Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 06/2015
siehe SoZ Juni 2015

Unvollständiges Bild

Paul Kleiser`s Zwischenbilanz von 100 Tage Regierung Tsipras beschränkt sich auf die Benennung zahlreicher konkreter Maßnahmen der Regierung Tsipras. Viele andere Aspekte, die für eine Bilanz der Entwicklung unerlässlich sind, bleiben außen vor.  Tsipras` befremdliches Schönreden der Vereinbarung vom 20. Februar zum „Erfolg“ für Syriza ist ebenso wenig Thema wie die Frage, warum nach jedem an grundsätzlichen Widersprüchen gescheiterten Verhandlungstermin mit der Troika Tsipras oder Varoufakis erklärten, man stehe kurz vor einer Einigung.

Während die Machthaber in Berlin und Brüssel mit ihrem anmaßend-aggressiven Auftreten tagtäglich das Gegenteil beweisen,  erklärten Tsipras und Varoufakis nach gescheiterten Treffen unverdrossen, ein „ehrenvoller Kompromiss“  mit den Gläubigerstaaten sei zum Greifen nahe. Offenbar hatte die Syriza Führung Illusionen hinsichtlich der Kooperationsbereitschaft der Troika Mächte.  Stathis Kouvelakis von der „Linken Plattform“ nennt drei Aspekte: „Erstens, sie hatte geglaubt, dass das so offenkundige  Scheitern der Austeritätspolitik bei den Europäern eine Bereitschaft zum Überdenken ihrer Haltung erzeugt hätte. Zweitens: Sie glaubten, dass die französische und die italienische Regierung den Forderungen Griechenlands gegenüber zugänglicher sein würden, weil sie selbst in ihren Ländern ein Abschwächen der Austerität wünschten. Drittens: Sie hatte Illusionen hinsichtlich der Haltung von Mario Draghi und der EZB. Sie dachte, dass die Politik der „Quantitative Easing“  gegen die die harte Linie von Schäuble gerichtet war. Sie unterstellten, dass es gewisse Widersprüche und Spannungen zwischen Schäuble und Draghi gebe, die man nutzen könne. All das erwies sich als falsch.“

Spätestens seit Anfang März gibt es keinen Zweifel mehr daran, dass die „Institutionen“ einen brutalen Konfrontationskurs fahren mit dem offenkundigen Ziel, eine praktisch bedingungslose Kapitulation der griechischen Regierung zu erzwingen.  Die Syrizaregierung  hat in den folgenden  Monaten bei den Verhandlungen insofern nicht ungeschickt agiert, als sie öffentlich immer wieder deutlich machte, dass an ihr eine Verhandlungslösung nicht scheitern würde, wobei sie darlegte, was für sie die „roten Linien“ sind. Die Syriza Führung um Tsipras hat ihrer eigenen Sache aber dadurch einen Bärendienst  erwiesen, dass sie sich während all dieser Zeit  konsequent weigerte, auch für den immer wahrscheinlicher werdenden Fall, dass die Troika Mächte an ihren Unterwerfungsplänen festhalten, öffentlich ihre politische Bereitschaft zum Bruch zu erklären und dafür auch organisatorische Vorbereitungen in Form eines Plan B zu treffen. Es ist das Verdienst der „Linken Plattform“ in Syriza, dass sie seit Monaten innerhalb von Syriza die Notwendigkeit eines Bruches  fordern und dafür auch konkrete Konzepte vorzulegen. Sie hat dadurch mit ihren Positionen innerhalb von Syriza erheblich an Einfluss gewonnen und wohl damit auch dazu beigetragen, die Messlatte für mögliche „unehrenhafte“ Kompromisse“, für die Tsipras wiederholt schon Bereitschaft signalisiert hat,  höher zu legen –übrigens zum Ärger der herrschenden Kreise in Griechenland, die in den letzten Wochen von Tsipras immer lauter den Rauswurf der „Linken Plattform“ aus Syriza fordern.

Es ist schon seltsam, dass alle diese Aspekte in die Betrachtungen von Paul K. keinen Eingang finden.  Weil er über bestimmte widersprüchliche Aspekte  der Syriza Politik großzügig hinwegsieht,  zeichnet Paul K. ein unvollständiges und letztendlich unzutreffendes Bild.

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