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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 10/2015
Gegen Sozial- und Lohndumping hinter Gittern
von Oliver Rast*

In bundesdeutschen Haftanstalten wird mit der Organisierung inhaftierter Beschäftigter gewerkschaftliches Neuland betreten.
Die JVA Tegel in Berlin war im Mai 2014 der Ausgangspunkt für die Gründung einer gewerkschaftlichen Initiative von Gefangenen. Der Gefangenen-Gewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO) gehören derzeit in knapp 70 Haftanstalten rund 850 Mitglieder an. In mehreren Städten und Regionen bestehen darüber hinaus kleine Solidaritätskomitees der GG/BO, um die gewerkschaftspolitische und -rechtliche Aktivität innerhalb und außerhalb der Gefängnismauern zu koordinieren.
Der Gründung der GG/BO gingen Diskussionen voraus, welche Organisierungsmöglichkeiten in Haftanstalten bestehen, angesichts dessen dass es Kollektive politischer Gefangener in der Bundesrepublik nicht mehr gibt. Das staatlich sanktionierte Sozial- und Lohndumping, das an inhaftierten Beschäftigten und Beschäftigungslosen durchexerziert wird, war ein Dreh- und Angelpunkt, um die soziale Frage hinter Gittern offensiv zu stellen und die sprichwörtlich unter Verschluss gehaltene Arbeitswelt in den JVA-Betrieben in den Blick zu nehmen. Damit war die Idee der Gefangenen-Gewerkschaft geboren...

Ein Gewaltverhältnis
Menschen in Haft sind nicht in das Sozialversicherungssystem eingegliedert und werden auch beim allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn nicht berücksichtigt. Diese sozial- und arbeitsrechtliche Diskriminierung Zehntausender arbeitender Gefangener leitet sich formaljuristisch aus dem ihnen vorenthaltenen Arbeitnehmerstatus ab. Unter anderem wegen des Arbeitszwangs, der in der Mehrzahl der Bundesländer nach wie vor gilt, gehen die Werktätigen in den JVA-Betrieben kein freies privatwirtschaftliches Arbeitsverhältnis ein, sondern unterliegen einem öffentlich-rechtlichen Gewaltverhältnis. Mit dieser Rechtfertigungsformel wird nicht nur die Billiglohninsel Knast mit ihren entgarantierten Arbeitsbedingungen aufrechterhalten – so haben die Häftlinge keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und keinen Kündigungsschutz –, es greift bei ihnen auch nicht das Betriebsverfassungsgesetz mit seine Mitbestimmungsrechten, obwohl sie für Landesbehörden und externe Unternehmen einen 8-Stunden-Arbeitstag fahren.

Suche nach Bündnispartnern
Inhaftierte sind neben Geflüchteten die soziale Gruppe, die faktisch ohne Lobby ist. Sie haben sich nun mit der Bildung der GG/BO diese fehlende öffentlichkeitswirksame Lobby geschaffen. Mit der Etablierung der GG/BO sind nun auch die Voraussetzungen gegeben, Bündnispartner in Gewerkschaften, progressiven parlamentarischen Organisationen und humanitären Vereinigungen auszumachen.
Anfänglich war eine gewisse Berührungsangst gegenüber der GG/BO zu spüren. Die ersten positiven Signale aus dem Gewerkschaftsspektrum erhielten wir zunächst von den unserem Selbstorganisierungsprozess sehr aufgeschlossen gegenüber stehenden Basisgewerkschaften FAU und IWW.
Aber auch zu einzelnen Gewerkschaftern aus dem weiten Feld der DGB-Einzelgewerkschaften konnten bereits in einem frühen Stadium etliche Kontakte hergestellt, die die Arbeitswelt im «Mikrokosmos Knast» als Interventionssektor erkannten.
Da unser Forderungskatalog letztlich auf parlamentarischem Parkett verhandelt und entschieden wird, konzentrieren wir auf Fürsprecher in den Parteien, die der GG/BO u.a. über kleine parlamentarische Anfragen Gehör verschaffen.
Die grundgesetzlich verankerte Koalitionsfreiheit bahnt sich auch in der Haft mehr und mehr ihren Weg. Zum jetzigen Zeitpunkt können wir konstatieren, dass die «Sonderwirtschaftszone Knast» keine gewerkschaftsfreie Zone mehr ist.
Allerdings ist die organisatorische Struktur vor den Gefängnismauern wegen des anhaltenden Aufwärtstrends innerhalb der Haftanstalt komplett ausgelastet. Mitunter stehen wir vor organisatorischen Aufgaben, die wir nicht immer zeitnah lösen können.
In den kommenden Monaten wird deshalb ganz wichtig sein, dass wir als GG/BO sukzessive Landesverbände gründen, um die erforderliche Dezentralisierung und Regionalisierung einzuleiten.

* Der Autor ist Sprecher der GG/BO.

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