von Jochen Gester mit Max Manzey
Volksbegehren in Berlin entwickeln sich zu einer ständigen Einrichtung. Sie spiegeln das wachsende Interesse der Stadtbewohner, sich selbst in wichtige politische Entscheidungen einzumischen, um wünschenswerte Alternativen durchzusetzen. Volksentscheide gab es zu zentralen Themen wie Wasser, Energie und Stromversorgung und zuletzt zur Bebauung des Tempelhofer Felds. Jetzt geht es um das innenpolitische Thema Nr.1 in der Berliner Politik, die steigenden Mieten und die Verknappung des Wohnraums. Motor ist die «Initiative Berliner Mieten Volksentscheid 2016». Über die Ziele ihrer Kampagne sprach Jochen Gester mit Max Manzey, Student der Stadtgeografie und einer der Pressesprecher der Initiative.
Wie schätzt du die aktuelle Wohnungssituation in der Stadt ein und warum seid ihr mit der Politik des Senats unzufrieden, die ja angeblich das Thema ganz vorn auf der Agenda haben soll?
Es ist wohl nicht übertrieben zu sagen, dass in Berlin Wohnungsnot herrscht – insbesondere für Menschen mit geringem Einkommen, Transferleistungsbeziehende, Flüchtlinge und generell für Menschen in prekären Lebensumständen. Besonders in der Innenstadt ist es extrem schwierig, eine Wohnung zu finden. Mieter werden aktiv aus den Kiezen verdrängt. In den letzten sechs Jahren sind die Angebotsmieten durchschnittlich um 30% gestiegen. Schaut man sich bestimmte Stadtteile an, z.B. rund um den Görlitzer Park, haben sie sich sogar verdoppelt. Die Folge davon ist ein Austausch der Bevölkerung. Kiez-Strukturen werden zerstört und die Innenstadt zu einer Domäne der Wohlhabenden, während die Armen an den Stadtrand gedrängt werden. Dagegen regt sich Widerstand aus allen Ecken.
Der Senat hat über Jahre aktiv zu dieser Situation beigetragen. Mit dem Einzug des Neoliberalismus in die Politik der 90er Jahre wurde der alte soziale Wohnungsbau der 70er Jahre – so ungenügend er immer war – Zug um Zug eingestampft. Dem Wohnungsmarkt gehen Jahr für Jahr Sozialwohnungen verloren. Der Mietspiegel in diesem Segment liegt heute leicht über dem Gesamtmietenspiegel. Die kommunalen Wohnungsunternehmen, die eigentlich ein Instrument der sozialen Wohnraumversorgung waren, erfüllen ihre Aufgabe nicht mehr. Sie wirtschaften wie andere kapitalistische Unternehmen auch.
Zwar gibt der Senat inzwischen zu, dass es so etwas wie ein Wohnungsproblem gibt, aber er tut zu wenig dagegen. Vieles sind nur Lippenbekenntnisse, die Korrekturen sind zu gering. Deshalb brauchen wir einen Mietenvolksentscheid, der zu einer echten Wende führt.
Was sind die Kernpunkte des von euch vorgelegten Gesetzes über die Neuausrichtung der sozialen Wohnraumversorgung in Berlin?
Im Kern haben wir uns die Frage gestellt: Wie können wir es schaffen, noch bestehenden sozialen Wohnraum zu erhalten und neuen zu schaffen? Immer mehr Menschen ziehen ja nach Berlin, auch solche mit geringem Einkommen. Wir haben Instrumente erarbeitet, die dazu beitragen können, dieser veränderten Situation Rechnung zu tragen.
Zum einen geht es uns darum, die noch bestehenden Sozialwohnungen – etwa 120.000 –, die jetzt zu teuer sind, wieder zu echten Sozialwohnungen zu machen. Die hier erhobenen Miete müssen an die Einkommen ihrer jetzigen Bewohner angepasst werden, nur so ist eine Verdrängung zu stoppen. Die Anpassung erfolgt als nachträgliche Subventionierung. Die Stadt zahlt die Differenz zwischen dem, was der Vermieter verlangt und dem, was der Mieter zahlen kann. Das ist einkommensabhängig. Der Hartz-IV-Empfänger zahlt z.B. nur das, was das Jobcenter ihm ersetzt.
Insgesamt gibt es drei bis vier Einkommenskategorien. Wir wollen, dass niemand mehr als 30% seines Einkommens für die Miete aufbringen muss. Das Ganze sehen wir als Brückenlösung.
Zum anderen geht es um den Neubau von Sozialwohnungen. Auch das soll über einen einzurichtenden Wohnraumförderfonds finanziert werden. Der dritte Strang ist die Wohnungsmodernisierung, z.B. für altersgerechtes Wohnen. Hierfür müssen Mittel zur Verfügung gestellt werden, die verhindern, dass diese Modernisierungen zu Mieterhöhungen führen. Außerdem wollen wir die kommunalen Wohnungsunternehmen umstrukturieren. Diese sollen Anstalten öffentlichen Rechts werden, gemeinwohl- und nicht profitorientiert. Auch sollen sie mit ausreichend Eigenkapital ausgestattet werden, um Sozialwohnungen anzukaufen und zu kommunalisieren.
Ihr beschränkt eure Initiative auf die 400.000 Wohnungen, ein Viertel des Gesamtbestands, auf den die Kommune politisch zugreifen kann. Reicht dieser Ansatz aus, das Wohnungsproblem in den Griff zu bekommen, oder braucht es auch Ansätze für Eingriffe in den sog. freien Wohnungsmarkt?
