Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 09/2015

Eile mit Feile, Hörverlag, 2015
von Dieter Braeg

Musik braucht Texte, und da wird oft eine feine Melodie zum Ärgernis. So mancher Reim – etwa «Liebe, Hiebe, Triebe»– verdirbt den Hörgenuss und es endet mit einer Intelligenzbeleidigung.
Deswegen gibt es diesmal statt Musik Ernst Jandl auf die Ohren. Viel zu früh gestorben (9.Juni 2000), hätte er, der im August dieses Jahres seinen 90.Geburtstag gefeiert hätte, mehr Beachtung verdient. Ja, «ottos mops», an den dürften sich einige erinnern, aber so humorvoll dieses Stück ist, es gibt noch ganz andere Texte, z.B.:
«vater komm erzähl vom krieg / vater komm erzähl wiest eingrückt bist / vater komm erzähl wiest gschossen hast / vater komm erzähl wiest verwundt wordn bist / vater komm erzähl wiest gfallen bist / vater komm erzähl vom krieg.»
Wer Jandl nicht nur hören will, dem sei seine 1966 erstmals erschienene Publikation Laut und Luise als Lesestoff empfohlen. Jandl hat auch mit der ihm in Freundschaft und Zusammenarbeit verbundenen, bedeutenden deutschsprachigen Lyrikerin Friederike Mayröcker 1968 das Hörspiel Fünf Mann Menschen geschrieben. 1969 hielt Jandl einen Vortrag über «Voraussetzungen, Beispiele und Ziele einer poetischen Arbeitsweise» und stellte fest, dass moderne Kunst «eine fortwährende Realisation von Freiheit» sei.
Jandl war – mit und ohne Musikbegleitung – der genialste Interpret der eigenen Texte. Die nachstehende CD ist die Aufnahme einer Lesung von Ernst Jandl in Oldenburg am 7.März 1995. In 76 Minuten kann man 78 Gedichte aus allen Schaffensphasen Jandls hören. Natürlich «ottos mops» oder das Antikriegssprechgedicht «schtzngrmm». Dazu «spruch vom kurzen o» oder «etüde in f», wo Phrasen und Redensarten in Sprachfallgruben verabschiedet werden.
Im Begleitheft zur CD kann man die im Jahre 1979 von Jandl geschriebenen «Autobiographischen Ansätze» lesen, in denen Jandl schreibt: «Keiner ist geladen, seine Geburt zu begrüßen, und wenig fordert mich nach 53 Jahren auf, mich zu meinem Leben zu beglückwünschen.»
Jandl gehört zu jenen Hörerlebnissen, die mich ein ganzes Leben begleiten. Dies sei als ganz große Einladung zu verstehen, die an Inhalten und Lauten so reiche Geräuschekunst kennenzulernen. Seine Inhalte und Töne werden lange im Gedächtnis hängenbleiben!

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