von Gisela Notz**
Sarah Diehl, Mitte 30 und selbst kinderlos, hat ein Buch geschrieben zu einem (scheinbar) brennenden Problem: dem Kinderwunsch. Die Uhr, die nicht tickt heißt es, und bereits der Untertitel zeigt die Parteilichkeit für diejenigen, die sie nach dem (fehlenden) Kinderwunsch befragt hat: Kinderlos glücklich, so wie Sarah Diehl und viele andere Frauen, sind auch die Protagonistinnen im Buch.
Nach «Volkes Meinung» bzw. nach der Meinung, die man «dem Volk» unterstellt, müssten sie unglücklich sein und zumindest an jedem Muttertag in einem Tränenmeer versinken. Dennoch, so erfahren wir, viele hatten nie einen Kinderwunsch. Das hätte man, bevor die zweite Frauenbewegung in den 70er Jahren auf den Plan getreten ist, als «unnatürlich» bezeichnet.
So wie Frauen ohne Mann und Kinder nur als «alte Jungfern» vorkamen, kamen verheiratete Frauen ohne Kinder nur als bedauernswerte Wesen vor, denen der Kinderwunsch (aus gesundheitlichen Gründen) nicht erfüllt worden war. Die Zeiten haben sich geändert – die familistischen Ideologien, die dazu führen, dass «kinderlose Frauen» sich immer wieder rechtfertigen müssen, ihrer Entscheidung misstrauen, sich einreden lassen müssen, «dass ohne eigene Kinder etwas Wesentliches in ihrem Leben fehlt» dagegen nicht. Diese Frauen – so kann man in dem Buch nachlesen – «verzichten» nicht auf Kinder, sondern sie wollen einfach keine. Und dazu gehört jede fünfte Frau in Deutschland.
Zwar sind im Vorwort des Buches einige der Fragen aufgelistet, die Sarah Diehl ihrem Freundes- und Bekanntenkreis, später auch darüber hinaus, (vermutlich) gestellt hat. Dennoch würde man gerne mehr über die Leitfragen und auch mehr über die befragten Personen erfahren. Auch wenn es sich bei dem Buch um keine wissenschaftliche Arbeit handelt, wäre das interessant und ohne weiteres auch zu anonymisieren. Schließlich sind die Frauen, bei denen die Uhr nicht tickt, keine Minderheit mehr.
Trotz Sarah Diehls berechtigter Kritik an «der vermeintlich idyllischen Kleinfamilie» geht es im Buch immer wieder um Rechtfertigungen, die genau an derselben Lebensform orientiert sind: Die Frauen wollen zwar selbst keine Kinder, betonen aber immer wieder, wie wichtig ihnen Kinder sind und dass sie gerne auf Kinder von Freundinnen aufpassen. Warum versucht Diehl zu widerlegen, dass kinderlose Frauen egoistisch sind, nur Karriere machen wollen, sich aus der sozialen Verantwortung ziehen und dass sie schon gar nicht verhärmt und unglücklich seien oder sich als Mangelwesen fühlen? Sie tun etwas für Kinder, die meisten haben «eine positive Grundeinstellung zu Kindern», bilden Lehrlinge aus, sind in festen Beziehungen und übernehmen Verantwortung für Freunde und Kollegen. Ja, es gibt sogar Netzwerke, wo sie «Familienanschluss» suchen können. Warum können sie nicht einfach sagen: «Nein, ich will kein Kind!»
Auch das «Problem der Vereinbarkeit» von Beruf und Familie oder Karriere und Familie nimmt in der sog. Streitschrift einen sehr breiten Raum ein. Wer macht denn heute schon Karriere? Fast könnte man annehmen, wenn Beruf und Familie besser in Einklang gebracht werden könnte, die Ressourcen Zeit und Geld besser verteilt wären, wenn Kinderbetreuungsmöglichkeiten ausreichend und flexibel zur Verfügung stünden, und eine «Neuordnung der Geschlechterverhältnisse» – das heißt, wenn die Männer die Hälfte der Hausarbeit machen würden, also eine egalitäre Arbeitsteilung innerhalb der Kleinfamilie – um sich greifen würde, sich doch, wie es Familien- und Bevölkerungspolitiker hoffen, weniger Frauen für ein Leben ohne Familie und Kind(er) entscheiden würden. Richtig ist, dass man mit Zeitverträgen oder Jobs im Niedriglohnsektor sein Leben nicht planen kann, das gilt für ein Leben mit und ohne Kinder.
Auch der Ausspruch einer Befragten: «ich brauchte diese ganze Stabilität nicht mehr. Familie ist ein anderer Kosmos» verweist darauf, dass das Leben außerhalb der traditionellen Familienform einem Verzicht gleichkommt. Wieso verspricht Familie Stabilität, wenn 47% der Streitereien innerhalb der (heterosexuellen Zweier-)Beziehungen um die Arbeitsteilung zwischen den Partnern gehen und in den Metropolen jede zweite Ehe geschieden wird? Warum fragt man immer wieder danach, was andere von ihr erwarten? Und wieso ist der Luxus, ein «freies Leben» zu führen, heute nur für Nichtmütter möglich? Wollten wir nicht alle einmal frei sein, auch in der (Wohn-)Gemeinschaft, mit oder ohne Kinder?
Das letzte Kapitel über «Alternative Konzepte von Familie und Zusammenleben» setzt genau an dieser Vorstellung an, ohne allerdings darauf einzugehen, dass sie seit den 70er Jahren an vielen Orten erprobt und gelebt werden, wenn sie auch keine Lobby erfahren. Das kann sich ändern, wenn wir immer wieder darauf hinweisen, dass eine Gleichbehandlung aller Lebensweisen erst dann möglich ist, wenn keine Lebensform bevorzugt und keine benachteiligt wird. Erst dann hätten alle Menschen die Möglichkeit selbst zu bestimmen, wie sie in einer neuen anderen Gesellschaft ohne Unterdrückung und Gewalt zusammen leben wollen.
* Eine Streitschrift. Zürich: Arche, 2014. 272 S., 14,99 Euro
** Gisela Notz ist Sozialwissenschaftlerin und Historikerin, sie lebt und arbeitet in Berlin. In Kürze erscheint ihr Buch Kritik des Familismus im Stuttgarter Schmetterlings-Verlag.
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen
Spenden
Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF
Schnupperausgabe
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.