von Daniel Tanuro
Dass die ökologische und die soziale Frage zusammengedacht werden müssen, diese Einsicht gewinnt an Boden, und zwar umso mehr, je konkreter die Auseinandersetzung um die Energiewende wird. Das ist aber leichter gesagt als getan: Im Fokus der Gewerkschaften steht der ökosoziale Umbau bislang nicht, eher sind sie noch auf Verteidigung bestehender Profitmodelle gepolt und bereiten sich wenig auf den unvermeidlichen Strukturwandel vor. Auf der Seite der Klimaschützer geraten deshalb als soziale Akteure auch eher die Bevölkerungen des Südens mit ihrer Forderung nach Klimagerechtigkeit in den Blick.
Das Internationale Ökosozialistische Netzwerk, entstanden aus dem Weltsozialforum 2001, bemüht sich um eine theoretische Fundierung des Zusammenhangs zwischen der ökologischen und der sozialen Frage und versucht daraus Handlungsstrategien für breite, ökosozial(istische)e Bündnisse abzuleiten.
DANIEL TANURO gehört diesem Netzwerk an. Im folgenden veröffentlichen wir die verschriftlichte und überarbeitete Fassung seines Vortrags im Rahmen der Klimakonferenz, die von der Rosa-Luxemburg-Stiftung zusammen mit verschiedenen Umwelt- und Klimaschutzorganisationen vom 10. bis 12.April 2015 in Köln organisiert wurde.
Für die ökosozialistische Strömung ist das, was man «ökologische Krise» nennt, keine Krise der Ökologie. Nicht die Natur ist in der Krise, sondern die Gesellschaft, und diese gesellschaftliche Krise bringt eine Krise der Beziehungen zwischen der Menschheit und der übrigen Natur mit sich.
Unserer Auffassung nach ist diese Krise nicht den Eigenheiten der menschlichen Art geschuldet. Insbesondere kommt sie nicht davon, dass unsere Art ihre Existenz durch gesellschaftliche Arbeit sichert, was ihr erlaubt sich zu entwickeln und was dem Begriff des Fortschritts seinen Sinn gibt. Die ökologische Krise ist der kapitalistischen Produktionsweise geschuldet, was eine kapitalistische Konsumtionsweise einschließt, und der daraus folgenden produktivistischen und konsumistischen Ideologie des «immer mehr».
Das theoretische Fundament
Kapitalismus = Produktivismus
Der Kapitalismus produziert keine Gebrauchswerte zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse, sondern Tauschwerte zur Maximierung der Profite. Dieser Profit wird von einer Minderheit der Bevölkerung angeeignet: von den Eigentümern der Produktionsmittel. Sie beuten die Arbeitskraft der gesellschaftlichen Mehrheit aus im Austausch für einen Lohn, der niedriger ist als der Wert der von den Arbeitskräften hergestellten Produkte.
Die Eigentümer der Produktionsmittel stehen untereinander in einem erbarmungslosen Konkurrenzkampf, der jeden von ihnen dazu zwingt, permanent zu versuchen, die Arbeitsproduktivität durch den Einsatz immer perfekterer Maschinen zu steigern. Der «Produktivismus» (produzieren um zu produzieren, was konsumieren um zu konsumieren erfordert) ist also eine Eigenheit des Kapitalismus von Anfang an. Kapitalismus impliziert Akkumulation. Der bürgerliche Ökonom Joseph Schumpeter hat das sehr einfach ausgedrückt: «Ein Kapitalismus ohne Wachstum ist ein Widerspruch in sich.»
Der Kapitalismus ist ein sehr effizientes Ausbeutungssystem. Er verbessert die Arbeitsproduktivität und die Effizienz der Nutzung der (anderen) Naturressourcen kontinuierlich. Aber diese Verbesserung dient natürlich der Akkumulation: die relativen Einsparungen an Arbeitskräfteeinsatz und anderen für die Produktion erforderlichen Elementen werden durch die Produktionssteigerung insgesamt mehr als ausgeglichen, sodass letztlich die Masse der im Produktionsprozess verbrauchten Ressourcen steigt. Darum führt die kapitalistische Akkumulation unvermeidlich zugleich zur verschärften Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft und zur verschärften Plünderung der natürlichen Ressourcen.
