Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 06/2015
Im Gefolge der Blockupy-Demo drohen drastische Einschnitte in das Versammlungsrecht
von Kim Abraham und Ulrich Wilken*

Bei den Blockupy-Protesten am 18.März 2015 in Frankfurt am Main kam es vormittags zu Ausschreitungen durch Gruppen, die sich außerhalb des von den Organisatoren der Proteste vereinbarten Aktionskonsenses bewegten. Die hessische Landesregierung nimmt dies nun zum Anlass, das Versammlungsrechte weiter drastisch zu beschneiden.

Bunt, stimmungsvoll und friedlich ging es bei der Kundgebung am 18.März 2015 auf dem Römer zu. Anschließend zogen 20.000 Menschen bei der Blockupy-Demonstration friedlich durch Frankfurts Straßen. Doch ein spontanes Mitlaufen interessierter Bürgerinnen und Bürger wurde ganz bewusst verhindert: Seitlich grenzte die sogenannte «Riot Police» (gepanzerte Polizeikräfte) den Demonstrationszug so ein, dass sich niemand mehr dem Zug anschließen konnte. Ein Durchdringen der Polizeiketten am Rande der Demo war fast unmöglich, die enorme Polizeipräsenz wirkte auf viele Bürgerinnen und Bürger einschüchternd. Es entstand das Gefühl, die grundgesetzlich geschützte Versammlungsfreiheit sei eine staatliche Ausnahmesituation – unangenehm und eine Gefahr für die staatliche Sicherheit.

«Tätlicher Angriff»
Noch deutlicher wird die Einschränkung der Versammlungsfreiheit, wenn man die auf den 18.März folgenden Reaktionen betrachtet. Die schwarz-grüne hessische Landesregierung hat anlässlich der Ausschreitungen am Morgen der Blockupy-Demonstration eine Gesetzesinitiative zur Verschärfung des Strafrechts eingebracht. Der Entwurf führt zu einem gefährlichen Einschnitt in den Kernbereich der Versammlungsfreiheit.
Er sieht vor, dass ein «tätlicher Angriff» auf Polizisten und Rettungskräfte bestraft werden kann – ohne, dass eine Körperverletzung gewollt oder gar erfolgt sein muss. Da es keiner Verletzung bedarf, würde es nur auf die Bewertung des direkten Geschehensablaufs ankommen. Erwartungsgemäß läge die Deutungshoheit bei den Beamten. Rangeleien mit Polizisten, deren Ursachen oft nicht mehr feststellbar sind (beispielsweise das Bedrängen von Demonstranten durch Polizeiketten) könnte hier schon den Tatbestand erfüllen und hohe Strafen nach sich ziehen. Wer einen Polizeibeamten – etwa bei oder nach einem Disput – mit der Hand zur Seite schiebt, würde damit in jedem Fall mindestens sechs Monate Freiheitsstrafe erhalten.
Eine solche Regelung ist völlig unangemessen und mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht in Einklang zu bringen. Diese Überreaktion der Landesregierung hätte – einmal beschlossen und umgesetzt – eine fatale Wirkung auf die Bevölkerung. Denn wer geht noch demonstrieren, wenn bei einem Gedränge, das von Polizisten durch das «Einrahmen» der Demonstration leicht entstehen kann, schon eine sechsmonatige Mindeststrafe droht, wenn man sich zu befreien versucht?
Wenn dann noch ein schwarz-rot regiertes Land es für eine gute Idee hält, diesen «Schutzparagrafen», wie er genannt wird, auf Soldaten auszuweiten, läuft es einem kalt den Rücken herunter. Die Notstandsgesetze lassen grüßen.
In der Polizei jedes Landes gibt es «schwarze Schafe», die die ihnen durch das Gesetz verliehene Macht als persönliche Macht ausleben. Diese menschliche Schwäche wird man nie ganz ausschließen können. Aber es darf keine Gesetze geben, die dies unterstützen.

Haftung des Anmelders
Damit nicht genug: In der politischen Diskussion im Hessischen Landtag um die Randale in den Morgenstunden des 18.März wurde klar, wie viel Freiheit den hessischen Bürgerinnen und Bürgern tatsächlich geraubt wird. Es ist von Haftung des Anmelders einer friedlich verlaufenen Demonstration die Rede: für Straftaten, die Stunden vor der Demonstration, weit entfernt vom Ort der späteren Kundgebung und Demonstration, von Personen begangen wurden, die dem Blockupy-Bündnis nicht angehörten.
Wer würde noch eine Demonstration anmelden, würden diese Haftungsideen Wirklichkeit werden? Nicht nur die hessischen Grünen, auch die SPD wirft ihre Werte über Bord. Nancy Faeser, innenpolitische Sprecherin der hessischen SPD-Landtagsfraktion, lobte in der Landtagsdebatte zu Blockupy die friedliche Demonstration und sprach von den Errungenschaften der Demokratie. Gleichzeitig forderte die SPD den Demoanmelder auf, aus den Ausschreitungen am frühen Morgen Konsequenzen zu ziehen und als Landtagsvizepräsident zurückzutreten. Das ist mehr als paradox!

