Interview mit Steffen Lehndorff
Du warst einer der Initiatoren des Aufrufs «Griechenland nach der Wahl – Keine Gefahr, sondern eine Chance für Europa», der sich vor allem an Gewerkschafter wendet. Inwieweit ist es gelungen, die Solidarität mit den Menschen in Griechenland, die unter den Diktaten der Troika leiden, in den Gewerkschaften zu fördern?
Es gab sehr viel Interesse bei Gewerkschaftsfunktionären. Doch deren Einsichten waren denen der Mitglieder weit voraus. Bei Veranstaltungen hörte ich oft die Bemerkung: Wie erkläre ich das meinen Kollegen? Gleichzeitig gab es ein Problem. Die gewerkschaftlichen Funktionäre hätten sich beim Argumentieren leichter getan, wenn es von seiten der griechischen Regierung ein explizites wirtschaftliches Aufbauprogramm gegeben hätte. Da hätte man die gemeinsamen Interessen von deutschen und griechischen Kollegen leichter herausarbeiten können.
Das Problem war, dass SYRIZA nie aus der Defensive herausgekommen ist. Es wird ja immer von einem Kräfteverhältnis von 1:18 in der Eurogruppe gesprochen. Es ist aber viel schlimmer. Real war es wohl eher 1:58 – wenn man in Rechnung stellt, dass die Wirtschaftskraft Griechenlands lediglich 1,6% derjenigen der Eurozone ausmacht. Dass die griechische Regierung so in der Defensive war, hatte natürlich auch Auswirkungen auf unsere Gewerkschaften.
Welche Probleme gibt es in dieser Frage bei Gewerkschaftsmitgliedern und welchen Einfluss haben die Stammtischargumente von Bild unter Gewerkschaftsmitgliedern?
Unter denen, die den Aufruf gut finden, ist immer noch ein großer Schritt vom «richtig finden» bis hin zum «aktiv werden». «Aktiv werden» ist nicht so einfach, wenn man nicht so richtig weiß, was man eigentlich tun kann. Gleichzeitig gibt es das Problem der Stammtischargumente. Bild –die «Qualitätsmedien» unterscheiden sich gar nicht so sehr von ihr – hat die Deutungshoheit. Die Lesart hierzulande ist, dass die griechische Krise einen Sonderfall darstellt. Die müssen ihre Hausaufgaben machen, dann werden sie sich erholen, so wie sich die Iren, die Portugiesen und die Spanier erholt haben. Das eigentliche Problem, dass Griechenland nur die Spitze eines Eisbergs einer Konkurrenzunion ist, in der jeder seines Glückes Schmied sein soll und es keine Solidarität gibt, wird völlig ausgeblendet.
Vor diesem Hintergrund ist es natürlich schwierig, die Kollegen von der Richtigkeit und Wichtigkeit der Solidarität mit Griechenland zu überzeugen. Notwendig wäre eine umfassende Gegenkampagne. Die muss aber sehr gut geplant sein und bedarf einer Menge von Vorbereitung.
Man muss ja bedenken, dass die Gewerkschaften – man denke nur an den Kita-Streik – in dieser Zeit selbst schwierige Arbeitskämpfe zu bestehen hatten. Die haben die gewerkschaftlichen Funktionäre natürlich sehr stark in Beschlag genommen.
Wäre das nicht gerade eine Möglichkeit gewesen, auf Streikversammlungen darauf hinzuweisen, wie die Troika gewerkschaftliche Rechte abschafft und die SYRIZA-Regierung sich um ihre Wiederherstellung bemüht?
Auf den 1.Mai-Kundgebungen hat das Thema Europa, und damit auch Griechenland, durchaus eine Rolle gespielt. Es gibt auch örtliche Gliederungen, in denen es persönliche Kontakte nach Griechenland oder Spanien gibt.
Ich denke, die persönliche Zusammenarbeit zwischen Betriebsräten oder örtlichen Gewerkschaftsgliederungen ist sehr wichtig. Viele Vorurteile werden am besten im persönlichen Gespräch aus der Welt geschafft. Konkrete Solidaritätsarbeit ist dafür sehr wichtig. Es gibt ja zahlreiche Solidaritätsprojekte wie die im Gesundheitswesen, Konstantin Wecker ist da aktiv, es gibt die Leute von VIOME, die selbstverwaltet produzieren. Solche praktischen Solidaritätsaktionen spielen eine große Rolle, weil sie am persönlichen Mitgefühl ansetzen. Dieses persönliche Mitfühlen geht oft dem politischen Nachdenken voraus.
Gibt es eine Vernetzung von Gewerkschaftsmitgliedern, die um Griechenlandsolidarität bemüht sind?
Ich sehe da bisher nicht sehr viel. An verschiedenen Orten sind Gewerkschaftsfunktionäre in Griechenland-Solidaritätskomitees tätig. Sie tun das aber als Individuen. Das muss auch gar nicht schlecht sein.
Wir stehen vor einem Riesenproblem. Letzten Endes kommt es in den nächsten Jahren darauf an, Europapolitik zur Innenpolitik zu machen. Das ist eine Herausforderung, für die wir noch keine Lösung haben. Damit müssen wir uns auseinandersetzen. Heute ist es Griechenland, morgen vielleicht Spanien, übermorgen Italien. Aufgrund der Fehlkonstruktion der Eurozone und der wirtschaftlichen Verflechtung der Länder untereinander werden wir immer wieder vor neue Probleme gestellt. Und da müssen wir Antworten finden.
Steffen Lehndorff ist Herausgeber des Buchs: Spaltende Integration. Der Triumph gescheiterter Ideen in Europa – revisited und Sozialforscher am IAQ der Universität Duisburg-Essen.
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