Gibt es eine Grenze für die dem Kapitalismus innewohnende Tendenz zum Wachstum?
Auf diese Frage hat Marx geantwortet: «Die wahre Schranke der kapitalistischen Produktion ist das Kapital selbst…» (MEW 25, S.269). Diese Formel basiert auf der Definition des Kapitals nicht als einer Sache (einer Geldmasse), sondern als einem gesellschaftlichen Verhältnis: nämlich dem Ausbeutungsverhältnis, durch das eine bestimmte Geldmenge durch Aneignung des Mehrwerts, der aus dem unbezahlten Arbeitsanteil kommt, zu mehr Geld wird. Dieses Ausbeutungsverhältnis bedarf natürlich eines Inputs in Form von Ressourcen.
Zu sagen «Die wahre Schranke der kapitalistischen Produktion ist das Kapital selbst» bedeutet also einfach folgendes: Solange es Arbeitskräfte und Naturressourcen gibt, die ausgebeutet werden können, kann sich das Kapital weiter akkumulieren, indem es das verarmt und zerstört, was Marx «die Springquellen alles Reichtums» genannt hat, «die Erde und den Arbeiter» (MEW 23, S.530).
Die einzig vorstellbare Alternative zum Kapitalismus ist somit ein System, in dem nicht Tauschwerte zur Profitmaximierung der Kapitalisten produziert werden, sondern Gebrauchswerte zur Befriedigung der tatsächlichen menschlichen (nicht durch die Warenform korrumpierten), demokratisch ermittelten Bedürfnisse. Das wäre ein System, in dem die Kooperation die Konkurrenz, die Solidarität den Individualismus ersetzt und die Emanzipation die Entfremdung überwindet. Ein solches System – es wäre eine neue Zivilisation – entspricht der theoretischen Definition einer sozialistischen Gesellschaft. Ich wiederhole: auf dieser allgemeinen Ebene gibt es keine andere vorstellbare Alternative.
Kapitalistischer und bürokratischer Produktivismus
Diese Schlussfolgerung stößt sich an harten geschichtlichen Fakten. Denn es ist unbestreitbar, dass die Bilanz des Sozialismus, wie er im 20.Jahrhundert «real existiert» hat, abstoßend wirkt, nicht nur vom Standpunkt der menschlichen Emanzipation aus, sondern auch im Hinblick auf die Entwicklung möglichst harmonischer Beziehungen zwischen der Menschheit und ihrer natürlichen Umwelt.
Es ist nicht nötig, hier die Details zu schildern: Alle Welt weiß von der Austrocknung des Aralsees und von der Katastrophe von Tschernobyl. Man mag hinzufügen, dass die DDR und die CSSR bei der Pro-Kopf-Emission von Treibhausgasen einen traurigen Weltrekord hielten; sie übertrafen in dieser Hinsicht die größten Umweltverschmutzer der kapitalistischen Welt, die USA und Australien.
Diese negative Umweltbilanz des «realen Sozialismus» ist wesentlich der bürokratischen Konterrevolution geschuldet, die in den 20er Jahren unter der Führung Stalins triumphierte. Der Produktivismus im Osten war die Folge eines Prämiensystems, das die Manager der Staatsfirmen dafür belohnte, dass sie die Planvorgaben übererfüllten. Nach diesem Köder schnappend, verbrauchten und verschwendeten diese Manager ein Maximum an Werkstoffen und Energie pro Endprodukt… Sie hatten keine Konsequenzen zu fürchten, da die Konsumenten weder Wahlfreiheit hatten, noch die Freiheit der Kritik, noch die Möglichkeit, gegen die gesellschaftlichen und ökologischen Folgen einer Produktion zu protestieren, die keinerlei «Arbeiterkontrolle» unterworfen war.
