von Wolfgang Pomrehn
Große Worte, hehre Versprechen. Die Staats- und Regierungschefs der G7-Staaten haben auf ihrem 360-Millionen-Euro-Gipfel angekündigt, sie wollen die Wirtschaft «dekarbonisieren», also so umstellen, dass keine Treibhausgase mehr in der Atmosphäre angereichert werden.
Das hört sich gut an, oder? Endlich wird etwas getan. Entsprechend gab es von einigen NGOs vorsichtiges Lob für die G7-Erklärung. Zum Beispiel von Germanwatch. G7 setze auf das Ende des fossilen Zeitalters, heißt es dort.
Doch stimmt das? Von einer «kohlenstoffarmen Weltwirtschaft» und einer «globalen Herangehensweise» ist in der Abschlusserklärung die Rede. Die G7-Staaten würden ihren Beitrag dazu leisten, die globalen Emissionen bis 2050 um 40–70% zu reduzieren. Aber was ist «unser Beitrag»?
Man beachte, dass von «Weltwirtschaft» die Rede ist und nicht von «unseren Volkswirtschaften» – ganz als ob die G7 heute noch die Weltwirtschaft repräsentieren würden. Und an keiner Stelle im Text ist von der besonderen Verantwortung der Industrieländer die Rede. Nirgendwo wird erwähnt, dass die bereits in der Atmosphäre angesammelten Treibhausgase fast ausschließlich auf das Konto der G7-Staaten gehen. China, das den westlichen Medien als der große Buhmann in Sachen Klima dient, hat erst zu Beginn des neuen Jahrhunderts die Emissionsschwelle von 2 Tonnen CO2 pro Kopf und Jahr überschritten, ab der man davon reden kann, dass sich die Treibhausgase in der Atmosphäre anreichern. Ein Teil der Emissionen wird nämlich von den Ozeanen und der Biosphäre aufgenommen und gespeichert, und zwar etwa 2 Tonnen pro Erdenbürger und Jahr.
Also könnte man meinen, was Indien seit über zwanzig Jahren immer wieder in die Verhandlungen einbringt: dass nämlich die Industriestaaten wegen dieser historischen Emissionen nun besonders kurz treten sollten. Man könnte auch sagen, dass sie als Schadensverursacher anzusehen sind und folglich für die schon jetzt zu beobachtenden zerstörerischen Folgen des Klimawandels aufzukommen haben.
Im einzelnen ist es natürlich schwierig, den konkreten Zusammenhang zwischen Unwettern und Klimaveränderungen herzustellen. Die Belege können bestenfalls statistischer Natur sein, sodass es sich eher um einen moralischen Anspruch als eine justiziable Forderung handelt. Dennoch reagieren westliche Diplomaten auf derlei Überlegungen meist allergisch. Soziale Bewegungen in den Ländern des Südens sprechen hingegen von den ökologischen Schulden, die der Norden zu begleichen habe.
Was wir noch dürfen
Aber lassen wir das einmal beiseite und schauen, was die Menschheit als Ganzes sich in Zukunft noch leisten kann. Mithilfe der Klimamodelle lässt sich berechnen, wie viel Treibhausgase sich noch zusätzlich in der Atmosphäre ansammeln dürfen, wenn die Erwärmung auf ein bestimmtes Maß beschränkt werden soll. Die Mehrheit der Staaten sieht 2°C als den Höchstwert an, eine Minderheit will die Erwärmung gar auf 1,5°C beschränken.
Gehen wir der Einfachheit halber einmal von 2°C aus. Die Klimawissenschaftler sagen uns, dass wir mit 600 Milliarden Tonnen noch halbwegs auf der sicheren Seite wären, das heißt, dann würden die 2°C mit einer Wahrscheinlichkeit, die über 66% liegt, erreicht. Aber vielleicht ist das Klimasystem auch etwas weniger empfindlich. Dann wären 100 oder 200 Milliarden Tonnen mehr möglich.
Gehen wir also von 700 Milliarden Tonnen Treibhausgas aus, die die Menschheit noch in die Luft blasen kann. Beim jetzigen Stand wird sie dafür nicht einmal 20 Jahre benötigen. Was man an diesen Zahlen sofort sieht ist, dass es umso schwerer wird, die Ziele noch zu erreichen, je länger die notwendigen Reduktionen hinausgezögert werden. Es geht nicht nur darum, auf welches Niveau die Emissionen bis zum Jahre 2030 oder 2050 runtergeschraubt werden können, sondern auch darum, wie viel bis dahin emittiert wird.
In diesem Zusammenhang ist die Verteilung des 700-Milliarden-Tonnen-Kuchens von besonderem Interesse. Umgerechnet auf die 9 Milliarden Erdbewohner, die wir 2050 vermutlich sein werden, entfielen auf jeden etwa 78 Tonnen. Schaut man sich allerdings die konkreten Klimaschutzziele der G7-Staaten an, fällt auf, dass sie nicht nur ihre historische Verantwortung vollkommen ignorieren, sondern auch jetzt noch ein übergroßes Stück vom Kuchen beanspruchen.
Die Verteilung des Kuchens
Das soll am Beispiel Deutschland vorgerechnet werden: Bis 2020 sollen die hiesigen Emissionen auf jährlich 750 Millionen Tonnen gedrückt werden. Wenn dies tatsächlich geschieht und wenn die Abnahme gleichmäßig Jahr für Jahr und nicht auf den letzten Drücker erfolgt, dann kämen bis dahin weitere 4,92 Milliarden Tonnen hinzu. Bis 2050, so das offizielle Ziel der Bundesregierungen, sollen es dann jährlich noch 65–250 Millionen Tonnen sein.
Nehmen wir das ehrgeizigere Ziel und gehen wir wiederum von einer stetigen Reduktion aus, dann kämen zwischen 2020 und 2050 weitere 12,15 Milliarden Tonnen hinzu. Insgesamt würden damit in Deutschland – selbst bei angeblich so vorbildlichen Klimaschutzzielen und der eher unrealistischen Annahme, dass sie nicht erst in letzter Minute umgesetzt werden – bis 2050 noch rund 17 Milliarden Tonnen Treibhausgase emittiert. Umgerechnet auf 82 Millionen Deutsche wären das rund 208 Tonnen pro Kopf. Das wären 130 Tonnen mehr, als uns selbst beim besten Willen noch zustehen, und außerdem wären die jährlichen Emissionen 2050 noch nicht einmal bei Null angelangt.
Aus all dem folgt zweierlei. Erstens: Nicht einmal Deutschland, das unter den G7-Staaten seine Emissionen bisher noch am stärksten reduziert hat, ist auch nur annähernd auf dem richtigen Weg zum Klimaschutz. Zweitens: Bei den Klimaverhandlungen in Paris Ende dieses Jahres wird kaum ein wirklich wirksamer Vertrag herauskommen, was vor allem an der Blockade der G7 liegt, auch wenn sie sich hinter wohlfeilen Erklärungen versteckt.
Effektiver Klimaschutz muss in den Industriestaaten erkämpft werden und auf den drei Säulen ruhen: rascher Kohleausstieg, massive Einsparung von Heizenergie (durch Sanierung, Kraftwärmekopplung und Einsatz nachwachsender Rohstoffe) und weitgehender Umbau der Verkehrssysteme.
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