Streikzeitung Nr 5, Sonderausgabe Mai 2015
Erneut gibt es fette Schlagzeilen wie „BAHNSINN – GDL legt Republik lahm“. Erneut wird der führende Kopf der GDL als „Irrer“ bezeichnet. Erneut ist die Rede von „maßlosen Forderungen“ der GDL. Und erneut wird „die Schlichtung“ gefordert – und dabei behauptet, „die Tarifpartner“ hätten sich „in eine ausweglose Situation verrannt“.
Hier müssen zwei Fragen gestellt werden: Erstens – Wer ist für die extrem langandauernde Tarifauseinandersetzung verantwortlich? Und zweitens – Wer ist eigentlich die Deutsche Bahn AG?
Auffallend ist: Die Deutsche Bahn AG hat inzwischen mehrmals Vereinbarungen neu in Frage gestellt, die sie in den vorausgegangenen Tarifverhandlungen bereits fest zugesagt hatte. So gestand sie – nach Streiks – der GDL am 17. Dezember zu, dass die GDL für das gesamte Fahrpersonal verhandeln und in diesem Bereich normativ gültige Tarifverträge abschließen kann. Dass sie also außer für Lokführer auch für Zugbegleiter, Bordgastronomen, Lokrangierführer und Disponenten – insoweit es sich um GDL-Mitglieder handelt – einen Tarifvertrag abschließen kann.
Doch Anfang des Jahres stellte die DB AG eben diese Absprachen in Frage. Nach langwierigen Verhandlungen und der Ankündigung eines neuen GDL-Streiks lenkte sie dann ein und unterzeichnete am 23. Februar eine juristisch bindende Erklärung, die eben die Vereinbarung vom 17. Dezember neu bestätigte. Aktuell stellt die Bahn einen Teil dieser Abmachung wieder in Frage. Sie erklärt, die Lokrangierführer seien „der Knackpunkt“. Die GDL fordere hier „andere Entgeltund Zulagenstrukturen und andere Arbeitszeitregelungen als die bestehenden, mit der EVG vereinbarten.“
Das widerspricht den Vereinbarungen vom 17. Dezember und vom 23. Februar. Offensichtlich wird hier eine bewusste Verzögerungstaktik betrieben. Und dies mit enorm hohen Kosten. Die Deutsche Bahn behauptet, die bisherigen Streiks – ohne den aktuellen – hätten sie einen „dreistelligen Millionenbetrag“ gekostet. Die Unternehmerverbände behaupten, allein der aktuelle, einwöchige Streik koste „die Wirtschaft bis zu 500 Millionen Euro“.
Diese Zahlen mögen übertrieben sein. Tatsache ist jedoch: Die Kosten der bisherigen Tarifauseinandersetzung liegen für die Deutsche Bahn AG deutlich über dem, was es kosten würde, die GDL-Forderungen zu, sagen wir 75 oder 80 Prozent zu erfüllen und einen gültigen neuen Tarifvertrag abzuschließen. Nun ist der Aufenthaltsraum von Konzernen nicht ein Sado-Maso-Club, sondern die kapitalistische Konkurrenzwirtschaft. Der Arbeitskampf kostet die Bahn enorm viel Geld – und er gefährdet auch ihre Marktanteile im Verkehrsbusiness. Warum also das Ganze?
Fragen wir besser: Wer ist denn die Deutsche Bahn AG? Die Deutsche Bahn ist ein Staatskonzern. Er gehört zu 100 Prozent dem Bund. Die Bundesregierung bestimmt in allen entscheidenden Fragen die Politik des Unternehmens. Alle Bahnchefs – von Dürr über Ludewig und Mehdorn bis zu Grube – wurden im Bundeskanzleramt bestimmt (noch bevor ein Aufsichtsrat sich mit der entsprechenden Personalie befassen konnte). Darüber hinaus entsandte die Kanzlerin jüngst ihren ehemaligen Hofmeister, den Kanzleramtsminister Ronald Pofalla, in den Bahnkonzern. Sie will im Umfeld Grubes einen Getreuen haben, der höchst direkt die Politik der Bundesregierung im Bahnkonzern „begleitet“. Und auch mal exekutiert.
Warum, so ist zu fragen, stoppt die Bundesregierung als Vertreterin des Eigentümers nicht die Verzögerungstaktik des Bahnvorstands? Warum würdigt sie nicht die gerechtfertigten Forderungen der GDL und drängt darauf, einen sinnvollen Kompromiss herbeizuführen?
Offensichtlich geht es um höhere Ziele. Die angeblich unabhängige DB AG soll einerseits faktisch im Auftrag von Regierung und Unternehmerverbänden, teilweise unterstützt von den Spitzen einzelner DGB-Gewerkschaften, die kämpferische GDL in ihre Schranken verweisen. Gleichzeitig sollen auf diese Weise wichtige qualitative Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung und Überstundenbegrenzung ins Leere laufen – immerhin traditionelle Forderungen des DGB, wenn auch aus früheren Zeiten. Die Bundesregierung will in dieser Auseinandersetzung als scheinbar neutraler Schiedsrichter auftreten, um eine Schlichtung zu orchestrieren. Damit bestünde auch die Möglichkeit, all das, was bisher von der GDL in dieser Tarifauseinandersetzung erreicht wurde, neu in Frage zu stellen.
Vor allem aber geht es der Bundesregierung als Eigentümerin der DB AG darum, vor einem Tarifabschluss das sogenannte Tarifeinheitsgesetz im Bundestag zu verabschieden. Mit diesem Gesetz soll kleinen kämpferischen Gewerkschaften wie der GDL – aber auch dem Marburger Bund – faktisch das Streikrecht verwehrt werden.
Darüber hinaus präsentierte die CSU im Februar 2015 Vorschläge für ein „modernes Streikrecht“. Danach sind Streiks bei der Eisenbahn nur noch gestattet, wenn es zuvor eine Schlichtung gab, faktisch eine Zwangsschlichtung. Kommt es dann doch zu einem Streik, so ist auch während des Streiks eine „Grundversorgung an Verkehrsleistungen“ zu gewährleisten.
Bilanz: Das Streikrecht soll mit dem Tarifeinheitsgesetz zunächst erheblich eingeschränkt werden. Was als Auftakt für einen noch weiter reichenden Angriff auf das Streikrecht zu sehen ist. Deshalb versucht die DB AG, die GDL hinzuhalten, Zeit zu schinden. Deshalb versuchen Bundesregierung, Bahn und ein großer Teil der Medien, die GDL als unfähig und streiklüstern darzustellen.
Die Forderungen der GDL verdienen unsere uneingeschränkte Unterstützung. Mehr noch: Der
Arbeitskampf der GDL ist zugleich faktisch ein Teil des Kampfs gegen das Tarifeinheitsgesetz und gegen die Einschränkung des Streikrechts.
Nicht „die Republik“ wird durch Streiks lahmgelegt. Es gibt den Versuch einer Lahmlegung des
Streikrechts. Umso wichtiger ist unsere Solidarität mit der GDL und mit dem aktuellen Arbeitskampf der Lokführer und des übrigen Zugpersonals.
aus: Streikzeitung Nr.5, Sonderausgabe Mai 2015
Die komplette Ausgabe findet sich unter http://pro-gdl-streik14.de/?p=553
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