In Hinblick auf das ökologische Zerstörungswerk gibt es keine Unterschiede zwischen dem kapitalistischen Produktivismus und demjenigen im ehemaligen Ostblock. Aber der kapitalistische Produktivismus folgt aus einem ganz anderen Mechanismus: Im Gegensatz zu einem Fabrikdirektor in der UdSSR, optimiert der Chef einer kapitalistischen Firma ständig die Quantität der zur Herstellung der Produkte verbrauchten Ressourcen, um die Menge der Produkte zu erhöhen, und betrachtet die Reaktion des Marktes als letztinstanzliches Urteil über die Qualität seiner Produkte. Vom kapitalistischen Standpunkt aus ist der kapitalistische Produktivismus rational und im Einklang mit den für ihn charakteristischen gesellschaftlichen Verhältnissen.
Im Gegensatz dazu erscheint der bürokratische Produktivismus als irrationale Ausgeburt des politischen Überbaus: In einer Ökonomie, die der Befriedigung der Bedürfnisse dienen soll, wäre ein rationales Verhalten eines, das die Produktion einer demokratischen Lenkung der Produzenten und Konsumenten unterwirft. Weil eine solche Demokratie mit dem bürokratischen Parasitenverhalten aber unvereinbar ist, bietet dieses System den Parasiten materielle Anreize, damit es überhaupt funktionieren kann.
Der Vergleich führt uns zu einer wichtigen Schlussfolgerung: Der kapitalistische Produktivismus wohnt der kapitalistischen Produktionsweise inne, der sowjetische Produktivismus hingegen ein exogener Faktor. Die katastrophale Umweltbilanz der UdSSR liefert deshalb keinen Beweis dafür, dass der Sozialismus per definitionem ebenso umweltvernichtend wäre wie der Kapitalismus.
Stalin erklärt nicht alles
Indessen genügt der Verweis auf den Stalinismus und auf die Existenz einer privilegierten bürokratischen Kaste nicht, um diese katastrophale Bilanz zu erklären. Um das Problem zu verdeutlichen, beschränke ich mich hier auf ein Zitat des berühmtesten Gegners von Stalin, Leo Trotzki. Von allen marxistischen Theoretikern war Trotzki zweifellos derjenige, der das Phänomen der Bürokratie am besten verstanden hat, aber er war sich der umweltbedingten Grenzen der menschlichen Entwicklung nicht bewusst, das ist das Mindeste, was man sagen kann.
In einer berühmten Rede hat der Autor der Verratenen Revolution gesagt, dass «der sozialistische Mensch die Berge versetzen, die Meere einschließen und die Flüsse umleiten» wird. Ich will die Tragweite dieses Zitats nicht übertreiben, ich führe es nur an um zu verdeutlichen, dass viele Marxisten eine weit weniger vorsichtige und realistische Vorstellung hatten von den aus ihren kapitalistischen Fesseln befreiten Produktivkräften und was mit ihnen alles verwirklicht werden könnte, als Marx selbst.
Weit davon entfernt, über die wundersamen Fähigkeiten des sozialistischen Übermenschen zu fabulieren, konstatiert Marx bescheidener: «Die Freiheit in diesem Gebiet [dem Verhältnis zu den Naturgesetzen] kann nur darin bestehn, dass der vergesellschaftete Mensch, die assoziierten Produzenten, diesen ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln…» (MEW 25, S.828).
Im Licht dieses Zitats erscheint es selbstverständlich, dass die Analyse der Umweltbilanz des «realen Sozialismus» über die Kritik am bürokratischen Produktivismus hinausgehen muss. Sie muss tiefer schürfen und die theoretischen und ideologischen Konzepte unter die Lupe nehmen, die das sozialistische Denken in seinen verschiedenen Entwicklungsphasen geprägt haben.
