von Dieter Braeg
Das schöne St.Johann im Pongau ist ein gastfreundlicher Ort heutzutage. Das war in früheren Zeiten anders, viele Menschen haben keine sehr gute Erinnerung an diesen Ort.
Ab 1941 gab es ein Stammlager in St.Johann, wo bis zu 30.000 Gefangene untergebracht waren, bewacht von rund 1000 Mann. Es gab ein Nord- und ein Süd-Lager. Im Süd-Lager waren die Gefangenen der Westmächte untergebracht, die man im Sinne der Genfer Konvention behandelte. Im Nord-Lager hingegen herrschten andere Zustände. Ab dem Einmarsch in die Sowjetunion wurde das Hungersterben der sowjetischen Kriegsgefangenen in kauf genommen. Zehntausende verloren auf dem Transport von der Front in die Lager ihr Leben. Bei den Bahntransporten in offenen Güterwaggons starben bereits im Kriegswinter 1941/42 25–70% der sowjetischen Gefangenen.
In St.Johann trafen im November 1941 die ersten sowjetischen Kriegsgefangenen ein. Sie wurden zunächst in Zeltlagern untergebracht. 30–40% dieser Gefangenen starben schon vor der ersten Nacht, Pferdefuhrwerke transportierten die Leichen in ein Massengrab.
Ihre letzte Ruhestätte fanden diese Toten auf dem sog. «Russenfriedhof». Der Friedhof liegt am Abhang der Bundesstraße nördlich der Speedwaybahn. Viele Jahrzehnte war dieser Friedhof nicht zugänglich, angeblich wurde dies im Jahr 1947 beschlossen, heutzutage ist dieser Missstand bereinigt.
Jahr für Jahr veranstaltet das Gymnasium von St.Johann dort eine Gedenkfeier. Früher waren die Teilnehmenden – etwa Angehörige der Verstorbenen, die die Gräber besuchen wollten – gezwungen, den Friedhof illegal zu erreichen. So erhielt bspw. Adolf Schwaiger, der etwa 40 Jahren lang diesen Friedhof pflegte – völlig ohne finanzielle Zuwendung –, von der Polizei einen Strafzettel über 160 Euro aufgebrummt.
St.Johann hat, spät genug, dazugelernt. 1986 schrieb Erich Fried nach einer Lesung in St.Johann ein Fragelied über das Lager:
Fragelied
St.Johann, St.Johann im Pongau,
was war das für eine Bahn,
die du genommen hast
zur Zeit, von der man nicht redet?
Was war das für ein Weg,
den du damals gegangen bist?
Du hast Gras drüber wachsen lassen,
denn wer geht noch hin zu den Gräbern?
Rechts von der Bahn
waren Kriegsgefangenenlager:
Engländer, Schotten, Kanadier –
nur wenige Tote.
Aber links von der Bahn,
da liegen fast alle noch da:
Jugoslawen, Russen, Ukrainer –
an 4000 Tote.
Verschieden die Sterblichkeit
rechts und links von der Bahn:
Die einen ernährt, wie es Recht war,
die andern verhungern lassen.
Die Sterbenden noch mit der Schaufel
erschlagen. – St.Johann, St.Johann!
Deine rechte Hand hat nicht gewusst,
was deine linke Hand tat.
Sie will es auch heut noch nicht wissen,
St.Johann im Pongau!
Du hast Gras wachsen lassen
über den Gräberweg.
2005 wurde es von Thomas Doss vertont, bei einer Aufführung in St.Johann musste der Ortsname daraus gestrichen werden. Daraufhin sammelten örtliche Gymnasiasten Unterschriften und hatten binnen kurzem 600 beisammen. Adolf Schwaiger musste den Strafzettel nicht bezahlen. Und freier Zugang zum Friedhof wurde gefordert – erfolgreich.
Im Staatsvertrag vom 15.Mai 1955 hat sich Österreich unter anderem zur Achtung, zum Schutz und zur Erhaltung von Gräbern von Soldaten, Kriegsgefangenen usw. verpflichtet. Im Bundesland Salzburg stehen dafür jährlich 14.000 Euro zur Verfügung.
Norbert Stadler, Michael Mooslecher: St. Johann/PG 1938–1945. Bezug nur über Michael Mooslechner, Lasserstr.32/1, 5020 Salzburg.
In St.Johann im Pongau bestattete Kriegsgefangene nach Herkunft: UdSSR 3709; Jugoslawien 51; Frankreich15; sonstige 7.
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen
Spenden
Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF
Schnupperausgabe
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.