«Terrorgefahren»
Eine andere Entwicklung läuft schon seit längerem fast unbemerkt im Hintergrund ab. So unmerklich sie passiert, so folgenreich ist sie: Immer mehr Länder treffen Vereinbarungen mit der Bundespolizei für eine Zusammenarbeit nicht nur bei Großschadenslagen, sondern auch bei sog. «Versammlungslagen», sprich Demonstrationen. Damit werden immer mehr Sicherheitskräfte bei Demonstrationen auf den Plan gerufen. Und das ist noch nicht alles: Die Innenministerkonferenz hat jüngst beschlossen, dass die Polizei waffentechnisch aufgerüstet werden soll. Man spricht von einer Waffengleichheit mit Terroristen, von Terrorgefahren – Demonstranten werden mit Terroristen gleichgesetzt.
Der Polizeipräsident von Hessen sagte zu den Geschehnissen des 18.März 2015, die Gefahr für Leib und Leben von Beamten sei nach Ansicht der Frankfurter Polizeispitze soweit gegangen, dass nicht nur der Einsatz von Pfefferspray, Tränengas oder Schlagstöcken nahegelegen habe, sondern in Einzelfällen auch ein Schusswaffengebrauch gerechtfertigt gewesen wäre. Sollten 9000 Polizisten in der Stadt nicht ausreichen, um geschätzte 250 Gewalttäter ohne Schusswaffengebrauch in den Griff zu bekommen? Selbstkritik? – Fehlanzeige.

Demo = Notstand?
In der Hinterhand bleibt die Möglichkeit des Einsatzes der Bundeswehr im Innern – hier hat das Bundesverfassungsgericht (BVG) das Grundgesetz so weit ausgelegt, dass sogar ein bewaffneter Einsatz der Bundeswehr im Innern möglich sein soll.
Am 17.August 2012 entschied das BVG über Möglichkeiten des Einsatzes der Bundeswehr im Innern. In seinem Sondervotum findet der Richter Gaier klare Worte: «Im Schatten eines Arsenals militärischer Waffen kann freie Meinungsäußerung schwerlich gedeihen.» Er habe die Befürchtung, nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts lasse sich nur schwerlich verhindern, dass bewaffnete Einheiten der Bundeswehr bei Großdemonstrationen (wegen befürchteter Aggressivität einzelner, teilnehmender Gruppen) aufmarschieren.
In der Folge wurden sog. Regionale Sicherungs- und Unterstützungskräfte (RSUKr) gebildet. Diese Truppenteile entstanden im Rahmen des Umbaus der Bundeswehr von einer Verteidigungs- zur Interventionsarmee und sind fürden Heimatschutz zuständig Die RSUKr sind bereitwillige Helferinnen und Helfer, nicht nur im Bereich des zivilen Katastrophenschutzes, sondern auch bei gefährdeter Infrastruktur, organisierten und bewaffneten Aufständen oder wenn widerstrebende Bevölkerungsteile die innere Ordnung bedrohen.
Es besteht die dringende Gefahr, dass ein entscheidender Schritt getan ist, die strikte Trennung von Polizei und Bundeswehr, von innerer und äußerer Sicherheit aufzuheben. Diese Trennung gehörte zu den wichtigsten Prinzipien des Grundgesetzes: es beinhaltet eine Absage an den deutschen Militarismus und war bisher verfassungspolitischer Konsens in der Bundesrepublik Deutschland.
Der Kampf um eine grundlegende Alternative zur herrschenden Politik steht künftig im Schatten eines Aufmarsches von Polizei und Bundeswehr. Bürgerinnen und Bürger müssen jetzt handeln und gegen diese Repressionen vorgehen. Notwendig hierfür ist ein breites Bündnis zur Verteidigung von Demokratie und Freiheitsrechten.

*Ulrich Wilken ist rechtspolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE und Vizepräsident des Hessischen Landtags. Er sah sich nach der Demonstration mit einer massiven Pressekampagne konfrontiert, die ihn für die Ausschreitungen am Vormittag verantwortlich machte.
Kim Abraham ist Rechtsreferentin der Fraktion DIE LINKE im Hessischen Landtag.

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