Die Strömung, die sich im Ökosozialistischen Manifest wiederfindet, das von Michael Löwy und Joel Kovel verfasst wurde, hat eine Reihe dieser Konzepte benannt, die verdienen, revidiert zu werden.
Baustellen für eine ökosozialistische Erneuerung
Wissenschaft, Technik, Fortschritt
Das betrifft in erster Linie das Verhältnis zur Wissenschaft, oder vielmehr zu den Wissenschaften. Die meisten sozialistischen Vordenker, angefangen bei Marx und Engels, waren ziemlich stark vom Szientismus beeinflusst – das ist die mechanistische Vorstellung, dass die Wissenschaften in der Lage sein werden, alles bis ins letzte Detail erklären zu können. Diese Vorstellung ist offenkundig irrig, weil die Welt sich ständig in Entwicklung befindet, sodass die Wissenschaften, je weiter sie fortschreiten, immer wieder vor neuen Phänomen und Rätseln stehen.
Die ökosozialistische Strömung will mit dem Szientismus brechen. Es muss Schluss gemacht werden mit dem Vorhaben, die Natur zu beherrschen, denn das impliziert, sie als eine Maschine und den Menschen als Maschinenführer zu betrachten. Diese illusorische und instrumentalistische Vorstellung verstößt jedoch gegen die Grundsätze der Behutsamkeit, Bescheidenheit und Umsicht, die sich heute aufdrängen, wenn der Stoffwechsel des Menschen mit der Natur wieder ins Lot kommen soll.
Mit der Wissenschaft hängt das Konzept der Technologie zusammen, das ist die in der Produktion angewandte Wissenschaft. Ist sie neutral oder hat sie einen Klassencharakter? Obwohl Marx den «historisch determinierten» Charakter aller Aspekte der menschlichen Entwicklung betont, hat er sich zu dieser spezifischen Frage nicht abschließend geäußert. Die meisten Sozialisten nach ihm hielten Technologie für neutral. Die ökosozialistische Strömung hält sie nicht für neutral.
Das Ziel heiligt die Mittel nicht: manche Mittel widersprechen dem Ziel. Das gilt auch für die Produktionsmittel, also für die Technologien. Die Atomenergie z.B. widerspricht dem Ziel einer Gesellschaft, in der die Produzenten die Erde ihren Nachkommen wie boni patres familias (gute Familienväter) verbessert hinterlassen. Dasselbe gilt für die Verbrennung der fossilen Energieträger, für den Anbau genetisch veränderter Organismen auf freiem Feld und für die Großprojekte des Geoengineering.
Der Bruch mit dem Szientismus und die Technologiekritik werfen sofort die Frage nach der Haltung zum Fortschritt auf. Ökosozialisten lehnen die Vorstellung einiger Wachstumskritiker ab, man müsse «aus der Entwicklung aussteigen», weil Fortschritt per se etwas Schlechtes wäre; sie lehnen aber ebensosehr die Vorstellung ab, Fortschritt und Entwicklung wären in jedem Fall etwas Gutes. Sie haben einen kritischen Blick auf die Technologie und folgen Marx in der These, dass die Produktivkräfte im Kapitalismus sich mehr und mehr zu «Destruktivkräften» entwickeln.
Die entwickelten Länder haben im allgemeinen keinen Bedarf mehr an quantitativer Entwicklung, sie haben Bedarf an einer Umverteilung des Reichtums, um eine qualitative Entwicklung zu ermöglichen. In diesem Zusammenhang schenken Ökosozialisten den Vorstellungen indigener Völker zur Entstehung und Entwicklung der Welt und dem Können bäuerlicher Produktionsgemeinschaften große Beachtung. Darin sehen sie Quellen der Inspiration für einen Fortschritt, der diesen Namen verdient, der den kapitalistischen Produktivismus in Frage stellt und auf dem Verständnis beruht, dass wirklicher Reichtum aus freier Zeit erwächst, aus zwischenmenschlichen Beziehungen und aus einem harmonischen Verhältnis zur Umwelt – und nicht aus einer fieberhaften Anhäufung von Konsumgütern, die oft nur dazu dienen, die Ärmlichkeit der eigenen Existenz zu kompensieren.