In der Tat zielt unsere Initiative insbesondere auf den öffentlichen Sektor ab, der vergrößert werden soll und den privaten Sektor nur indirekt betrifft: Indem Wohnungen dem privaten Wohnungsmarkt entzogen werden, wird die Mietpreisentwicklung gedämpft. Auch die Modernisierungsförderung greift in den privaten Wohnungsmarkt ein und kann hier positive Effekte haben. Trotzdem: Viele Probleme auf dem privaten Wohnungsmarkt können wir nicht direkt lösen – darum sprechen wir auch vom ersten Mietenvolksentscheid. Auch danach muss es weitergehen und durch Protest und Widerstand Druck aufgebaut werden.
Auf welche politischen und gesellschaftlichen Kräfte kann sich die Initiative stützen? Die Durchführung eines Volksbegehrens mit 175.000 Unterschriften will ja organisiert sein.
Unsere Initiative wurde von den vielen Mieterinitiativen ins Leben gerufen, die seit Jahren in der Stadt aktiv sind. Natürlich nicht von allen, aber von einem wesentlichen Teil, z.B. Kotti & Co, die Initiative 100% Tempelhofer Feld, die Mauerpark-Allianz, Gruppen vom bürgerlichen bis ins linksradikale Spektrum. Ferner werden wir unterstützt von der Mietergemeinschaft und vom Mieterverein, den beiden großen Mieter-Organisationen. Positive Signale gibt es auch aus der Linkspartei, den Grünen und den Piraten. Einzelne Aktivisten aus den Parteien arbeiten auch mit. Doch es ist klar, dass wir eine außerparlamentarische Initiative sind.
Wie verhalten sich Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbände?
Aus dem Gewerkschaftsspektrum werden wir offiziell bisher nur von der GEW Berlin unterstützt. Mit dem DGB hatten wir noch keine Gespräche. Da sind wir natürlich offen und wünschen uns diese Unterstützung. Wir versuchen auch, verschiedene soziale Kämpfe zusammen zu denken. Beim Charité-Streik hielten wir ein Grußwort und beteiligten uns auch an der 1.Mai-Demo des DGB. Arbeiterinnen und Arbeiter sind ja meistens auch Mieterinnen und Mieter. Hier geht es um einen gemeinsamen Kampf.
Der Finanzsenator entwarf ein Horrorszenario für den Fall eines erfolgreichen Volksentscheids. Zur Gegenfinanzierung des Gesetzes müsse die Stadt wählen, ob sie wahlweise die Bezirke abschafft, Kitas schließt, auf die Finanzierung von Bussen und Bahnen verzichtet oder die Kulturförderung einstellt. Was antwortet ihr darauf?
Der Senat hat seine Zahlen ganz dreist hochgerechnet – eine Praxis, zu der er schon bei vorangegangenen Volksbegehren griff. In einer Stellungnahme wurden Ausgaben und Einnahmen des Wohnraumförderfonds zusammengerechnet, um eine erschreckende Kostensumme zu bilden.
Im Kern ist das aber keine finanzielle Frage. Es geht um den politischen Willen. Beim Flughafen, der Staatsoper oder dem Schloss wird freigiebig in die Stadtkasse gegriffen. Bezahlbare Wohnungen und ausreichend Kita-Plätze stehen sich nicht alternativ gegenüber, und es ist infam, Mieter- und Elterninteressen gegeneinander aufzubringen. Der Haushaltüberschuss von 800 Mio.Euro kann zur Finanzierung verwandt werden. Auch die Erhöhung der Grunderwerbssteuer von 6% auf 7,5% wäre ein Weg. Aber es war schon klar, dass der Senat diese Karte ausspielen würde.
Was ist der derzeitige Stand der Kampagne und wie soll es weitergehen?
Das Thema ist heiß und wir sind sehr gut gestartet. Wir haben innerhalb von dreieinhalb Wochen 23.000 Unterschriften gesammelt. Für die erste Stufe brauchten wir 20.000. Unser Ziel ist, unseren Gesetzentwurf Kampagne bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus 2016 zur Abstimmung zu bringen. Dafür muss die erste Stufe Ende Mai abgeschlossen sein. Danach hat das Abgeordnetenhaus ein halbes Jahr Zeit, darüber zu beraten, ob es die Gesetzesinitiative übernimmt oder ablehnt.
Die zweite Phase endet im Januar 2016. Bis dahin müssen wir 200.000 Unterschriften sammeln. Im September gäbe es dann nach Erreichen dieses Ziels das Volksbegehren. Wird sind gespannt, wie die SPD reagieren wird, gehen aber davon aus, dass sie unseren Gesetzesentwurf nicht übernehmen wird.
Wie kann man die Initiative unterstützen?
Wir brauchen mehr Sammler. Wir haben wöchentliche Treffen, zu denen man kommen kann. Wir arbeiten auch daran, im Rahmen der Kampagne nachhaltige Strukturen auf Kiez- und Bezirksebene aufzubauen. In acht bis neun Bezirken haben wir schon arbeitende Gruppen. Am Ende sollen die Mieterinitiativen gestärkt daraus hervorgehen. Man kann sich auf unserer Website registrieren als Sammler. Auch sind wir auf Spenden angewiesen, denn wir arbeiten komplett ehrenamtlich.
Kontakt und Info: www.mietenvolksentscheidberlin.de.
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