Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 10/2015
Doch eine Schwalbe macht noch keinen Sommer
von Stephen Hall*

Die Nachricht von der Wahl Jeremy Corbyns zum Vorsitzenden der britischen Labour Party am 12.September, als er im ersten Wahlgang mit 59,9% der 422.871 abstimmenden Mitglieder seinen nächsten Mitbewerber weit hinter sich ließ, zeigt einen stark wachsenden Rückhalt radikaler linker Ideen in der britischen Gesellschaft an. Sie verweist auch auf die zunehmende Unterstützung für ein alternatives ökonomisches und politisches Herangehen an den fortgesetzten Abbau sozialer Errungenschaften im Namen der sogenannten Sparpolitik.
Corbyns Erfolg ist ein Schritt nach vorne für die Linke – nicht nur in der Labour Party, in der in wenigen Monaten aus ein paar tausend «Hartgesottenen» Hunderttausende geworden sind, die für Corbyn gestimmt haben, sondern auch für die vergleichsweise viel schmalere Schicht der außerhalb der Partei agierenden Linken, deren politische Programme viel von dem enthalten, wofür Corbyn in seiner Kampagne argumentiert hat.
Corbyns Wahlsieg eröffnet auch große Möglichkeiten für die wachsende Oppositionsbewegung gegen die Austeritätspolitik, wie etwa die People’s Assemblies Against Austerity (Volksversammlungen gegen die Sparpolitik), die sich in vielen britischen Städten ausbreiten und die von Corbyn energisch unterstützt werden. Er ist auch eine handfeste Hilfe für die Gewerkschaften und die Linke in ihrem Versuch, eine breitere öffentliche Opposition gegen die Trade Union Bill zu mobilisieren (ein Gesetzesvorhaben, das sich gegen die Gewerkschaften richtet) sowie gegen die vielen weiteren Versuche der Regierung, demokratische Rechte zu beschneiden, den öffentlichen Dienst abzubauen oder zu privatisieren und die Ärmsten der Gesellschaft dafür zur Kasse zu bitten, dass die öffentlichen Haushalte saniert werden.
Das ist so, weil Corbyn der erste Labour-Vorsitzende seit vielleicht einem Jahrhundert ist, der unterstützt, was die Gewerkschaften und die Linken unternehmen, statt im Chor mit den konservativen Tories und den rechtslastigen großen Medien zu rufen, dass sie falsch liegen, und sie aufzufordern, nichts mehr zu unternehmen, was das herrschende Establishment herausfordert.
Gleichwohl ist mit Corbyns Sieg die Mission alles andere als erfüllt. Der Erfolg ist nicht einmal endgültig, sondern viel eher der Anfang einer Entwicklung in die richtige Richtung. Sein Sieg allein macht, wie die sprichwörtliche Schwalbe, noch keinen Sommer!
Auf ihrem Weg werden die Corbynisten auf hohe Hürden und unvermeidliche «feindliche Störfeuer» von allen Seiten stoßen, nicht zuletzt in der Partei selbst. Und zwar auf allen Ebenen: im Hauptamtlichenapparat der Partei, bei der Mehrheit der parlamentsfixierten Labour Party, bei den Labour-Gemeinderäten und den vielen tausend kommunalen Abgeordneten im Kernland von Labour, in den Metropolen im Norden, die wenig mit Corbyns neuer linker Orientierung gemein haben und nicht geneigt sind, ihre komfortablen Politjobs und gut bezahlten Positionen den Anhängeren Corbyns ohne scharfen Kampf zu überlassen. Zweifellos haben sie bereits vielerorts ihre Maschinengewehrnester aufgebaut, um alles niederzumähen, was ihnen ihre Hegemonie streitig machen will.
Das ist nur einer der Gründe, warum es für die Mitglieder linker Parteien und Organisationen wie Left Unity völlig verfehlt wäre, nun die Segel zu streichen und in die Labour Party einzutreten, um dort Teil der Corbyn-Strömung zu werden. Es kann noch alles passieren, und wenn wir selbstverständlich all jene, die sich in der Labour Party der Austeritätspolitik widersetzen, praktisch unterstützen, so gut wir können, können sie doch vom rechten Flügel und vom Establishment der Partei geschlagen und aus der Partei herausgetrieben werden. Unter diesen Bedingungen Left Unity als Partei und damit die Anstrengungen eines jahrelangen Aufbaus zu liquidieren wäre ein tragischer Fehler.
Corbyns Programm hat auch seine Schwächen, es nicht dasselbe wie unser Programm, wenn es auch viele Übereinstimmungen gibt. Es ist auch schon die Rede von Aufweichungen in Hinblick auf die Forderung nach dem Austritt aus der NATO und der Aufgabe des Trident-Programms (U-Boot-gestützte Atomwaffen). Corbyn soll sich anlässlich einer Gedenkveranstaltung zum 75.Jahrestag der «Schlacht um Großbritannien» auch dafür entschuldigt haben, die Nationalhymne nicht mitgesungen zu haben. Derartige Dinge sind nicht unbedingt vielversprechend, doch wir müssen Corbyn eine Schonfrist geben, damit er zeigen kann, was in ihm steckt.
Wenn die Unterstützer von Corbyn nicht aktiv und Teil der zahlreichen Kämpfe und Mobilisierungen werden, und das als Mittel begreifen, die Kräfteverhältnisse in der Gesellschaft zu verändern und ihre eigenen Chancen in der Labour Party zu befördern, dann werden sie keine wirksame Kraft werden können. Wenn sie aber wirklich aktiv werden, dann werden sie unvermeidlich Left Unity begegnen. Dann wird sich der Wert unserer kleinen Partei erweisen und die Tragfähigkeit dessen erweisen, was wir über unsektiererisches Verhalten, über die strategische Orientierung und zu taktischen Vorschlägen zu sagen haben.
Sollen Left Unity und andere linke Organisationen erwägen, en bloc um die Aufnahme in der Labour Party zu ersuchen? Natürlich wäre es lächerlich, wenn Left Unity, oder auch die Grünen, gegen Corbyn-Unterstützer in der Labour Party bei Wahlen antreten würden. Wie aber wäre es, wenn Privatisierer und Sozialabbauer für Labour zur Wahl stehen? Sollen Left Unity oder die Green Party dann darauf verzichten, Kandidaten gegen sie aufzustellen?
Diese und vergleichbare Probleme müssen in der Linken außerhalb von Labour in der nächsten Zeit gründlich diskutiert werden – das ist besser, als eine Antwort übers Knie zu brechen. Nichts davon steht einer Zusammenarbeit mit den Unterstützern von Corbyn entgegen – und zwar auf allen Ebenen: etwa bei der Aktionswoche rund um den Tory-Parteitag oder bei den Mobilisierungen gegen die gewerkschaftsfeindlichen Gesetzesvorhaben, um nur zwei Initiativen für viele zu nennen. In jedem Falle wird es sich für die weitere Entwicklung als nützlich erweisen, wenn wir unsere Ansichten als unabhängige Kraft artikulieren.

* Stephen Hall ist Vorsitzender des Gewerkschaftsdachverbands TUC von Greater Manchester und Leitungsmitglied von Left Unity. Left Unity wurde 2013 von dem bekannten Filmregisseur Ken Loach initiiert.

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