Zentralisierung und Dezentralisierung
Eine vierte Frage betrifft das Verhältnis von Zentralisierung und Dezentralisierung. Aufgrund der historischen Erfahrung der Sowjetunion wird Sozialismus stark mit der Vorstellung von einem sehr zentralisierten Plan assoziiert. Dieses Gleichheitszeichen muss jedoch in Frage gestellt werden.
Es versteht sich von selbst, dass eine Regierung, die eine antikapitalistische Politik betreiben will, die Wirtschaftsmacht der herrschenden Klasse brechen muss; das ist nur möglich durch die Enteignung des Finanzsektors und der großen Produktions- und Distributionsmittel. Ebenso versteht es sich von selbst, dass diese vergesellschafteten Bereiche neu strukturiert werden müssen, um die Bedürfnisse zu befriedigen – was eine zentrale Planung erfordert. Zugleich ist aber zu berücksichtigen, dass Demokratie und Selbstverwaltung ohne Verwurzelung an der Basis und vor Ort nicht voll existieren können. Zentralisierung und Dezentralisierung müssen also in gewisser Weise ineinandergreifen.
Dieses Ineinandergreifen ist dem Denken von Marx nicht fremd gewesen. Im Gegenteil, er sah in der Pariser Kommune die «endlich entdeckte politische Form der Emanzipation der Arbeit», und diese Erfahrung brachte ihn dazu, sich die «Diktatur des Proletariats» als eine Art Föderation der Kommunen vorzustellen. Spätere Marxisten haben in der Regel diesen Faden fallen gelassen. Die Ökosozialisten wollen ihn wieder aufnehmen und versuchen, ihn für das Projekt eines «Sozialismus des 21.Jahrhunderts» tauglich zu machen.
Der Klimawandel macht solche Überlegungen unumgänglich: Um den Übergang zu 100% erneuerbaren Energien innerhalb von zwei Generationen zu schaffen, muss die Energiebranche zweifellos vergesellschaftet werden. Sonst setzen die Kapitalisten durch, dass die gigantischen Reserven an fossilen Energieträgern, die ihnen gehören, so lange wie möglich genutzt werden.* Aber die Nutzung der erneuerbaren Energien erfordert eine dezentralisierte, vernetzte Energiegewinnung. Ihre demokratische Verwaltung auf kommunaler Ebene und im Interesse des Gemeinwesens ist real möglich.
Die ökosozialistische Strömung sollte diese Möglichkeit aufgreifen und sie mit konkreten Forderungen nach gesellschaftlicher Kontrolle und partizipativen Entscheidungsprozessen untersetzen, statt sich an das obsolete Modell eines großen Staatsbetriebs zu klammern.
Ökosozialismus und Ökofeminismus
Eine fünfte Frage, mit der sich Ökosozialisten beschäftigen, ist die nach der spezifischen Rolle der Frauen im Kampf um nachhaltige Beziehungen zwischen Mensch und Natur. Für die Feministinnen in unserer Strömung kommt diese Rolle nicht daher, dass Frauen «ihrem Wesen nach» der Natur näher und ihr gegenüber respektvoller wären, wie manche Theoretikerinnen des Ökofeminismus glauben.
Unserer Meinung sind Frauen ebenso wenig von Natur aus ökologisch wie etwa pazifistisch. Die spezifische Rolle der Frauen ergibt sich aus der kapitalistischen Arbeitsteilung in der Gesellschaft und in der bürgerlichen Familie. Eine der Erscheinungsformen ihrer Unterdrückung ist, dass sie den größten Teil der Sorgearbeit leisten, meistens völlig unbezahlt und ohne dass diese Tätigkeit überhaupt als Arbeit anerkannt würde. Außerdem ruht auf den Frauen weltweit 80% der Nahrungsmittelproduktion.
