Die Hilflosigkeit der Linken gegenüber der Troika
von Ingo Schmidt und Angela Klein
Am Ende der Verhandlungen, über die Griechenland ein Ende der Austerität und den Beginn eines anderen Europa erreichen wollte, blieb nur noch die Wahl, aus dem Euro gedrängt zu werden oder zu kapitulieren.
Im nachhinein gesehen, wäre ein früher Grexit wirtschaftlich einfacher gewesen, obwohl die Vorteile einer Abwertung gegenüber den Kosten einer umstellungsbedingten Rezession nicht abzuschätzen sind.
Politisch wäre der frühe Grexit nicht vermittelbar gewesen, weil die Mehrheit in Griechenland ein Ende der Austerität und die Mitgliedschaft im Euro wollten. Insofern hat Varoufakis einen notwendigen kollektiven Lernprozess verkörpert und selbst durchlaufen – am Ende stand er für den Grexit, den er stets abgelehnt hatte.
Die Kapitulation zerstört das Vertrauen und die Hoffnungen, die an SYRIZA geknüpft waren. Gegenwärtig wird Tsipras noch als Opfer der Erpressung gesehen, aber wenn die neuen Maßnahmen greifen, wird er immer mehr als Durchsetzer der verhassten Troika-Politik wahrgenommen werden. Das wird die Linke in Griechenland, und damit ihre Vorbildfunktion in Europa, massiv zurückwerfen.
Der Linken außerhalb Griechenlands steht es allerdings schlecht an, im nachhinein gute Ratschläge zu erteilen, hat sie doch wenig getan, um SYRIZA von außen zu entlasten. Einige Unentwegte haben Solidarität organisiert, blieben aber weitgehend isoliert. Massenaufklärung über den Charakter der sogenannten Griechenlandhilfen blieben ebenfalls an den üblichen Verdächtigen hängen. DIE LINKE, deren Mehrheitsströmung sonst auf Regierungskurs ist, hat ihre Ressourcen dafür nicht mobilisiert. Sie ist auch nicht an die SPD herangetreten mit der Forderung, in dieser kritischen Situation wenigstens deren Europaprogramm umzusetzen.
Entsprechende Angebote hätten es der SPD-Führung schwerer gemacht, sich als Ersatz-AfD zu präsentieren und den nationalistischen Konsens zu zementieren. Und die anlässlich der Verkündung von Neuwahlen von Riexinger und Kipping abgegebene Erklärung ist nicht nur geeignet, das Diktat kleinzureden, weil es angeblich immer noch Spielraum für Verbesserungen ließe. Sie bleibt auch meilenweit hinter der sich jetzt unter Linken in Europa entspinnenden Debatte zurück, die immer klarer die Notwendigkeit erkennt, den Widersinn dieser Wirtschafts- und Währungsunion aufzukündigen – wie Lafontaine es z.B. in einer europäischen und nicht nationalistischen Perspektive tut, wenn er die Rückkehr zur Europäischen Währungsschlange EWS fordert, die es vor der Einführung des Euro gab.
DGB und EGB haben zwar ganz gute Stellungnahmen abgeben, durchaus auf der Linie von Varoufakis, aber nicht mobilisiert, etwa zu einer Demonstration in Brüssel während der entscheidenden Verhandlungen.
Dass das Europäische Sozialforum nicht mehr funktioniert, haben wir jetzt schmerzlich zu spüren bekommen – nicht nur weil Mobilisierungen auf eine viel breitere und gemeinsame europäische Grundlage hätten gestellt werden können, sondern auch weil es ein Laboratorium zur Entwicklung von Konzepten für ein anderes Europa sein könnte. Varoufakis’ moderate Forderungen sind ja ohne Einbettung in eine weitergehende Transformationsstrategie und deshalb Stückwerk geblieben. Viele Menschen ahnen aber auch schon, dass einem auf die EU-Ebene gehobenen Keynesianismus gegenwärtig der Partner zum Klassenkompromiss fehlt.
Die jüngste Erpressungsrunde hat den Dezisionismus innerhalb der EU offengelegt und gezeigt, dass vertraglich festgelegte Regeln locker suspendiert werden können, wenn es dazu die Macht gibt. Sie hat auch gezeigt, dass es nicht um die Schulden geht und auch nicht darum, Griechenland wieder auf die Beine zu helfen.
Jeder, selbst Schäuble weiß, dass die Schulden weiter steigen werden. Sollen sie auch – weil sie ein permanentes Druckmittel darstellen, ähnlich den Schulden der deutschen Einheit: Auch damals wurde von blühenden Landschaften nach Strukturreformen geredet, obwohl bürgerliche Ökonomen vor dem Scheitern dieser Politik und den ausufernden Schulden gewarnt haben. Diese Warnungen wurden in den Wind geschlagen, wie heute gegenüber Griechenland. Das aber waren und sind politische Entscheidungen, sie entspringen nicht ökonomischen Sachzwängen.
Gegenwärtig scheint die Macht Schäubles total. Marionettenregime in Osteuropa applaudieren ihm, weil die Weigerung von SYRIZA, sich auf Marionettenstatus herabstufen zu lassen, sie an ihre eigenen Erbärmlichkeit erinnert. Spanien und Portugal sind bereits auf ähnlichem Weg und zudem mit einer linken Herausforderung konfrontiert. Frankreich und Italien fehlt gerade diese linke Herausforderung, um sie in Widerspruch zu Schäuble zu bringen.
Aber: Schäubles «Preußenschlag» hat die Bemühungen, die Krise zu einer Griechenlandkrise zu machen, zerstört – es ist jetzt eine europäische Vertrauenskrise. Das vom Zentrum gern gebrauchte Argument, die Populisten (links und rechts ohne Unterschied) würden den Zusammenhalt Europas zerstören, die Unterstützung des Zentrums sei der einzige Weg zur Vermeidung eines Zerfalls, ist ad absurdum geführt: Schäuble hat gezeigt, dass er den Zusammenhalt zerstört, die Frage ist allerdings, ob die absehbar zunehmenden Unmutsäußerungen eher der Rechten oder der Linken zugute kommen werden.