von Larissa Peiffer-Rüssmann
Die bis zu 500.000 von den Nazis ermordeten Sinti und Roma haben zwar seit Oktober 2012 ein Denkmal in Berlin, aber die Lebenden werden weiter diskriminiert und abgeschoben.
Die Abschottungspolitik von CDU/CSU und SPD trifft in besonderem Maße die Nachkommen derer, die von den Deutschen als «Zigeuner» verfolgt und vernichtet wurden. Ihre Asylanträge werden zu fast 100% abgelehnt, seitdem Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina im Bundesrat zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt wurden; der Kosovo soll folgen. Dieser Beschluss kam durch die Zustimmung der Grünen zustande, genauso wie die deutsche Beteiligung 1998/1999 am Jugoslawienkrieg, der das Flüchtlingsproblem erst auslöste. Zweifelhafte Abkommen führen zu verschärften Massenabschiebungen von schutzsuchenden Roma, sie werden als nicht «asylrelevant» eingestuft und oft mit falschen Versprechungen zur «freiwilligen» Ausreise gezwungen, obwohl viele ihrer Familien seit Jahren in Deutschland leben.
Eine Gruppe von Menschenrechtsaktivisten hat die abgeschobenen Roma-Familien in Serbien und im Kosovo besucht und katastrophale Zustände angetroffen. Ihre ausführlichen Berichte* über das Leben der Roma in Elendsvierteln in segregierten Bereichen, wo 30% keine Trinkwasserleitungen, 60% kein Abwassersystem und nur ein Drittel Strom haben, muten abenteuerlich an, es ist es ein Kampf ums nackte Überleben. Der Zugang zum Wohnungsmarkt, zu Bildung und Gesundheitsvorsorge ist versperrt oder nicht bezahlbar.
Die Menschenrechtsgruppe besuchte u.a. Vidikovac am Rande von Belgrad. Hier wohnen etwa 30 Roma-Familien in Slumhütten, direkt neben Müllbergen. Einen Übersetzer brauchte die Reisegruppe nicht, hier wird fließend Deutsch gesprochen, die Familien haben in Mönchengladbach, Köln, Hannover oder Hamburg gelebt, manche über zehn Jahre – bis sie abgeschoben wurden. Einzelne Familien schildern ausführlich unglaubliche Verhältnisse – und das mitten in Europa, unter Mithilfe deutscher Regierungsstellen, die sich vor Ort «kundig» gemacht haben.
Bis zu 55.000 Menschen leben in Serbien vom Müllsammeln. Jetzt hat Belgrad auf besondere Weise reagiert: die Stadtverwaltung hat die Mülltonnen durch unterirdische Behälter ersetzt und das Müllsammeln unter Strafe gestellt.
Das Projekt «URA 2» (Ura heißt Brücke auf albanisch) für «Rückkehrer» in den Kosovo ist an Zynismus kaum noch zu überbieten. Es wird finanziert von sieben Bundesländern und dem Bund und betreibt ein Büro in Pristina. Als die Gruppe das Büro aufsuchen will, ist es verschlossen, keiner ist ansprechbar. In Broschüren wirbt das Projekt mit «Unterstützung bei Behördengängen», «psychologischer Betreuung» und Zuschüssen für Miete, Medizin, Schulsachen und Erstausstattung der Wohnung, von Förderung der Integration auf dem Arbeitsmarkt und Fortbildungskosten ist die Rede. Aber das ist so weit von der Realität entfernt wie der Weg zum Mond. Die Rückkehrer erhalten sechs Monate lang eine monatliche Unterstützung von 75 Euro, und das bei Lebensmittelpreisen, die mit Deutschland vergleichbar sind.
Die Arbeitslosigkeit bei Roma beträgt fast 100%. Einige abgeschobene Romafamilien schildern ausführlich ihren bedrückenden Lebensalltag, ihre Perspektivlosigkeit und ihre Sehnsucht nach einem menschenwürdigen Leben. Beide Bände sind reich bebildert und untermalen auf anschauliche und zugleich bedrückende Weise die Schilderungen der Betroffenen.
*Abgeschobene Roma im Kosovo. Abgeschobene Roma in Serbien. Journalistische, juristische und medizinische Recherchen, Bremen 2014, je 20 Euro, Bestellungen unter: doku@koop-bremen.de.
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