Frauen wissen, was es bedeutet, «um das Lebendige Sorge zu tragen». Ihr Wissen auf diesem Gebiet schreibt ihnen für den Übergang eine erstrangige Rolle zu, eben weil die Menschheit mit der Notwendigkeit konfrontiert ist, für die (außermenschliche) Natur Sorge zu tragen, und weil ein großer Teil der Bevölkerung – insbesondere in der entwickelten und verstädterten Welt – einfach nicht weiß, wie sie das anpacken soll.
Diese Rolle der Frauen kann aber nur dann im Interesse aller voll wertgeschätzt werden, wenn ihre Unterdrückung anerkannt wird. Dies erfordert den autonomen Kampf der Frauen für gesellschaftliche Gleichheit, für die Anwendung des Grundsatzes «Gleicher Lohn für gleiche Arbeit» auf dem Arbeitsmarkt und für gleiche Verteilung der Reproduktionsarbeit. In diesem Sinne unterstützen Ökosozialisten den ökofeministischen Kampf.
Die Frage nach dem Subjekt
Die Rolle der Arbeiterklasse
Die besondere Rolle der Frauen wirft eine andere Frage auf, eine in gewisser Weise für den Ökosozialismus entscheidende Frage: die nach dem «Subjekt» der gesellschaftlichen Veränderung.
Die klassische Antwort der sozialistischen Theoretiker lautet: Die Arbeiterklasse – nicht nur die Fabrikarbeiter, sondern alle, die gezwungen sind, ihre Arbeitskraft gegen Lohn zu verkaufen – ist das Subjekt, das das Kleinbürgertum und alle unterdrückten Schichten mit sich zieht. Diese zentrale Rolle als revolutionäre Klasse leitet sich aus ihrer Stellung im Produktionsprozess ab: Tatsächlich hat die Arbeiterklasse keine andere, mögliche historische Perspektive als die gemeinschaftliche Verwaltung der Produktionsmittel, um die demokratisch ermittelten gesellschaftlichen Bedürfnisse zu befriedigen.
Diese traditionelle Sicht hat die Vorstellung hervorgebracht, die Arbeiterklasse würde allezeit und allerorts, und sei es gegen den eigenen bewussten Willen, «objektiv» eine Vorhutrolle spielen. Doch der Kampf um das Klima zeigt eine ganz andere Realität: An vorderster Front finden wir hier Bauern, Landarbeiter, indigene Völker im Kampf gegen Bergbauprojekte oder infrastrukturelle und forstwirtschaftliche Großprojekte, die ihre Umwelt zerstören.
Die Tatsache, dass von der Arbeiterklasse im engeren Sinne des Wortes unterschiedene Gesellschaftsschichten eine Vorhutrolle spielen, ist nicht neu. Die Jugend zum Beispiel war oft Auslöserin gesellschaftlicher Entwicklungen durch Kämpfe, die die Unerträglichkeit einer gesellschaftlichen oder politischen Situation aufgedeckt und die Arbeiterklasse dazu gedrängt haben, ihre relative Passivität zu überwinden. Der Mai 68 in Frankreich, wo die Repression der «Nacht der Barrikaden» im Quartier Latin einen Generalstreik mit 10 Millionen Beteiligten auslöste, ist ein klassisches Beispiel für diese Wechselwirkung zwischen sozialen Schichten und Klassen. Es gibt viele andere.
Womit wir heute im Kampf gegen den Klimawandel konfrontiert sind, ist aber etwas ganz anderes. Hier beobachten wir seit Jahren anhaltende Kämpfe von Bauern, indigenen Völkern und Gemeinschaften, die bis heute in der Arbeiterklasse nichts ausgelöst haben. Das Problem hat also tiefere Wurzeln. Es handelt sich nicht einfach um eine «Disharmonie der Zeiten», um Verzögerungen im Rhythmus der Bewusstwerdung verschiedener sozialer Schichten und Klassen.
