von Angela Klein
Überraschend vielen sagt der Name nichts. Das mag daran liegen, dass er seit den 90er Jahren nicht mehr singen konnte, ein Kehlkopfkrebs hatte ihm die Stimme weggefressen. Oder auch daran, dass die bürgerlichen Medien ihn zeit seines Lebens geschnitten haben und er sich ihren Regeln nicht unterordnen wollte. Seine Lieder gehörten der Bewegung und von ihr wurden sie weitergetragen. Aber Walter Mossmann gehörte zu den ganz großen politischen Liedermachern in Deutschland; aus meiner Sicht war er der kreativste.
Walter Mossmann war ein Linker, aber er schrieb seine Lieder nicht einfach für die linke Bewegung, er schrieb sie für ein Volk in Aufruhr – eine Perspektive, die in Deutschland verschüttet wurde und nur langsam zurückerobert wird. Diese Perspektive hatte er nicht von hier, nur die Erfahrung des Massenwiderstands 1973 gegen die militärische Nutzung des Hochplateaus Larzac in Südwestfrankreich konnte sie ihm verschaffen.
Ein Fenster zur Welt war im Deutschland der 60er Jahre das jährliche Musikfestival auf der Burg Waldeck, wahre Brutstätte einer ganzen Generation von – bürgerlichen wie linken – Liedermachern. Hier kam er in Berührung mit äußerst populären Liedermachern anderer Kontinente: Pete Seeger, Roque Dalton oder Daniel Viglietti blieben seine Vorbilder. Mossmann trat hier bereits mit eigenen Liedern auf. Anders als Hannes Wader, Dieter Süverkrüp und Franz-Josef Degenhardt ging er von dort aber nicht in die DKP, für das SED-Regime hegte er keine Sympathie. Er suchte ein «Volk in Aufruhr», das in seinem Widerstand zu neuen Formen des Miteinander aufblüht und Raum schafft für eine andere Kultur. Er fand es in der Anti-AKW-Bewegung, hier trafen sich Bauern, Winzer, Fischer mit Linken aus Universitäts- und Großstädten. Der Kaiserstuhl und das Wendland blieben seine wichtigsten Bezugspunkte; in den 90er Jahren kam noch das zeitweilige Leben in der Ukraine hinzu.
Der Fluch der Tradition
Von Mossmann kann man vor allem lernen. So wichtig ihm die Erdung in der «normalen Bevölkerung» war, so genau wusste er um dessen Mitschuld, Obrigkeitshörigkeit, Spießigkeit, Flucht ins Verdrängen und Vergessen. Kaum einer hat sich so kritisch und ausführlich mit dem durch Reichs-Patriotismus und Volksgemeinschaftsideologie verdorbenen deutschen Liedgut auseinandergesetzt wie er. Und er hat es nicht dabei belassen, neue Texte auf alte Melodien zu schreiben, im Gegenteil: Gerade diese, von der traditionellen Arbeiterbewegung bis hin zur radikalen Linken ausgiebig gepflegte, unkritische Praxis hat ihn auf die Palme gebracht. Schon gar nicht hat er sich damit zufrieden gegeben, klassisches Liedgut der linken Bewegung durch neue Rhythmen «moderner» zu gestalten, wie es spätere Aufnahmen taten (etwa die französische Sammlung Motivés, oder ihr italienisches Pendant, das von Il Manifesto herausgegeben wurde).
«Die alte Klage, dass in Deutschland populäre und lebendige Liedtraditionen in besonderem Maße zerstört worden sind, ist berechtigt. Bloß nutzen uns die exotischen Fluchtwege nach Italien, Irland oder Lateinamerika nichts. Wir haben mehr davon, den Vorgang der Zerstörung in Deutschland zu analysieren und die verschütteten fortschrittlichen Traditionen freizuschaufeln – ohne unsere Kritikfähigkeit abzuschalten…», schreibt er in der Einleitung zu seinem zusammen mit Peter Schleuning verfassten rororo-Bändchen Alte und neue politische Lieder. Entstehung und Gebrauch. Texte und Noten. Das 1978 erschienene Büchlein ist hoch lesenswert und erzählt mehr über deutsche Traditionen als viel Schulungsmaterial.
Mossmann und Schleuning exerzieren das an drei Beispielen durch: «Die Wacht am Rhein»; das Lied von Florian Geyer; die «Internationale». Auch sonst wird so manches Lied, das fest zum linken Repertoire gehört und gewissermaßen als «heilig» und unberührbar gilt, auf erfrischende Weise «dekonstruiert», wie man heute sagen würde: «Sacco und Vanzetti» etwa oder der auf Demonstrationen eine zeitlang so beliebte Brokdorf-Kanon «Wehrt euch, leistet Widerstand».
Die Wacht am Rhein
Die «Wacht am Rhein», «dieses alte Kriegs- und Sturmlied der Deutschen», vom Deutsch-Französischen Krieg bis zum Zweiten Weltkrieg, ist ein besonders anschauliches Beispiel dafür, wie gedankenlos eine kriegerische Melodie von der Arbeiterbewegung verwendet wurde. Sie wurde umgedichtet auf den Klassenfeind, aber im selben patriotischen Ton der Männergesangsvereine vorgetragen.
