von Ulla Jelpke
Geht es um Datenschutz und die Machenschaften von Geheimdiensten, richtet sich die Aufmerksamkeit vieler Bürger derzeit fast nur auf NSA und BND, vielleicht noch auf die geplante Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung.
Dabei arbeitet die Bundesregierung derzeit an einem Gesetzesprojekt, das dem Bundesamt für Verfassungsschutz mehr Kompetenzen einräumt als jemals zuvor in der bundesdeutschen Geschichte. Selbst die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff, immerhin CDU-Mitglied, hält das Vorhaben für verfassungswidrig.
Der Gesetzentwurf setzt drei Akzente: Das Bundesamt wird gegenüber den Landesämtern als Zentralstelle aufgewertet und enthält erweiterte Ermittlungskompetenzen; der Informationsaustausch zwischen Geheimdiensten und Polizei sowie Staatsanwaltschaften wird erweitert; und die Tätigkeit von V-Leuten wird auf eine gesetzliche Grundlage gestellt.
Nach dem Willen von Union und SPD wird die «erweiterte Beobachtung» des Bundesamts künftig «auf alle gewaltorientierten Bestrebungen» erweitert. Das Bundesamt darf dabei auch an den Landesämtern vorbei in deren Zuständigkeitsbereich operieren. Begründung: Jede Bestrebung, die es darauf anlege, «Gewalt anzuwenden, Gewaltanwendung vorzubereiten, zu unterstützen oder zu befürworten», sei per se immer auch eine Bedrohung für den Gesamtstaat. Dass das Quatsch ist, sieht man schon daran, dass auch Aktionen wie das «Schottern» beim Castor-Transport als «Gewalt» definiert werden, obwohl sie ganz sicher keine Umsturzversuche darstellen.
Trotzdem könnte auch in diesem Fall das Bundesamt ermitteln, und die Landesämter müssten sämtliche Informationen bis hin zu lokalen Jugendgruppen, die geringfügige Sachbeschädigungen befürworten, nach oben melden.
Diese «Reservefunktion» des Bundesamts könnte ein Signal nach Thüringen sein, wo die von der LINKEN geführte Landesregierung eine Abrüstung des Landesamts angekündigt hat – sie muss künftig mit verstärkten Umtrieben des Bundesamts rechnen, ohne dagegen etwas tun zu können.
Das Bundesamt soll künftig außerdem auch Volltexte, Bilddateien usw. in den Dateiverbund der Inlandsgeheimdienste einstellen können. Die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff schreibt dazu in einer Stellungnahme an den Innenausschuss des Bundestags, es könne nun «jedes beliebige Dokument in die Datei eingestellt werden», auch wenn die Informationen darin Personen betreffen, die allenfalls «Randpersonen» darstellen oder einfach nur zufällig in der Datei auftauchen. Ein Auskunftsrecht wird den Betroffenen dabei nicht zugestanden.
Auch der Datenaustausch mit der Polizei soll sich jetzt nicht mehr nur auf unmittelbar bevorstehende Gewalttaten erstrecken. Künftig sei er auch geboten zur «Verhinderung oder sonstigen Verhütung von Straftaten von erheblicher Bedeutung». Übermittelt werden können auch Informationen, die vom Geheimdienst durch Abhöraktionen gewonnen wurden, zu deren Durchführung die Polizei gar nicht befugt gewesen wäre. Die «sonstige Verhütung» ist ein juristisch nicht definierter Begriff. Mit dieser Neuregelung seien, so Voßhoff, «die Barrieren für einen umfassenden, fast voraussetzungslosen und verfassungswidrigen Datenfluss gefallen». Die Geheimdienste erhielten «faktisch die Rolle einer Sicherheitsbehörde, die ihnen das Bundesverfassungsgericht aber inhaltlich versagt hat». Dieses habe im Urteil zur Antiterrordatei vor zwei Jahren vielmehr das «informationelle Trennungsprinzip» festgeschrieben, also die strikte Trennung von polizeilich und geheimdienstlich gewonnen Informationen. Dieses Prinzip wird nun praktisch umgedreht.
Schließlich stellt der Gesetzentwurf die bisher nur in Dienstvorschriften geregelten Kompetenzen von V-Leuten auf eine gesetzliche Grundlage. Inhaltlich ändert sich praktisch nichts, was bei einer Anhörung des Innenausschusses vor allem Rechtsanwalt Sebastian Scharmer, der im Münchner NSU-Verfahren die Hinterbliebenen von NSU-Mördern vertritt, auf die Palme brachte: In der Vergangenheit habe der Geheimdienst durch seine V-Leute die Naziszene gestärkt, aus der schließlich die Naziterroristen hervorgingen, und die Reform löse dieses Problem nicht, sondern verschlimmere es sogar noch.
Tatsächlich wird V-Leuten jetzt nicht nur Straffreiheit bei «szenetypischen Straftaten» wie etwa Hakenkreuzschmierereien zugestanden. Das Gesetz stellt auch klar, dass selbst bei Delikten, auf die mehr als ein Jahr Freiheitsstrafe steht, von einer Bestrafung abgesehen werden kann, auch muss der Einsatz nicht zwingend abgebrochen werden – es kommt halt drauf an, wie der Geheimdienst den jeweiligen «Aufklärungserfolg» des V-Mannes einschätzt. Damit wäre, fasst Scharmer zusammen, unter Umständen «auch die Beteiligung an einer gefährlichen Körperverletzung von Neonazis an einer Flüchtlingsfamilie» vom Geheimdienst gedeckt.
Der Einsatz von Vorbestraften ist «grundsätzlich» ausgeschlossen, Ausnahmen aber dann möglich, wenn sich der Betreffende «resozialisiert» habe – als ob das bei jemandem, der sich nach der Entlassung aus dem Knast gleich wieder bei seinen Nazikameraden einreiht, ernsthaft angenommen werden könnte.
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