Die Erklärung ist im Grunde ziemlich einfach. Wenn Bauernfamilien gegen das Agrobusiness kämpfen, wenn indigene Völker gegen die Aneignung der Wälder als Kohlenstoffreservoirs oder Quelle für Biomasse kämpfen, wenn Gemeinschaften gegen extraktivistische Projekte kämpfen – dann stimmen ihre Forderungen für die Sicherung der Existenz der betroffenen Menschengruppen unmittelbar mit dem überein, was getan werden muss, um das Klima zu retten.
Die Situation der Arbeiterklasse ist eine ganz andere. Vor allem derzeit, wo die Arbeiterklasse geschwächt, ideologisch desorientiert und in der Defensive ist, stimmen ihre unmittelbaren Forderungen zur Verteidigung ihrer Lebensbedingungen nicht mit dem überein, was getan werden muss, um das Klima zu retten; sie decken sich eher mit Maßnahmen, die das Klima aus dem Gleichgewicht bringen.
Um Arbeitsplätze zu schaffen oder zu verteidigen, hofft eine Mehrheit der Arbeiterinnen und Arbeiter z.B. auf eine Ausweitung der Produktion, einen wirtschaftlichen Aufschwung des Kapitalismus, neue Unternehmen. Es ist natürlich eine Illusion zu glauben, damit könne die Erwerbsarbeitslosigkeit beseitigt werden, aber immerhin drängt sich diese Illusion auf den ersten Blick als logische und am leichtesten zu verwirklichende Lösung auf. In manchen umweltverschmutzenden Bereichen wie etwa in den Kohlebergwerken Polens gehen Gewerkschafter sogar so weit, die Tatsache des Klimawandels anzuzweifeln, weil sie in ihrer Anerkennung eine Bedrohung für ihre Arbeitsplätze sehen.
Kampf gegen Arbeitslosigkeit
Wie kann diesem Problem begegnet werden? Ökosozialisten versuchen darauf zu antworten, indem sie Forderungen vorschlagen, die zugleich die sozialen Bedürfnisse der arbeitenden Menschen aufgreifen und den ökologischen Notwendigkeiten (insbesondere zur drastischen und schnellen Reduzierung der Treibhausgasemissionen zur Stabilisierung des Klimas) gerecht werden. Vereinfacht gesagt, unterscheiden wir uns sowohl von Umweltschützern, die die sozialen Folgen der notwendigen umweltpolitischen Maßnahmen wenig beachten, als auch von Gewerkschaftern, für die die Umwelt ein Problem der Reichen ist, um das man sich später kümmern kann. Beide Strategien sind aus unserer Sicht von vornherein zum Scheitern verurteilt.
Der Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit ist die erste Sorge der Lohnabhängigen (und die Erwerbslosigkeit bedingt das Reallohnniveau, die Arbeitsbedingungen, die Verteidigung der sozialen Sicherheitssysteme…). Die ökosozialistische Strömung antwortet darauf mit Forderungen auf drei Ebenen:
- Die Schaffung von Arbeitsplätzen im Bereich des Wohnungsbaus und der öffentlichen Infrastruktur: öffentliche Pläne für die energetische Gebäudesanierung, für eine Energiewende und für die Ersetzung der privaten Mobilität durch öffentliche Verkehrsmittel. Dabei legt sie großen Wert auf eine möglichst starke Dezentralisierung und die demokratische Kontrolle durch die Nutzer und durch die Beschäftigten.
- Die Konversion nutzloser oder schädlicher Produktion (in erster Linie der Waffenproduktion und der Atomenergie, aber auch der Automobilindustrie, der Petrochemie usw.) unter Kontrolle der Belegschaften zugunsten nützliche Produktion oder Tätigkeiten.
