiter?
Buhari steht vor einer unlösbaren Aufgabe: Er müsste die Staatsfinanzen sanieren, den Krieg im Norden gewinnen und auch seine sonstigen Wahlversprechen einlösen. Das ginge theoretisch auch, denn Nigeria hat trotz des gesunkenen Ölpreises kein Einnahme-, sondern ein Verteilungsproblem – und Boko Haram ist, wie wir in SoZ 3/2015 bemerkten, ein Problem, das sich nicht militärisch, sondern nur (sozial)politisch lösen lässt.
Aber Buhari wird erst einmal all die zufriedenstellen müssen, die ihm den Sieg ermöglicht haben, und das allein wird sehr teuer werden. Hinzukommt, dass bei den Gouverneurswahlen eine Bastion der PDP weitgehend ungeschoren blieb: die ölproduzierenden Bundesstaaten im Süden des Landes. Da aber kommen eben jene 80% des Staatshaushalts her, die für eine gerechte Verteilungspolitik gebraucht würden.
Buhari wird sich also arrangieren müssen. Aber ohne eine Änderung der korrupten und klientelistischen Politik werden Instabilität und Gewalttätigkeit weiter zunehmen. Und das hat nichts damit zu tun, dass mit Buhari erstmals seit langem ein Vertreter des (muslimischen) Nordens an der Macht ist. Es ist schlicht das Resultat des Kontrasts zwischen der empörenden sozialen Ungleichheit und dem objektiven Reichtum des Landes.
«Besser», so sagte mir ein nigerianischer Chauffeur, «wird es nicht werden. Ich hoffe nur, es wird nicht noch schlimmer.»
* Der Autor berichtet aus Lagos
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