von Helmut Born
Mit der Ausgliederung der 49 DHL Delivery Gesellschaften hat der Vorstand der Deutschen Post der Gewerkschaft Ver.di eine Auseinandersetzung beschert, in der ein Zurückweichen nicht mehr möglich war. An dieser Auseinandersetzung wird deutlich, wie ein bedeutender deutscher Konzern, der zu über 20% dem Bund gehört, agiert, um die Profiterwartungen der Investoren zu befriedigen. Würde Ver.di dies durchgehen lassen, würde eine wesentliche Säule im Organisationsbereich der Gewerkschaft geschliffen werden und weiteren Ausgliederungen Tür und Tor geöffnet.
Worum es geht
Ver.di hat 2014 eine Kampagne zur Zurückdrängung von befristeter Beschäftigung bei der Deutschen Post begonnen. Ende letzten Jahres waren über 25.000 Beschäftigte, etwa 15% der Gesamtbelegschaft, mit einem befristeten Vertrag bei der Post beschäftigt. Bei der Kampagne kam heraus, dass viele von ihnen weit länger als die gesetzlich vorgesehenen zwei Jahre befristet beschäftigt waren. Es gab und gibt Beschäftigte, die seit fünf, sechs oder sieben Jahren mit 50 oder 60 Verträgen beschäftigt waren. Das hat ein schlechtes Licht auf die Personalpolitik der Post geworfen. Die hat sich nicht zufällig ergeben, sondern verschafft der Post die Möglichkeit, einen Teil der Belegschaft höchst flexibel einzusetzen und nötigenfalls schnell los zu werden.
Da bei der Post, genauso wie in anderen Konzernen, ständig versucht wird, die Personalkosten zu drücken, kam der Vorstand auf die Idee, einen Teil der regionalen Paketzentren in neue Gesellschaften umzuwandeln, um dort nicht mehr den Tarifvertrag der Post, sondern den der Logistikbranche anzuwenden. Um dafür schnell qualifiziertes Personal zu bekommen, hat die Post den befristet Beschäftigten einen unbefristeten Arbeitsvertrag angeboten. Der Lohn ist aber nach dem Logistiktarifvertrag etwa 20% niedriger. Die Beschäftigten sehen sich vor die Alternative gestellt, im Fall einer individuellen Ablehnung gar keine Arbeit mehr zu haben, da ihr befristeter Vertrag bei der DHL (der Paketgesellschaft der Post) nicht verlängert bzw. nicht entfristet würde.
Das Vorgehen des Postvorstands reiht sich ein in ein offensichtlich abgestimmtes Vorgehen bestimmter Kapitalkreise gegen kämpferische Gewerkschaften. Ob bei der Bahn, bei den Sozial- und Erziehungsdiensten, im Einzelhandel oder jetzt bei der Post: Die Auseinandersetzungen sind wesentlich härter geworden. Und es geht nicht mehr nur um ein paar Prozentpunkte mehr Lohn, sondern um grundsätzliche Entscheidungen: Gewerkschaften sollen zu einer kooperativen Politik gezwungen werden, ähnlich wie dies schon seit langem die IG BCE oder die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) praktizieren. Die Vorstände bzw. die Arbeitgeberverbände wollen künftig den Rahmen vorgeben, in dem Vereinbarungen überhaupt getroffen werden können. Im Fall von Bahn und Post fördert die Bundesregierung dieses Vorhaben noch.
Die Reaktion von Ver.di
Der Ver.di-Fachbereich Speditionen, Postdienste und Logistik (FB 10) reagiert mit Unverständnis und Entsetzen. Dabei zeichnet sich seit längerem ab, dass der Postvorstand nicht mehr bereit ist, auf Ver.di Rücksicht zu nehmen. So beschloss er im letzten Jahr, eine jährliche Steigerung der Rendite um 8% anzustreben. Die bis dahin mit Ver.di kooperierende, für Personal zuständige Vorstandsfrau wurde frühzeitig in den Ruhestand entlassen und durch eine ehemalige McKinsey-Frau ersetzt.
Nachdem der Vorstand den Beschluss zur Gründung der 49 Delivery Gesellschaften gefasst hatte, schickte die Bundesfachbereichsleiterin Andrea Kocsis einen Brief an alle Bundestagsabgeordnete, in dem sie beklagte, die Post habe offensichtlich die Sozialpartnerschaft aufgekündigt. Außerdem reichte Ver.di Klage gegen die Post ein mit dem Ziel, den Tarifbruch des Postvorstandes rückgängig zu machen. Zusätzlich wurden sämtliche Arbeitszeittarifverträge gekündigt, um möglichst schnell auch in eine aktive Auseinandersetzung gehen zu können. Hierzu wurde die Forderung nach Verkürzung der Arbeitszeit 38,5 auf 36 Stunden aufgestellt. Weil zu Ende Mai auch die Einkommenstarifverträge auslaufen sollten, kam noch die Forderung nach einer Lohnerhöhung um 5,5% hinzu.
Der Fachbereich 10 ist einer der am besten organisierten Fachbereiche in Ver.di. Organisationsgrade von 80–90% sind hier keine Seltenheit. Brief- oder Paketzusteller, die streiken, können der Post erhebliche Schwierigkeiten bereiten. Auch wenn bei der Post noch immer 34.000 Beamte im Einsatz sind, führt ein Streik in den Verteilzentren und in der Zustellung zu einer weitgehenden Lähmung.
Streikbewegung und Erfolgsaussichten
Nachdem die Warnstreiks im Mai den Postvorstand nicht zu einer Umkehr gezwungen haben, wurden die Postbeschäftigten ab Anfang Juni peu à peu in den unbefristeten Streik gerufen. Zuvor hatte Ver.di noch einen letzten Versuch einer gütlichen Einigung unternommen und dem Postvorstand ein «Angebot» unterbreitet. Dieses Angebot bestand aus einem Verzicht auf die Arbeitszeitverkürzung und einer prozentualen Erhöhung der Einkommen für dieses Jahr. Darüber hinaus enthielt das Angebot eine niedrigere Einstiegsgruppe für alle neu eingestellten Beschäftigten. Bedingung war, dass alle Beschäftigten weiter nach dem Tarifvertrag Post bezahlt werden. Der Postvorstand lehnte das «Angebot» umgehend ab.
Die Streiks wurden seitdem kontinuierlich ausgeweitet, was zu einer weitgehenden Lähmung des Postbetriebs geführt hat. Wenn der Postvorstand gemeint hat, Ver.di sei dazu nicht mehr in der Lage, hat er sich gründlich verrechnet. Die Streikbeteiligung ist sehr hoch und die Beschäftigten sind hoch motiviert. Sie hatten in den letzten Jahren mit ständiger Arbeitsverdichtung zu kämpfen und können jetzt den angestauten Frust loswerden. Sie wollen den Bossen beweisen, dass sie mehr sind als reine Kostenfaktoren.
Bleibt zu hoffen, dass Ver.di die jetzt entfaltete Stärke nutzt, um den Bossen eine Abkehr vom Tarifbruch abzuringen. Sollte Ver.di aber von der Forderung nach Bezahlung aller Kolleginnen und Kollegen nach dem Tarifvertrag der Post abrücken, hätte das verheerende Auswirkungen. Es würde weiteren Ausgliederungen Tür und Tor öffnen. Bei einem Abschluss darf auch das «Verzichtsangebot» von Anfang Juni keine Rolle mehr spielen.
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