- Die radikale Verkürzung der Arbeitszeit ohne Lohnverlust und mit entsprechenden Neueinstellungen sowie eine Entschleunigung des Arbeitsrhythmus, damit alle (Erwerbs-)Arbeit haben, besser leben und weniger verschwenden.
Dieser letzten Forderung kommt eine besondere strategische Bedeutung zu. Wie Marx geschrieben hatte, handelt es sich um die wichtigste soziale Forderung und das wichtigste Mittel, mit dem «der vergesellschaftete Mensch, die assoziierten Produzenten diesen ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln» können, indem sie «unter den ihrer menschlichen Natur würdigsten und adäquatesten Bedingungen» handeln (MEW 25, S.828).
Angesichts der Massenarbeitslosigkeit kann nur ein Programm dieser Art auf die doppelte soziale und ökologische (insbesondere klimatische) Herausforderung eine sinnvolle Antwort sein. Seine Verwirklichung erfordert eine antikapitalistische Orientierung und zieht weitere Forderungen nach sich, die hier nicht im Detail erläutert werden können: die Vergesellschaftung des Energie- und Finanzsektors; eine langfristige Politik der Förderung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft mit einer auf Erhalt der Ökosysteme ausgerichteten biologischen Lebensmittelproduktion usw.
Ein solches Programm kann in der Arbeiterbewegung nur an Einfluss gewinnen, wenn es sich mit dem Kampf der Gewerkschaftslinken gegen die Dominanz der sozialliberalen Apparate verbindet. Deren Orientierung besteht darin, die Energiewende zu begleiten, so wie sie vom Kapitalismus konzipiert wird, sie verlangen lediglich, dass die Wende «gerechter» gestaltet wird.
Ökosozialisten schlagen deshalb den Bewegungen der Bauern, Landlosen, der Indígenas und Gemeinschaften vor, den Kontakt und die Zusammenarbeit mit Gewerkschaftslinken zu suchen.
Ökosozialismus, ein offenes Konzept
Die größte Herausforderung ist, über allgemeine Überlegungen hinauszukommen und ein Programm mit konkreten, gut begründeten Vorschlägen für eine Energiewende und eine soziale Wende zu entwickeln. Denn es reicht nicht, die fossilen Energieträger durch erneuerbare zu ersetzen: Die Treibhausgasemissionen müssen so stark reduziert werden, dass dies ohne eine Einschränkung der Produktion und des Verkehrs nicht gehen wird.**
Auf den Punkt gebracht ist Ökosozialismus der Wille, die sozialen Kämpfe und die Kämpfe um die Umwelt zusammenzuführen, denn die soziale und die ökologische Zerstörung sind zwei Seiten einer Medaille: die des produktivistischen Kapitalismus. So verstanden, handelt es sich um ein offenes Konzept, das strategisch und programmatisch weiterentwickelt werden muss. Tatsächlich gibt es heute verschiedene Varianten von Ökosozialismus. Die Variante, die ich vorgestellt habe, könnte als marxistisch, revolutionär, feministisch und internationalistisch bezeichnet werden. Es gibt auch andere Varianten, und wir beanspruchen nicht das Monopol, sondern nur eine möglichst breite Debatte.
* Es sei daran erinnert, dass zwei Drittel bis vier Fünftel der bekannten fossilen Reserven im Boden bleiben müssen, wenn wir wenigstens eine Chance von 60% haben wollen, dass die globale Erwärmung der Atmosphäre bis Ende des Jahrhunderts nicht stärker als 2°C – gemessen am Beginn des industriellen Zeitalters – steigt.
** Die Übergangsszenarien zu einem System mit zu 100% erneuerbaren Energien, die vorgeben, das sei mit einem jährlichen Wachstum von 2–3% vereinbar, stellen nicht die fossile Energie in Rechnung, die nötig ist, um die Maschinen für die Gewinnung der erneuerbaren Energien zu produzieren oder Gebäude energetisch zu sanieren.
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