Noch hundert Jahre nach der deutschen Reichsgründung war das präsent. Da «hieß die nationale Vaterfigur nicht mehr Wilhelm, sondern Willy … Die Jugend sollte sich mit einem positiven, fortschrittlichen Bild des Vaterlandes identifizieren dürfen … So etwas schreit nach Hymnen. Und 1971 war es soweit: Bei Ariola erschien eine Single von Udo Jürgens, zunächst mit Riesenaufwand propagiert, Titel: Lieb Vaterland. Die Plattenhülle war sinnig schwarz-weiß-rot-gold gestreift, Versöhnung des obrigkeitsstaatlichen und demokratisch-republikanischen Deutschland. Ein Geschenk der Unterhaltungsindustrie an den deutschen Käufer zur Hundertjahrfeier des Deutschen Reiches.» Das Lied hat einen neuen Text und auch eine neue Melodie bekommen, übernimmt aber den Refrain des Kriegslieds, im Text ist leicht abgewandelt, in der Musik gar nicht. «Deutlicher kann man die Politik der Volkspartei SPD nicht mit musikalischen Mitteln darstellen. Da wird vorgeführt, wie ein bisschen Sozialkritik durch die beflissene Öffnung nach rechts und hinten erschlagen wird von dem, was durch diese Öffnung herinkommt. Das mächtige Muster der ‹Wacht am Rhein› erschlägt jedes Wort der Strophen.»
Der Ton macht die Musik, und Musik transportiert eine Aussage, das war es, worauf es Mossmann ankam.
Mossmann hat dann für die Platzbesetzung in Marckolsheim durch 21 badisch-elsässische Bürgerinitiativen im Herbst 1974 eine «Andere Wacht am Rhein» geschrieben, ihr Grundgedanke könnte aktueller nicht sein. «Die ‹Wacht› ist nicht mehr nötig gegen den ‹Erbfeind› … sondern gegen die eigenen Herren in beiden Ländern, die Rüstungsbosse von damals und heute, die international längst verflochtene Atomindustrie. Ist er nicht schön, dieser Gedanke? Das Kanonenfutter aus drei Kriegen zieht die Uniform aus, verweigert die Anerkennung der Grenze und hält gemeinsam in Arbeits- und Alltagskleidung die Wacht gegen seine Herren? Das ist ja auch die Geste der revolutionären Soldaten, die sich über den Schützengräben verbrüdern und die Gewehre auf die eigenen Generäle richten. Und: wir machen nicht irgendetwas Neues, was Modernes, sondern ganz bewusst das Gegenteil vom Bisherigen. Deshalb ist es sinnvoll, die alte Parole nicht zu vergessen oder zu verstecken, sondern öffentlich umzudrehen. Der Widerspruch wird plakatiert.»
Der neue Text wird auf eine neue Melodie gesungen, angelehnt an das amerikanische Gewerkschaftslied «Which side are you on?» Die Geste der Melodie ist dem Kaiserstühler bekannt aus dem Kirchengesangsbuch. Mit der Erinnerung daran verbindet sich «das Bekenntnis, das Bewusstsein der Zusammengehörigkeit in der Gemeinde, das Gefühl höheren Rechts, dem im irdischen Jammertal nicht Rechnung getragen wird … Kein Zweifel, dass das Lied gerade wegen seiner Melodie im Kirchenton 1974/75 am Kaiserstuhl gepasst hat.»
Soweit ein kleiner Einblick in Mossmanns Arbeitsweise. Darin war er einmalig, er hat seine Lieder halt nicht als musikalische Untermauerung eines Protestprogramms konzipiert, sondern sie in und mit der Bewegung entwickelt und ihr damit einen kulturellen Anker verschafft. Die Lieder des Widerstands sollten erzählen, nicht argumentieren.
Die Lieder aus der badisch-elsässischen Zeit haben eine Fortsetzung gefunden in den «Flugblattliedern», in zahlreichen Balladen, Tonstücken… Mossmann war nicht nur Liedermacher, er war auch Journalist, Regisseur, Schriftsteller, politischer Aktivist. Und Theatermann: In den 90er Jahren hat er die Tragödie Narodny Malachi (Der Volks-Malachias) des ukrainischen Schriftstellers Mikola Kulisch aus dem Jahr 1927 nachgedichtet. Die Vorlage dazu bot eine unveröffentlichte Übersetzung von Ossip und Roman Rosdolski. Es ist ein kritischer Blick auf die Oktoberrevolution aus der Sicht der kleinen Leute.
Im Januar 1990 führte Walter Mossmann zusammen mit Grit Mossmann und Joschi Krüger (MUsik) am Rande der Delegiertenkonferenz der VSP (Vereinigte Sozialistische Partei) ein Stück zur nachträglichen Feier des 75.Geburtstags von Jakob Moneta auf. Es nannte sich «Glasbruch 1848 = Birth of a Nation», Stück in zwei Teilen für drei Stimmen und ein Klavier. Es behandelt in der kritischen Befassung mit sieben Texten revolutionärer Lieder aus dem Vormärz die Haltung von Revolutionären zur Frage der Nation. In dieser schonungslosen Kritik wird auch eine Menge Patriarchat offengelegt. Kein Druckfehler sei es, so heißt es in dem Stück, wenn aus revolutionären Pamphleten zitiert wird: «Für Freiheit und Männerrecht». Die SoZ veröffentlichte einige Auszüge aus dem Stück exklusiv in ihrer Ausgabe vom 15.Februar 1990 unter dem Titel «Von Männerbünden, Gesangsvereinen und der Kommunistischen Internationale».
In SoZ 9/2004 schrieb Gerhard Klas über Walter Mossmann anlässlich des Erscheinens der: Chansons, Flugblattlieder, Balladen, Cantastorie & Apokrüfen im Trikont-Verlag.
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