von Violetta Kuhn
Immer wieder heißt es, Streiks bei Amazon könnten durch die Umlegung nach Polen abgefedert werden. Doch damit könnte bald Schluss sein, denn auch dort beginnen die Beschäftigten sich zu organisieren.
Im Mai 2013 hat die Gewerkschaft Ver.di Amazon in Deutschland den Kampf angesagt. Die ersten Streiks für einen Tarifvertrag nach dem Einzel- und Versandhandel begannen in Bad Hersfeld und Leipzig. Inzwischen haben sich in Deutschland sechs von neun Standorten angeschlossen. In Frankreich mobilisierten CGT und die CFDT für den 26.Mai zu Aktionen angesichts der dortigen gescheiterten Verhandlungsrunde über Lohnerhöhungen.
Die Arbeitsniederlegungen bei Amazon sind vielleicht eines der wenigen Beispiele, die in den letzten beiden Jahren nicht von hauptsächlich offener Hetze in den Medien begleitet wurden, wie etwa der GDL-Streik oder das derzeitige Aufeinandertreffen verschiedener Tarifrunden. Das mag auch daran liegen, dass Amazon seit der ARD-Dokumentation «Ausgeliefert» vor gut zwei Jahren als Paradebeispiel für prekäre Arbeitsbedingungen gilt. Und wohl auch daran, dass hier oft ein Kampf der Kulturen zelebriert wird gegen einen amerikanischen internationalen Konzern, der Symbol für die neue Welt ist, nicht nur was die Arbeitsbedingungen, sondern auch was das Konsum- und Steuerverhalten, den Datenschutz, die Digitalisierung, aber auch die Bedrohung anderer Konzerne des stationären Buch- und Einzelhandels betrifft.
Amazon reagiert mit verschiedenen Methoden auf die gewerkschaftliche Organisierung in Deutschland, beliebt ist der Klassiker: Drohung mit Standortschließung und Verlagerung. Damit versucht das Unternehmen, international Standorte gegeneinander auszuspielen.
Die Arbeiterinitiative
Umso entscheidender ist es, dass sich nun auch in Polen die Kolleginnen und Kollegen organisieren. Der Standort in Poznan wurde im September 2014 eröffnet. Anders als in Deutschland wurde hier keine strukturschwache Region gewählt. Die Löhne sind auch im regionalen Vergleich niedrig und werden oft unpünktlich bezahlt, das Lohnsystem ist undurchsichtig, die Prämiensysteme kompliziert, Leiharbeitsverträge werden zur Regel und die Produktivitätsnormen steigen. Schon drei Monate nach Eröffnung des Standorts Poznan gründete sich deshalb im Dezember eine Betriebsgruppe der Inicjatywa Pracownicza (IP – Arbeiterinitiative).
Die IP entstand 2004 als Reaktion auf die Krise der offiziellen Gewerkschaften und aus der Kritik an deren Passivität, Bürokratie und Verwobenheit mit der antisozialen Politik der Regierung. IP definiert sich als Basisgewerkschaft in anarcho- und revolutionär-syndikalistischer Tradition. Sie lehnt Gewerkschaftsbürokratie und hauptamtliche Gewerkschaftssekretäre ab. Ihre Hauptprinzipien sind radikale Demokratie und die Unabhängigkeit vom Arbeitgeber. Sie organisiert nicht nur Festangestellte, sondern auch Beschäftigte von Leiharbeitsfirmen (u.a. Manpower, Randstad und Adecco).
Das kommt unter den Amazon-Beschäftigten in Poznan gut an. Inzwischen zählt IP hier 150 Mitglieder und ist in verschiedenen Abteilungen vertreten.
Doch die Hindernisse für die Organisierung ähneln denen in Deutschland. Die Kontrolle am Arbeitsplatz erschwert den direkten Austausch während der Arbeitszeit, die regionale Streuung beschränkt die Möglichkeit für gemeinsame Treffen. Die unsicheren Beschäftigungsverhältnisse und Fluktuation wirken dem Willen, sich offen gegen die Geschäftsleitung zu stellen, entgegen.
Die Petition
Vor dem Hintergrund dieser Bedingungen ist die Einreichung einer Petition gegen die permanente Steigerung der Produktivitätsnormen ein bedeutender Schritt. Am 15.Mai übergab die Basisgewerkschaft Inicjatywa Pracownicza 400 Unterschriften an den Generaldirektor in Sady bei Poznan. Die Petition richtet sich «gegen die übermäßige Steigerung der Produktivitätsnormen».
Weiter heißt es: «Initiatoren der Aktion waren Beschäftigte aus der Versandabteilung, danach wurde sie von der IP unterstützt. Die Petition wurde von 402 Personen unterschrieben, obwohl sie nur eine einzige Woche in der Nachtschicht herumging … Dies ist ein deutliches Signal an die Firma, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter bei Amazon nicht passiv bleiben, wenn die von der Firma versprochene regionale Lohnübersicht mit einem Einfrieren der Löhne oder einer geringen, für die Belegschaft nicht zufriedenstellenden Lohnerhöhung endet. Die Gewerkschaft IP erwartet: Schluss mit der Erhöhung der Produktivitätsnormen; Schluss mit der Belastung der Beschäftigten durch Aufgaben, die vorher von mehreren Personen ausgeführt wurden, in Abteilungen, wo keine Normen bestehen; die Festlegung von klaren und festen Normen und deren Offenlegung gegenüber den Beschäftigtenn; die Festlegung der Normen auf Basis der durchschnittlichen Produktivität statt auf Basis der Leistung der produktivsten Beschäftigten; Beratung der Normen mit der Belegschaft; Ausgleich der bisherigen Normerhöhungen durch Lohnerhöhungen; wir sind nicht einverstanden mit Entlassungen wegen Nichterreichen der Normen.»
Unterstützt werden die Amazon-Beschäftigten auch von gewerkschaftlich Aktiven aus Deutschland. Am 23.Mai nahm eine Delegation von hiesigen Amazonkollegen an einer Demonstration der IP in Warschau teil, sie steht im direkten Austausch mit den Kollegen in Polen. Damit wurde ein Grundstein gelegt für die gegenseitige praktische Solidarität über Grenzen hinweg.
Der vollständige Wortlaut der Petition findet sich auf deutsch auf der Internetseite http://ozzip.pl.
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